Wirtschaft
anders denken.

Linke Wirtschaftspolitik? Worüber wir reden müssen, wenn es anders werden soll

20.03.2018
GemeinfreiArzt am Krankenbett? Oder Gestaltung von Alternativen?

Kann es linke Wirtschaftspolitik im Kapitalismus geben? Ein SPD-Kanzler meinte mal, es gebe »nur gute oder schlechte Wirtschaftspolitik«. Und der linke Ökonom Rudolf Hickel sagt: »Schlechte Wirtschaftspolitik ist neoliberal, gute ist links.« Nötig ist aber eine Debatte darüber, wo ihre Grenzen liegen und welche Widersprüche dabei auftauchen, wenn man im Kapitalismus handlungsfähig bleiben will. Ein Text aus dem Schwerpunkt Linke Wirtschaftspolitik der OXI-Printausgabe 

An den politischen Debatten um die Regierungsbildung war vieles denkwürdig, eines aber fiel besonders auf: worüber nicht gesprochen wurde. Die Sozialdemokraten stritten viel darüber, ob eine Erneuerung eher in der Opposition oder in einer Koalition möglich ist – aber worin eine solche Erneuerung bestehen würde, auch wirtschaftspolitisch, dazu hörte man abseits von Floskeln nicht viel. Eine platzraubende Rolle spielte auch, ob einzelne »Nachbesserungen« am Koalitionsvertrag erreicht wurden oder eben nicht – aber inwieweit diese Einzelziele eingebettet sein sollen in eine übergreifende, ökonomisch fundierte SPD-Strategie neuer sozialer Integration, blieb offen.

Bei der Union wurde gezankt, ob die ausgehandelten Ministerposten dem eigenen Parteigewicht genügen oder nicht – was aber als übergeordnete Leitidee dann den dortigen Ressortalltag ausrichten müsste, dazu wurde wenig gesagt. Und wer den Stellungskampf diverser Polittruppen beobachtete, die sich für die Zeit nach Angela Merkel positionieren, hörte viel über gesellschaftspolitische Ansichten, aber außer ein paar marktradikalen Lautsprecherdurchsagen aus der dritten Reihe nichts darüber, was zur Gestaltung der Ökonomie für die kommenden Jahre als wichtig erachtet wird.

Nicht einmal die Personalien bei der Europäischen Zentralbank oder anstehende wirtschaftspolitische Nominierungen etwa im Sachverständigenrat oder die von Ökonomen begonnene Diskussion über die Zukunft der wirtschaftspolitischen EU-Architektur haben eine spürbare Debatte entfacht. Nebel liegt auch über der Opposition, von dort ist viel Kritik an den Manövern und Aussagen des Regierungslagers zu hören, aber beim Thema Wirtschaftspolitik scheint man sich auf soziale Verteilungsfragen oder Rufe nach Reichensteuern zu beschränken. Oder auf Schlagworte, Digitalisierung sagen kann aber eigentlich jeder.

Oder das Beispiel des Wirtschaftsministeriums. Das Ressort war der Union zugeschlagen worden, deren »Wirtschaftsflügel« zeigte sich enttäuscht, weil das Haus als schwach gilt. Andere in Merkels Lager meinten, nun bestehe ja gerade die Möglichkeit, deutlich zu machen, »welche Gestaltungsmacht ein Wirtschaftsminister hat«.

»Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt«

Ein früherer Amtsinhaber trommelte derweil für »marktwirtschaftliche Vernunft« im Ressort: Wolfgang Clement. Inzwischen ist der Mann aus der SPD ausgetreten, er setzt seine Arbeit als Lobbyist von Konzerninteressen fort, die er für die Interessen der Gesellschaft hält. Ein Fehler mit inzwischen auch sozialdemokratischer Geschichte. Am liebsten wäre es manchem, der Staat würde sich ganz aus der Ökonomie raushalten, weil Markt und andere wunderkräftige Dinge es schon richten werden.

Man kann dabei an den Satz des früheren FDP-Ministers Günter Rexrodt denken, der einmal meinte: »Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt.« Die Parole ist Ausdruck jener bestimmten wirtschaftspolitischen Denkweise, die damals dem Kurs von Privatisierung und Deregulierung unter Rexrodt zugrunde lag. Marktradikalismus für die Stammtische. Und auch in der Politik dominant seit den 1970er Jahren, als angebotstheoretische, auch neoliberal genannte Konzeption. Zuvor waren alle mehr oder minder Keynesianer, setzten also stärker auf Maßnahmen, mit denen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage angekurbelt werden sollte – zugunsten unter anderem der Beschäftigung.

Für die einen ist das schon der Kern linker Wirtschaftspolitik. Für andere müsste dazu schon mehr auf den Forderungszettel. Das hängt auch von der jeweiligen Sichtweise darüber ab, ob und wie der Kapitalismus überhaupt einzuhegen ist. Deshalb wird man auch unter Linken auf die Position treffen, »linke Wirtschaftspolitik« sei ein Unding, weil jede Wirtschaftspolitik sich auf die jeweils herrschenden ökonomischen Verhältnisse einlässt und dabei den Status quo akzeptiert. Oder anders formuliert: Kann es überhaupt eine marxistische Wirtschaftspolitik geben?

Wehe, wenn es niemand irgendwann anders macht

Aus ganz anderer Perspektive hat einmal Gerhard Schröder bestritten, dass es linke Wirtschaftspolitik gebe (auch eine rechte Variante stritt er ab). Für den SPD-Kanzler existierte stattdessen »nur gute oder schlechte Wirtschaftspolitik«. Die Frage freilich lautet: für wen gut und für wen schlecht? Ausgehend davon ließe sich dann doch so etwas wie linke Wirtschaftspolitik umreißen: Es geht um eine Politik, die den Raum des gesellschaftlichen Interesses zu Lasten des Raumes der Profitlogik vergrößert. Einen Kurs, der die Seite der Arbeit gegen die des Kapitals stärkt. Eine Strategie, die Zukunft nach sozialen, ökologischen, globalen Vorstellungen gestaltet.

Das wäre zurzeit vor allem: Abwehrkampf und Rückgewinnung wieder verlorener Bastionen. Zuallererst durch Umverteilung von Arbeit und damit frei verfügbarer Zeit sowie Einkommen und damit Chancen, Teilhabe, Sicherheit. Linke Wirtschaftspolitik wäre heute auch: eine Politik unter den Bedingungen globaler Wertschöpfung, digital getriebenem Plattformkapitalismus, Rohstoffknappheit und ökologischer Krise.

Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel hat einmal gesagt: »Schlechte Wirtschaftspolitik ist neoliberal, gute ist links.« Das drehte den Schröder-Satz einfach um. Was genau diese gute linke Wirtschaftspolitik kann, wo ihre Grenzen liegen und welche Widersprüche dabei auftauchen, wenn man im Kapitalismus handlungsfähig bleiben will – das wäre eigentlich ein gutes Thema für die Debatten um die Regierungsbildung gewesen. Nicht etwa, weil man glaubt, schon die nächste Koalition würde es anders machen.

Aber richtig ist eben auch: Wehe, wenn es niemand irgendwann anders macht…

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