Wirtschaft
anders denken.

Neugründung statt Abspaltung

17.03.2023
Eine Pflanze keimt zwischen zwei BaumstämmenFoto: Lucas van Oort Kann aus der Spaltung etwas Neues wachsen?

Seit fünf Jahren wird über eine Spaltung der Linkspartei spekuliert. Anstatt auf eine Spaltung von oben zu warten, sollte die gesellschaftliche Linke Vorbereitungen treffen.

Tut sie es, oder tut sie es nicht? Kaum ein Tag vergeht ohne Berichte über eine mögliche Parteigründung Sahra Wagenknechts. Die Neuigkeit lautet zumeist: Es gibt nichts Neues. Beachtlich ist, wie lange dieses Schauspiel sich nun bereits hinzieht. Im Dezember 2017 machten zum ersten Mal Gerüchte über die Gründung einer »linken Sammlungsbewegung« die Runde – begleitet von heftigen Auseinandersetzungen um den Kurs der Linken in der Flüchtlingspolitik. Schon damals war klar: Wenn diese Initiative wirklich eigene Wahllisten aufstellen will, führt an einer Parteigründung kein Weg vorbei. Fast ein ganzes Jahr des Medienrummels später erfolgte schließlich die offizielle Gründung von »Aufstehen«. Aufstehen war der offen kommunizierte Versuch, reformerische Sozialpolitik mit Migrationskritik und konservativer Kulturpolitik zu kombinieren und die plurale LINKE in eine stringent sozial-konservative Partei nach dem Vorbild der dänischen Sozialdemokratie zu verwandeln. Man wollte die Partei »umkrempeln«, wie die Aufstehen-Mitgründerin und damalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sevim Dağdelen wissen ließ. Dass es dabei nie um den langfristigen Aufbau einer echten Sammlungsbewegung, sondern vor allem um eine Erweiterung der Machtbasis des Wagenknecht-Lagers ging, wurde bei dem extrem unprofessionellen Agieren der Kampagne deutlich.

Was dann kam, ist Geschichte: Nichts war vorbereitet, eine Panne jagte die nächste, schließlich zerstritten sich alle erdenklichen Akteure innerhalb Projekts und Sahra Wagenknecht tauchte ab – und kam wieder. Als Talkshowgast zum Thema Burnout und Mobbing in der Linksfraktion rehabilitierte sie sich, nachdem Aufstehen auf ganzer Linie gescheitert war. Ihr Kalkül – durch permanente Spekulationen über eine Parteigründung mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen und diese dann zu nutzen, um gegen die offizielle Parteilinie zu schießen – hat sie seitdem perfektioniert. Für alle Beteiligten – die Talkshows, die Online-Medien und Wagenknecht selber – ist das ein gewinnbringendes Geschäft. Man könnte sich von diesem Infotainment hervorragend unterhalten lassen, würde nicht so viel auf dem Spiel stehen.

Die gesellschaftliche Linke verschwindet

Denn was bei den seit etwa sieben Jahren permanent öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten in der Migrationspolitik, der Coronapolitik und nun der Außenpolitik im Ukraine-Krieg kaputt geht, ist ein universalistischer linker Standpunkt. Ja, den gibt es. Er stellt einen klassenpolitischen Standpunkt ins Zentrum – für ökonomisch schlechter Gesellte, gegen Reiche und Konzerne – und verbindet ihn mit progressiven migrations-, außen- und natürlich klimapolitischen Forderungen, ohne sich dabei auf mediale Spielchen einzulassen, die vom klassenpolitischen Standpunkt ablenken sollen. Das Feindbild einer »Woke-Linken«, die die Arbeiterklasse angeblich vernachlässigt und »ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte findet«, wie Sahra Wagenknecht in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« schreibt, wird so resolut vorgetragen, dass man mittlerweile glauben könnte, es wäre real. Doch die überwiegende Mehrheit links engagierter, innerhalb wie außerhalb der Linkspartei, vertritt einen verbindenden linken Standpunkt, der linke Wirtschaftspolitik mit linker Gesellschaftspolitik zusammendenkt. Die große Katastrophe, die sich hinter dem permanenten medial angeheizten Wagenknecht-Spektakel vollzieht, ist, dass dieser linke Standpunkt immer mehr in Vergessenheit gerät.

Der Schaden könnte größer nicht sein. Es geht um die Frage, ob eine universelle (also allgemeingültige) internationalistische Perspektive linker Politik überhaupt noch existiert, oder ob linke Politik nur noch aus Sicht des Nationalstaates gedacht werden kann – und damit aufhört, links zu sein. Der 150-jährige Konflikt innerhalb der gesellschaftlichen Linken um Reform und Revolution wird begraben. Radikale ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen stehen gar nicht mehr zur Debatte, stattdessen arrangiert sich linke Politik mit dem um sich greifenden Nationalismus. Niemand verkörpert diesen verheerenden Wandel so sehr wie Sahra Wagenknecht, die vor acht Jahren noch dem antikapitalistischen Blockupy-Protest beiwohnte, und heute offen für ein „links-konservatives“ Projekt wirbt.

