Wirtschaft
anders denken.

Offene Fragen, innere Transformation: In der Linkspartei wird nach einer Programmdebatte gerufen

20.04.2018
Jenny Paul,Lizenz: CC BY-SA 4.0

SPD und Grüne sind schon dabei. Nun werden auch in der Linkspartei Rufe nach einer Programmdebatte laut. Ist das nur ein Reflex auf die um Personen kreisenden Konflikte? Oder steht wirklich eine inhaltliche Neubestimmung an? 

Wenn sich Petra Pau kurz vor einem Linksparteitag zu Wort meldet, dann schauen viele genauer hin. Die Bundestagsvizepräsidentin ist eher eine Politikerin der leisen Töne, aber mitunter stecken da auch deutliche Ansagen drin: Es sei »Zeit für eine linke Programm-Debatte«, schrieb sie in dieser Woche in einem »nd«-Gastbeitrag. Ein für linke Diskursverhältnisse eher kurzer Text, aber einer mit einem möglicherweise längeren Echo. 

Pau sieht in der aktuellen Krise des Politischen einen »Ernst der Lage«, der für sie »Grund genug« für einen außerordentlichen Parteitag ist. Nun steht aber erst einmal ein ordentliches Delegiertentreffen an. In den vergangenen Monaten hatte die Linkspartei viel Schlagzeilen mit um Personen kreisenden Konflikten gemacht. Anlass dazu hatten immer wieder Äußerungen aus dem saarländischen Landesverband zur Frage von Asyl und Migration gegeben; auch europapolitische Streitpunkte und die Debatte über den »Raum linker Politik«, also die politische Geografie sozialstaatlicher Integration laufen seit längerem. Hinzu trat das öffentlich zwischen den Spitzen von Fraktion und Partei ausgetragene Gezerre um die »Hoheit« innerhalb der Linken. Zugespitzt wurde das Ganze bisweilen auf Kritik an den Vorsitzenden. Inzwischen steht ein neuer Kandidat für den Posten des Bundesgeschäftsführers in den Startlöchern. Spürbar ist auch ein Bemühen, den Leipziger Parteitag nicht bloß zur Bühne dieser Debatten der vergangenen Monate zu machen.

Wortmeldung mit doppeltem Charakter

Pau dreht nun die Schraube ein kleines, aber wesentliches Stückchen weiter – mit dem Hinweis, »medienträchtige Auftritte«, bei denen es auch noch darum geht, wer »wen mag und wen warum nicht«, seien für das Publikum »irrelevant«. Die Wortmeldung der Berlinerin hat dabei einen doppelten Charakter. Es geht einerseits um die Warnung, sich doch bittesehr mit Inhalten zu befassen. Das kann man als Reflex auf die Konflikte der jüngeren Zeit lesen, vor Parteitagen, auf denen wichtige Wahlen anstehen, ist das nicht unüblich. 

Es liegt darin aber eine zweite Dimension, die Frage nach einer neuen Programmdebatte wirft man nicht mal so eben nebenbei auf. Pau zählt einige Themen auf, bei denen es in der Linkspartei »hinreichend Hängepartien« gibt, darunter Digitalisierung, Grundeinkommen, Migration, die Kritik der EU. 

In dieselbe Richtung zielt ein Antrag des Forum demokratischer Sozialismus an den Parteitag. Unter der Überschrift »Fragend schreiten wir voran« wird hier ganz offen die Einsetzung einer Programmkommission verlangt, die prüfen soll, »ob eine Überarbeitung oder Neuerarbeitung eines Programmes« ansteht. Zur Begründung wird auch hier auf die veränderte Weltlage, auf die Krise der Demokratie und auf die Veränderung hingewiesen, die die Linkspartei selbst betreffen und die als »innere Transformation« beschrieben werden: neue Mitglieder, neue Konflikte, neue Herausforderungen.

Programm- oder Strategiedebatte?

Was das Forum vorschlägt, verbindet dabei Ideen einer Programmdebatte mit strategischen Fragen, teilweise geht auch auch um Organisationsreformen. Auch in dem Antrag ist der Reflex auf die Konflikte der letzten Monate deutlich zu spüren: Die inhaltlichen Herausforderungen werden als »größer« angesehen als die Kontroversen, über die die Linkspartei »vordergründig heftig diskutiert«. Das kleine Wörtlichen vordergründig zeigt freilich an, dass man das eine von dem anderen schwerlich trennen kann. Nur wird man präziser bestimmen müssen, wo das eine vorrangig ist und wo das andere. 

Das derzeit gültige Grundsatzpapier der Linkspartei stammt von 2011. Als Erfurter Programm repräsentiert es den Debattenstand der vollzogenen Fusion von Wahlalternative und PDS. In der Analyse der politisch-ökonomischen Lage ist es mehr von einem Blick auf die Finanzkrise geprägt als von einem auf deren politische und ökonomische Folgen. Wichtige Streitfragen wie die Haltung zur EU, die Analyse der internationalen Beziehungen und anderes mehr sind in Kompromisse gegossen, die eine große Bandbreite an Positionierungen ermöglicht. Andere Fragen, vor allem solche, die sich mit der beschleunigten technologischen und räumlichen Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise befassen, sind allenfalls angetippt worden. Oder mit einer Idee von Alex Demirovic formuliert: Das Programm ist eine linke Antwort auf die zweite Phase des Neoliberalismus, inzwischen hat aber eine dritte begonnen. Welche Konsequenzen zieht man daraus?

