»Agrifood Atlas«: Daten und Fakten über Agrarbranche und Lebensmittel
Woher kommen unsere Lebensmittel? Produktion und Handel werden von immer weniger großen Konzernen dominiert. Kritiker warnen mit einem »Agrifood Atlas« vor den Folgen für Mensch, Gesellschaft und Ökonomie. Und sie lassen nicht locker: Es gibt Alternativen.
Wie sieht die Lage auf dem globalen Ernährungssektor aus und welche Folgen hat das für Mensch, Gesellschaft und Ökonomie? Antworten darauf und viele Daten dazu lassen sich jetzt in der ersten englischen Ausgabe des »Agrifood Atlas« nachlesen, der in dieser Woche in Brüssel vorgestellt wurde. Eine Entwicklung ruft bei den Herausgebern – die Umweltorganisation Friends Of The Earth, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung sowie die Linkspartei-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung – besonders Kritik hervor: die fortschreitende Monopolisierung in der Produktion von Lebensmitteln.
»In manchen Fällen sind es nur noch zwei, drei Unternehmen, die Märkte beherrschen«, wird Mute Schimpf von Friends Of The Earth zitiert. »Für uns ist das ein sehr besorgniserregender Trend. Die Folgen seien «dramatische Beeinflussungen«, unter anderem bei der Wahlfreiheit der Konsumenten bei ihrem Essen oder den Arbeitsbedingungen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur dazu. Sie zitiert auch Oliver de Schutter, den Co-Vorsitzenden des Internationalen Expertengremiums für nachhaltige Nahrungsmittelsysteme: »Dieser Bericht sollte ein Weckruf für alle sein, die sich um Ernährung und ländliche Lebensgrundlagen sorgen.«
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gefährdet
In dem 56-seitigen Papier finden sich zahlreiche Belege für Monopolisierungstendenzen und die Martkentwicklung im Agrarsektor und der Lebensmittelproduktion. »The trend continues towards a further concentration of power. In the developing world, the growth of the middle class
is changing tastes and diets. Demand for processed foods is sure to rise. The declared aim of agriculture, chemicals and food corporations is to grab as big a slice of the cake as possible, but they have now been joined by banks, insurance companies and the information technology industry«, heißt es in der Einleitung zu dem Heft, das diesen Trend mit vielen Grafiken und Zahlen illustriert. Im Januar war bereits eine deutschsprachige Version als »Konzernatlas« vorgestellt worden – mit etwas anderem Herausgeberfeld. Die laufenden Konzentrationsprozesse im Agrarsektor würden die beschlossenen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gefährden, hieß es damals.
Gefordert wurde eine stärkere Kontrolle im Agrar- und Ernährungsbereich: »Fünf der zwölf kapitalintensivsten Übernahmen börsennotierter Konzerne in 2015 und 2016 fanden im Agrar- und Ernährungsbereich statt. Der Börsenwert der Fusionen im Landwirtschaftssektor übertraf vielfach den in anderen großen Branchen. So war 2015 der Wert der Fusionen von Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelindustrie mit 347 Milliarden Dollar fünf Mal höher als der im Pharma- oder im Ölsektor. Inzwischen kontrollieren lediglich vier Großkonzerne rund 70 Prozent des Welthandels mit Agrarrohstoffen. Drei Konzerne dominieren 50 Prozent des Weltmarkts für Landtechnik. In Deutschland decken vier Supermarktketten 85 Prozent des Lebensmittel-Einzelhandels ab. Finden die weiteren derzeit geplanten Mega-Fusionen statt, würden nur drei Konzerne mehr als 60 Prozent des globalen Marktes für kommerzielles Saatgut und für Pestizide beherrschen.«
Stellenabbau und Schließungen als Teil des Plans
Benjamin Luig von der Luxemburg Stiftung sagte bei der Vorstellung, der Report zeige »eine weitgehend ignorierte Dimension der Umstrukturierung des Agrar- und Ernährungssektors auf. Private Equity-Firmen – und nicht die Anteilseigner der Unternehmen – treiben zunehmend die Konzentration im Agrar- und Ernährungssektor voran«. Als Beispiel nannte er Fusionen von Bierunternehmen, Fast-Food-Konzernen und Küchenunternehmen, die von der Investmentgruppe 3G capital geleitet oder begleitet worden seien. »Massive Stellenstreichungen und die Schließung von Abfüllanlagen in der Getränkeindustrie sind Teil des Plans. Wir brauchen dringend Verordnungen, die den Einfluss des Finanzsektors auf den Agrar- und Ernährungssektor einschränken«, so Luig.
Die nächste Printausgabe von OXI blickt ebenfalls auf dieses Thema. Unter anderem analysiert Stephan Kaufmann die Marktmacht des berüchtigten ABCD-Komplexes im globalen Agrargüterhandel. Warum es da auf die Größe ankommt? Das resultiert aus den Schwierigkeiten, Naturprodukte zu kapitalistischen Geschäftsmitteln zu machen. Mehr am 4.11. für LeserInnen des nd und ab 7.11. am Kiosk.
Guter Journalismus ist nicht umsonst…
Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.
Zahlungsmethode