Nur ein Fehler am Stammhirn?
Reichtum verdirbt – oder werden nur die Verdorbenen reich? Eine Frage, die auch in der Kunst und Literatur verhandelt wird. Aus OXI 3/21.
Dieses Jahrzehnt hatte ihn um viele Millionen Euro reicher gemacht, ihm aber die Ehre als Mensch entrissen.«
»Marc und Kelly, bei denen es bereits fünf nach zehn war, schliefen in ihrem Beduinenzelt. Zu diesem Zeitpunkt überstieg die Rechnung für die Hochzeit, die sie in Tunesischen Dinar zu bezahlen hatten, gerade den Wert ihres Londoner Reihenhauses in Pfund Sterling, das noch zu achtzig Prozent der Bank gehörte, einer Bank, deren Anwälte gerade Insolvenz anmeldeten und eine E-Mail an die Mitarbeiter aufsetzten, in der sie vorschlugen, doch heute zur Arbeit einen Pappkarton mitzubringen.«
»Fakt ist, dass von Macht, absurd hoch bezahlten Jobs und der Aussicht, sich auf kaum regulierten Märkten austoben zu können, auch emotional schwer gestörte Menschen angezogen werden.«
»Johann Holtrop« von Rainald Goetz, »Frühling der Barbaren« von Jonas Lüscher, »Warum die Sache schiefgeht« von Karen Duve verhandeln den Verlust von Anstand und Maß im Zusammenhang mit Geld und Macht. Johann Holtrop, der Chef eines Medienimperiums mit weltweit 80.000 Angestellten, landet am Ende auf den Gleisen und unter einem Zug. Die jungen reichen Engländer aus der Londoner Finanzwelt feiern eine orgiastische Hochzeit und am Ende eine blutige in einer tunesischen Oase, während der Staatsbankrott ihre Glitzertürme einstürzen lässt. Karen Duve hat sich die Frage gestellt, ob Psychopathen überproportional häufig in Chefetagen von Wirtschafts- und Finanzunternehmen landen oder ob sie erst dort zu Psychopathen werden.
Einfacher gefragt: Versaut Geld den Charakter oder muss man einen versauten Charakter haben, um überhaupt zu unmäßig viel Geld zu kommen?
7,5 Millionen Euro verdienten Dax-Chefs (das Gendern lohnt sich hier nicht) 2018 im Durchschnitt pro Jahr. 23,4 Millionen waren es beim Beiersdorf-, 3,1 Millionen beim RWE-Chef. Und immer wieder gern wird der etwas naive, aber liebenswerte Fehler gemacht, sich die Frage zu stellen, wie viel jemand arbeiten muss für so viel Geld. Weil es ja bei Beiersdorf, und nähme man an, der Kerl arbeitet 20 Stunden an jedem gottverdammten Tag des Jahres, auf einen Stundenlohn von 3.150 Euro hinausliefe. Es ist unsinnig, immer wieder solche Rechnungen aufzumachen, weil es darum nicht geht und weil jener Bereich des Unternehmertums noch am weitesten von Leistung abgekoppelt ist. Mit Leistung hat das alles nur wenig zu tun. Sinniger ist, sich mit der Kehrseite jenes Reichtums zu beschäftigen und zwar nicht des Privatvermögens, das sich entweder diskret geriert oder goldene Protztürme baut, deren Hässlichkeit ein schlecht isoliertes Eigenheimchen von der Stange kaum überbieten kann. Kehrseite meint das, was Reichtum am anderen Ende der Geschichte immer hervorruft: Armut und Elend und Verzweiflung, Kreativität und Größe und Widerstandsfähigkeit. Zumal in diesen Zeiten, in denen wir zwar sagen können, dass es vielleicht sogar die Möglichkeit gibt, Reichtum zu erwerben, ohne anderen etwas unmittelbar wegzunehmen, aber auch erkennen müssen, dass Reichtum (im Sinne der Ansammlung von Gütern und Geld) ohne Raubbau undenkbar ist. Der Obszönität des Reichtums wohnt das Kannibalische inne. Denn egal woher er stammt, materieller Reichtum verzehrt, was wir zum Leben brauchen. Und der ökonomische Sachverstand sagt, dass auch die Reinvestition in erweiterte, mehrwertschaffende (und in einer warenförmigen Welt geht es letztlich um Mehrwert) Produktion dies immer tut: lebendige Arbeit und Lebensgrundlagen verzehren.