Die Rufe nach einer neuen Programmdebatte lassen sich aber nicht nur als Reaktion auf die innere Lage der Linkspartei und die Aktualität ihrer Analyse und der gezogenen Schlussfolgerungen lesen. Das Ganze findet in einem Umfeld statt, in dem der Verzicht auf programmatische Selbstbefragung schon wie ein parteipolitischer Nachteil wirken kann. Denn die unmittelbare Konkurrenz aus SPD und Grünen hat gerade mit Programmprozessen begonnen. Das wirkt auch in der Öffentlichkeit, in der sich Sozialdemokraten und Grüne als »auf der Suche« nach »neuen Antworten« darstellen können. Man könnte sagen: Selbst wenn die Linkspartei ihr Programm für immer noch aktuell hielte, müsste die Frage doch erwägen, wie darauf reagiert wird.

SPD und Grüne sind schon mittendrin

Die SPD hat beschlossen, »innerhalb eines Jahres bis Ende 2018 zu einer mutigen und klaren innerparteilichen programmatischen Klärung zu kommen«. Spätestens nach der Wahl von Andrea Nahles zur Vorsitzenden könnte es damit losgehen. Die Grünen stecken bereits mittendrin und erweisen sich dabei wieder einmal als Meister der Inszenierung. »Ob Klimakrise, Artensterben, Digitalisierung oder sich ausbreitender Nationalismus – viele Menschen fragen sich, wie Politik die großen Herausforderungen unserer Zeit gestalten will«, heißt es da, bis 2020 soll es »ein neues Grundsatzprogramm« geben.

Fraktionsvize Jan Korte hat vor einiger Zeit geschrieben, »in diesen schwierigen, aber auch spannenden Zeiten, brauchen wir dringend eine Generalüberholung linker Politik«. Nur: wie? Im Leitantrag des Vorstandes der Linkspartei an den Leipziger Parteitag heißt es, man brauche eine »grundlegenden Richtungswechsel, einen ganz neuen Weg«. Die Formulierung verweist auf die systemtranszendierende Seite der Politik der Linkspartei. Zu Fragen der programmatischen Weiterentwicklung kann man dort hingegen lesen, »wir haben im letzten Jahr ein Wahlprogramm verabschiedet, das die Grundlage für unsere Arbeit in den kommenden Jahren sein wird«. In einem Aufruf verschiedener Landespolitiker vor dem Parteitag heißt es, »auf unserem heutigen Fundament wollen und können wir aufbauen«, auch diese »Liebeserklärung« an die Linke zielt nicht eben direkt auf eine neue Programmdebatte.

Was bringen Parteiprogramme heute überhaupt?

Ob die sinnvoll und nötig ist, wäre natürlich ausführlicher zu begründen als es Pau jetzt getan hat. Zu bedenken wäre, welche Rolle Programme in Parteien noch spielen – nach innen, nach außen? Und man wird auch selbstkritisch fragen müssen, ob und wieweit Programmdebatten und die damit zusammenhängenden Verfahren, also etwa ein Mitgliederentscheid, wirklich dazu beitragen, die inhaltliche Diskussion wieder gegenüber den um Personen kreisenden Konflikten zu rehabilitieren. Wie wichtig ist heute das Gespräch mit der Gesellschaft, und wie lässt sich das mit Statuten vereinbaren? Wie dick muss ein Programm eigentlich sein?

Aber die Frage liegt nun auf dem Tisch. Es ist hier immer wieder darauf hingewiesen worden, dass zwischen den bestehenden Formen der Politik und deren Substanz stärkere Widersprüche hervortreten. In zentralen Fragen sind neue Bruchlinien kenntlich geworden: Wie weit ist soziale Integration im Kapitalismus möglich, was ist der Ort dafür und welche Instrumente werden in Anschlag gebracht? Wie reagieren Gesellschaften, deren Demokratie derzeit nationalstaatlich organisiert ist, auf die fortschreitende Globalisierung der Kapitalverhältnisse? Was ist die richtige Antwort auf die Krise der Marktsozialdemokratie, was heißt das für Bündnisfragen, was für die Einschätzung sozialer aber auch kultureller Verhältnisse? Wie geht man mit den Widersprüche globaler Ungleichheit um, wie auf das Problem, das Stephan Lessenich als Externalisierung bezeichnet? Und so weiter.

Die »Konflikte verlaufen nun nicht zwischen den Parteien, sondern das sind Auseinandersetzungen innerhalb der Parteien, die irgendwann zu einer Auflösung drängen. Womöglich als Neuformierung der politischen Form«, war hier angemerkt worden. Oder durch Präzisierung, Fortentwicklung, Aktualisierung der Substanz, die in einem Programm Niederschlag findet? 

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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