Ohne Spaltung geht es nicht weiter

Wer an einen universalistischen linken Standpunkt glaubt, kann an Spaltung eigentlich kein Interesse haben. Arbeiter- gegen »Woke«-Linke – das wäre der Albtraum für eine verbindende Klassenpolitik. Doch das eigenartige an der jetzigen Situation ist, dass sich eine universelle linke Position, die linke Sozial- und Gesellschaftspolitik strategisch klug miteinander vermittelt, ohne Spaltung der Linkspartei gar nicht mehr herausbilden kann. Zumindest so lange nicht, wie die »sozialkonservativ-oppositionelle Gruppe« (Raul Zelik) rund um Sahra Wagenknecht innerhalb der Linksfraktion weiterhin für Furore sorgt und in die entgegengesetzte Richtung marschiert. Sie konnten die Partei mit Aufstehen nicht »umkrempeln«, jetzt nutzen sie die Bundestagsfraktion noch als vom medialen Trommelfeuer begleitete öffentliche Plattform, um ihre vom Parteiprogramm abweichenden Ideen zu vermarkten. Insgesamt verliert das Wagenknecht-Lager kontinuierlich an Rückhalt in der Bundespartei und den Landesverbänden. Der Parteivorstand besteht mittlerweile zur Hälfte aus Angehörigen der sogenannten »Bewegungslinken«.

In der Fraktion liegen derweil die Nerven blank. Die Fraktionssitzungen sind von heftigen Auseinandersetzungen geprägt, gemeinsame Anträge über alle Lager hinweg die Seltenheit. Bei einem Antrag zu Verhandlungslösungen im Ukrainekrieg Anfang März isolierte sich das Wagenknecht-Lager in der Fraktion. In der Vergangenheit hatte das Hufeisen-Bündnis zwischen dem Reformer-Lager um Dietmar Bartsch und dem Wagenknecht-Lager die Mehrheiten in der Fraktion organisiert. Die aktuelle Lähmung der LINKEN lässt sich dadurch erklären, dass die Hufeisen-Konstellation die Partei und Fraktion inhaltlich und machtpolitisch nicht mehr einen kann – und es gleichzeitig kein alternatives Projekt gibt, dass inhaltlich sowohl nach innen als auch nach außen über genügend Strahlkraft besitzt und die dafür die notwendigen Mehrheiten in der Bundestagsfraktion organisieren kann.

Warten auf Godot

Anstatt dabei zuzusehen, wie sich die Linkspartei nach und nach von selbst erledigt, sollte sich die gesellschaftliche Linke lieber mit der Frage beschäftigen, welche parlamentarische Vertretung sie braucht und wie sich diese herstellen lässt. Eine Spaltung der Linken – durch eine neue von Sahra Wagenknecht gegründete Partei, die zur nächsten Bundestagswahl antritt, oder schon vorher durch Austritt des Wagenknecht-Flügels aus der Fraktion, die dadurch ihren Fraktionsstatus und alle Mitarbeiter und parlamentarischen Rechte verliert – kann kommen, kommt sehr wahrscheinlich, oder sie kommt eben auch nicht. Es ist ein nie endendes Hin und Her, das vor allem dazu beitragen soll, Aufmerksamkeit und Kräfte für einen echten Neuanfang zu blockieren. Ein Neuanfang, den man von der Linkspartei, auch nach Abspaltung des Wagenknecht-Flügels, nicht mehr erwarten kann. Dafür ist der personelle Zerfallsprozess schon zu weit fortgeschritten. Ein Impuls für eine progressive gesellschaftlich-parlamentarische Kraft, ob sie sich innerhalb der übrig gebliebenen Linkspartei oder einer neuen Partei formiert, muss aus der gesellschaftlichen Linken kommen: aus den sozialen Bewegungen, der Zivilgesellschaft und der linken Öffentlichkeit.

Neuanfang von unten

Wer denkt, für ein solches Projekt gäbe es keine Erfolgsaussichten, täuscht sich. Die Grünen bekennen sich für alle erkennbar zur Partei des grünen Kapitalismus – Lützerath lässt grüßen. Viele, die eigentlich eine radikal-ökologischere weniger wirtschaftsfreundliche Politik sehen würden, bleiben der Partei dennoch treu. Denn was sollen sie sonst wählen – die Wagenknecht-Linke? Die SPD vegetiert wie eh und je als staatstragende Status-Quo-Partei vor sich hin, und erhält ihre aktuelle Stabilität vor allem daher, dass es ohnehin keine machtpolitischen Alternativen gibt – nur solche, die noch schlimmer sind. Es gibt reale gesellschaftliche Mehrheiten, die an einer weitereichenden Umverteilungspolitik interessiert sind, ohne dafür Migrationskritik und Offenheit gegenüber Verschwörungstheorien miteinzukaufen. Und Opposition gegenüber dem politischen Establishment lässt sich auch anders haben als mit Kritik am Gender-Sternchen: nämlich mit einer radikalen ökonomischen Programmatik, die auch vor Vergesellschaftung zur Lösung sozialer Probleme und zur Beschleunigung des notwendigen ökologischen Umbaus nicht zurückschreckt.

Die politischen Kräfteverhältnisse verdichten sich im Staat – die mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist daher dort, wo um die Macht im Staat gerungen wird. Auch wenn eine »linke Regierung« letztlich gar nicht so viel Macht hätte und viel von ihrem Programm gar nicht umsetzen könnte, sind die politischen Kämpfe um die Macht im Parlament dennoch real und prägend für die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Wenn sich die gesellschaftliche Linke in diesem Widerspruch verortet, kann ihr nicht egal sein, ob es eine linke Partei gibt oder nicht. Anstatt über eine »links-konservative« Abspaltung sollte über eine sozial-ökologische Neugründung diskutiert werden, die nicht von den alten Politprofis von oben, sondern von sozialen Bewegungen und der jungen Generation von unten vorangetrieben wird.

Geschrieben von:

Samuel Decker

Ökonom und Aktivist

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