Wirtschaft
anders denken.

Linke Verlage: Was einmal untergegangen ist, lässt sich nicht mehr wiederbeleben

09.09.2018
OXI

Die Insolvenz von Stroemfeld ist ein neuerliches Alarmsignal für die Szene unabhängiger Verlage. Mit ihnen sind ganze Archive linker Geschichte und linken Denkens bedroht – wenn nicht bald etwas passiert: unwiederbringlich.

Die Insolvenz des Frankfurter Geschäftsteiles des legendären Stroemfeld-Verlags hat vor allem den unabhängigen, progressiven Zweig der Buchbranche erschüttert – und ist doch kein Einzelfall. KD Wolff, der den Verlag 1970 als »Roter Stern« gegründet hatte, verwies zur Begründung auf einen Einbruch beim Bibliotheksgeschäft und seit Jahren sinkende Auflagenzahlen, wie das »Börsenblatt« die Lage zusammenfasst.

»Es ist bitter«, zitiert den 75-Jährigen die »Frankfurter Rundschau«, der auf gescheiterte Versuche zurückblickt, einen stillen Teilhaber für den Verlag zu finden, Unterstützung von irgendeiner Stiftung. »Und es erschöpft auch.« Stroemfeld hat in seiner Geschichte mehrfach Namen und Gesellschaftsform gewechselt, aber nie den Charakter: bekannt und geschätzt für seine kritischen Werkausgaben klassischer Texte; der Verlag von Klaus Theweleits »Männerphantasien«, ein linker Verlag, eine Institution, Teil einer Geschichte, die über den Verlag und die Figur KD Wolff hinausweist, ohne die beiden aber wiederum auch nicht denkbar ist.

Die Kurt Wolff Stiftung, deren Mitglied auch der Stroemfeld Verlag ist, hat die Meldung von dessen Insolvenz zum Anlass für einen Weckruf genommen – auch das nicht der erste. Man glaube »nicht daran, dass die Zeiten des Lesens, des Bücherlesens vor allem, bereits Vergangenheit sind. Doch wir sehen mit wachsender Sorge, dass die Verlage, gerade auch die unabhängigen Verlage, immer mehr unter Druck geraten. Und mit ihnen die literarische Vielfalt, die Bibliodiversität, die Buchhandlungen und nicht zuletzt die Urheberinnen und Urheber.«

»An welchem Punkt ist das nicht mehr umkehrbar?«

Im Mai hatte Kathrin Gerlof in »OXI« über den »Kampf David gegen Goliath« in der Buchbranche berichtet, »der noch nicht ganz verloren ist«. Aber auch da stand schon die Frage: »An welchem Punkt ist so eine Abwärtsspirale nicht mehr umkehrbar?« Bei der Kurt Wolff Stiftung zählt man die jüngsten der kleinen, oft nicht einmal Schlagzeilen machende Stiche ins Herz unabhängigen Publizierens auf: der Verlag Klöpfer & Meyer muss auf sein nächstes Frühjahrsprogramm verzichten, die Existenz ist bedroht; der Münchener A1 Verlag ist schon in Liquidation. Und nun Stroemfeld.

Im aktuellen Quartalsbericht zur deutschen Medienwirtschaft von Gert Hautsch für die Gewerkschaft ver.di, die auch die Entwicklung bei den Buchverlagen in den Blick nimmt, verweist auf die andere Seite dieser Entwicklung – den Druck der Großen, eines Marktes, auf dem Bücher austauschbare Produkte sind, die nach Verkaufserfolg »gemacht« werden, auch der Einflüsterei durch Leute, die als Experten gelten. »Ende Mai 2018 hat sich die ›Monopolkommission‹ veranlasst gesehen, die Buchpreisbindung in Deutschland zur Disposition zu stellen«, heißt es da unter anderem »in einem Sondergutachten, das die Kommission ohne Auftrag aus eigenem Antrieb erstellt hat«.

Die Kurt Wolff Stiftung ergänzt das Bild: »2017 hat der Deutsche Bundestag eine Änderung des Urheberrechts in Bildung und Wissenschaft beschlossen, die das Geschäft vieler redlich arbeitender Wissenschaftsverlage erheblich schmälert. Die Deutsche Post hat die Portokosten für Büchersendungen um 20 Prozent erhöht«, auch das schlägt gerade bei kleineren Verlagen durch. Und es scheint müßig, sich hinter der Frage zu verschanzen, welcher Teil des Rückgangs der Buchkäufer binnen fünf Jahren um sechseinhalb Millionen auf Wechsel auf andere Trägerformate zurückzuführen ist.

Eine gute Waffe gegen Dummheit

Ein entscheidender Punkt ist: Die kleinen, unabhängigen Verlage können nicht mal eben auf große Kapitalspritzen zurückgreifen und haben kaum Mittel für Investitionen in Technik und neue Vertriebsvarianten. Literatur unter den Bedingungen eines Marktes zu produzieren, die sich nicht schon von vornherein den Kriterien dieses Marktes unterwirft, wird immer schwieriger.