Literatur, die gute, verhandelt oft dieses Gegenteil und seltener stehen im Mittelpunkt die Reichen als Hauptfiguren. Was vielleicht schade ist, wie man an den Büchern von Goetz und Lüscher festmachen kann. Der »Frühling der Barbaren« ist ein sprachliches und erzählerisches Meisterstück und eine Parabel auf die Selbsttäuschung all jener, die ernsthaft glauben, sie hätten bekommen, was sie verdienen. »Dass Geld nicht für sich selbst steht, lag in der Natur der Sache, das war die Idee dahinter. Warum nur versuchen sie, uns das als ihre eigene Idee zu verkaufen, und warum glaubten sie, würde das irgendwas besser machen?«
Karen Duve begab sich auf einen nicht ungefährlichen Weg, als sie zu erklären versuchte, dass nur ein bestimmter Typus Mensch (Mann) geeignet ist, jene Obszönität des Reichtums zu verkörpern, die auf allseits anerkannte, weil positiv besetzte Charaktereigenschaften gründet, die da heißen Einsatzbereitschaft, Risikobereitschaft, Selbstvertrauen, Durchsetzungsvermögen. Uns fallen die bewundernden Texte ein, geschrieben über Männer, die Großes leisten, sprich: unglaublich viel Geld haben und auf unternehmerischen Erfolg verweisen können, der seinesgleichen sucht.
Die Systemfrage gerät ins Hintertreffen, auch wenn uns die Versuchsanordnungen, beispielsweise der Psychologie, beeindrucken, in denen Manager eine weitaus größere Brutalität an den Tag legen,als auf Lebenszeit in der Geschlossenen inhaftierte Psychopathen. Alphatiere sind sie alle. Manipulativ, was bei den Psychopathen, die weder Reue noch Mitgefühl empfinden können, auch auf einen Fehler an der Amygdala zurückgeführt wird, einen Defekt des lymbischen Systems.
Man mag sich – und ist auch auf die falsche Fährte gelockt – Bill Gates, Jeff Bezos, Elon Musk nicht als Psychopathen vorstellen. Lieber glauben, dass der kleine Baustein zum großen Glück nur in einer passenden Garage und der darin ausformulierten und ausprobierten Idee liegt, die sich irgendwann schwarz auf weiß in der »Forbes«-Liste der reichsten Männer der Welt manifestiert.
Trotzdem interessant, dass die große Literatur, der große Film, wenn sie es denn tun, eben jenen Typus Macher zur Hauptfigur erklären, der den Atem stocken lässt, ob der charakterfesten Brutalität und Abwesenheit jeglichen Anstands. Oder auch wieder nicht, denn nur dann werden sie als Kunstfigur interessant. Solche wie Bernard L. Madoff, der 65 Milliarden Dollar versenkte, die er aber erst einmal bekommen hatte, von Leuten, die an ihn glaubten. Ein grandioser Lügner, dem der Richter Bösartigkeit in besonderer Ausprägung bescheinigte. Verhandelt wurde da nicht, dass dieses Wirtschaftssystem die Matrix bildet für jene Form unternehmerischen Tuns und dass das, was als böse gilt, gesellschaftlich ausgehandelt wird.
In dem Film »Zeit der Kannibalen« – ein Kammerstück von Johannes Naber – werden am Ende zwei Unternehmensberater, die in Entwicklungsländern unterwegs sind, um für ihre Company unter anderem billige Kinderarbeit einzukaufen und lokale Wirtschaft zu ruinieren, in einem Hotelzimmer irgendwo in Afrika vom Bürgerkrieg überrollt, was sie wahrscheinlich nicht überleben (segensreiche Abblende vor dem Massaker).
»Das Problem besteht nicht nur darin, dass die Netten aussortiert, sondern auch darin, dass die Falschen angezogen werden«, schreibt Karen Duve und meint »emotionale Low-Performer«. Gewagt insofern, als dass es ja die Richtigen fürs System zu sein scheinen und es ihnen nicht zwingend an Emotionen zu mangeln scheint. Die sind nur oft gruselig.
»… der Hass, den Holtrop in den vergangenen Tagen gegen den Berufsstand der Bankleute aufgebaut hatte, ließ ihn zwar den Irrsinn der geldgetriebenen Wirtschaftsexzesse in einer plötzlichen, bizarren Klarheit erkennen, aber dieses antikapitalistische Späterweckungserlebnis, das er aktuell mit jedem zweiten Zeitungsleser teilte, nützte ihm nichts …«
»Und die Kraft lag im Geld, in den ungeheuren Summen, mit denen sie tagtäglich hantierten, und in den obszönen Gehältern, die sie bezogen. Wie konnte etwas, das so große Auswirkung auf die Gesellschaft hatte, als Spiel abgetan werden?« Das ist dann wohl die Eine-Million-Dollar-Frage.
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