Und das in Zeiten, in denen die Notwendigkeit einer solchen Literatur einen geradezu anschreit – aus Nachrichtensendungen oder von Twitter herüber. »Tagtäglich sehen wir auf der Straße wie in den sozialen Medien eine Verrohung der Sitten und der Sprache«, so die Kurt Wolff Stiftung. »Gute Bücher aber sind eine gute Waffe gegen Dummheit. Wir müssen daher alle dafür eintreten, dass unsere Gesellschaft eine ist, die nicht nur las, sondern liest und lesen wird.«

Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag, Mit-Vorstand der Kurt Wolff Stiftung, hat erst vor wenigen Wochen hier in »OXI« dem Wunsch Ausdruck verliehen, »mehr Leute im Buchhandel versuchten, im Gegensatz zu Thilo Sarrazin, wieder symbolisches Kapital mit Literatur und Aufklärung zu erwirtschaften. Vielleicht wären dann auch wieder mehr Leserinnen und Leser vom Buch zu überzeugen.«

Das »Tübinger Memorandum«

Dass nun mit dem »Tübinger Memorandum« erneut ein Appell »Wider das Sterben der Verlage, für Diversität der Literatur und Buchkultur« gestartet wurde, ist erfreulich – wird aber nicht ausreichen. Was die Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger und Thomas Knubben als zentrale Punkte in dem Manifest aufgelistet haben, müsste aus dem eher kleinen Kreis der Buchbranche hinaus zum Thema einer öffentlichen Debatte werden – die Gefahren der zunehmenden ökonomischen Konzentration im Verlagswesen, die strukturellen Probleme der unabhängigen Verlage, die nicht mehr nur als »Angelegenheit der Wirtschaftspolitik«, sondern der Kulturförderung angesehen werden sollten, und vieles mehr.

Ja, der Markt kann das »ästhetische und ordnungspolitische Problem« nicht lösen. Nicht zuletzt ist es aber die Warnung, die in dem »Tübinger Memorandum« formuliert wird, die man stärker hinaustragen sollte. Es bedarf »schneller Interventionen, denn kulturelle Einrichtungen, die einmal untergegangen sind, lassen sich in der Regel nicht mehr oder nur mit erheblich höherem Einsatz wiederbeleben«.

Linke Verlagstradition als Generationsfrage

Dies ist ein Punkt, der auch aus einer politischen Perspektive immer drängender wird – die Insolvenz des Stroemfeld Verlags hat das nun noch einmal eindringlich in Erinnerung gerufen. Eine ganze Tradition linker Kleinverlage mit ihrem außergewöhnlichen Programm ist bedroht, mit ihren eher auflagenschwachen aber doch wichtigen Zeitschriften, die mehr sind als bloß irgendwelche Periodika zwecks Kritik der real existierenden Verhältnisse, sondern eben auch das: Archive linker Geschichte und linken Denkens, intellektuelle Behälter, in denen, wer heute genauer hineinschaut, oft viel Klügeres über den Zustand der Welt findet als in allen aktuellen Feuilletons zusammen.

Es ist kein altersmäßiger Zufall, dass der Stroemfeld-Verleger KD Wolff mit 75 nun auf die Insolvenz-Entscheidung blicken und sagen muss: »Es erschöpft auch.« In nicht wenigen anderen linken, unabhängigen, kleinen Verlagen wird die Arbeit und das Geschäftsrisiko von ganz wenigen Leuten getragen, einer Generation zumal, deren Verlagstätigkeit oftmals um 1968 herum begonnen oder einen Höhepunkt hatte. Andere Häuser sind spätere Gründungen, deren Träger aber zur selben Generation gehören.

Wer hier an staatliche Kulturförderung – wie in der Schweiz zum Beispiel – denkt, wird sich auch fragen, welche Chance die Weiterführung von Inhaltsproduktionen dabei haben wird, die sich dezidiert auf die Kritik der Verhältnisse konzentrieren, mal mehr wissenschaftlich, mal mehr literarisch. Oder wird sich fragen, was an Möglichkeiten wirklich schon ausgelotet wurde, »gemeinsam stärker« zu sein, etwa durch gemeinsame Planung, Investition in Technik und so weiter. Dass damit auch Probleme der Eigenständigkeit, der Abgrenzung, vielleicht auch: alter Konflikte verbunden sind, mag richtig sein.

Aber wer sich – um nur einen kleinen Ausschnitt aus dem unabhängigen Verlagswesen herauszugreifen – die Veröffentlichungen zum Marx-Jubiläum anschaut, wird einer weiteren Frage nicht ausweichen können: Warum gerade Linke, die ein offenes Verhältnis zu demokratischer Planung und die gesellschaftlichen Bedürfnisse im Blick haben sollten, ganz »unabhängig« und nebeneinanderher die entsprechenden Programme gestemmt haben – auf immer dieselben AutorInnen zurückgreifend, die immer gleichen Sonderausgaben zum Marx-Jubiläum herausbringend. Wer wundert sich darüber, dass das auch betriebswirtschaftlich nicht immer gut aufging?

Das ist zugespitzt, natürlich. Hier jedoch, in der kleinen, linken Verlagsszene, gilt der Satz aus dem »Tübinger Memorandum« wohl noch mehr als für unabhängige Verlage insgesamt: Was einmal untergegangen ist, lässt sich in der Regel nicht mehr wiederbeleben. Weil man auch nicht einfach in die historischen Entstehungsbedingungen solcher Verlage zurückspringen kann, die auch politische, auch »szenekulturelle« waren. Für eine Zukunft, in der es diese Archive linker Geschichte und linken Denkens noch gibt, sollte uns schnell etwas einfallen. Sonst sind nicht nur diese Verlage Vergangenheit.

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