Wirtschaft
anders denken.

Lob der Überlebenskunst

28.11.2016

Wie sich ein kleines, verräterisches Wort in den linken Sprachschatz geschlichen hat und von dort aus nun den sozialen Fortschritt torpediert.

Seit die Diskussion um die Rentenreform so richtig Fahrt aufgenommen hat, kommt ein Wort erneut zu Ehren, das uns schon viele Jahre begleitet. Möglicherweise kam es in die Welt, als die SPD mit der Agenda 2010 den guten alten Sozialstaat abschaffte und an seine Stelle das Prinzip »Fördern und Fordern« setzte. Das Wort heißt »armutsfest«. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) müssen die Ohren klingeln ob der Häufigkeit, mit der es ihr entgegengeschleudert wird – von den Linken, der Wohlfahrt, ArmutsforscherInnen, ExpertInnen für soziale Themen und und und.

Der Duden bedauert: »Leider haben wir zu Ihrer Suche nach ›armutsfest‹ keine Treffer gefunden.« Na so was! Das Meisterwerk der deutschen Sprache gibt aber zu, dass es Worte wie kapitalfest und bibelfest sehr wohl gibt und dass man sie, ob ihrer Eigenschaft als Adjektiv sogar steigern kann. Nun stellt sich die Frage, ob wir armutsfest – egal ob es im Duden steht oder nicht – auch steigern können, dann hätten wir vielleicht die armutsfesteste Rentenreform überhaupt. (Das ist natürlich nur theoretisch, denn so etwas wird es nicht geben.)

Der Duden bedauert: keine Treffer gefunden

Doch auch darum soll es hier nicht gehen. Der Duden braucht manchmal und nimmt sich zu Recht Zeit, ein Wort daraufhin zu prüfen, ob es nun wirklich zum Sprachkanon gehört und somit aufgenommen werden muss. Bleiben wir mal bei Hartz IV als möglichem Stichtag für die Geburt des Wortes. Die Forderung, dass Systeme armutsfest werden müssen, ist seither in legendärer Vielfalt zu hören und zu lesen. Die sozialen Sicherungssysteme, der Sozialstaat, die Rente, die Grundsicherung, die Löhne – alles soll armutsfest werden.

Nehmen wir uns nun das Wort »bibelfest« her – das ja immerhin vom Duden geweiht ist – dann ist mit ihm gemeint, dass jemand die Heilige Schrift wirklich beherrscht. Der- oder diejenige ist sozusagen Experte oder Expertin, wenn es darum geht, aus dem Buch der Bücher zu zitieren.

Zurück zu armutsfest. In der Logik der Dinge ist jemand armutsfest, wenn er oder sie das Leben in Armut perfekt beherrscht. Diese Person kennt alle Wege und Tricks, um zu überleben, kann aus den Sozialgesetzbüchern und Verwaltungsvorschriften der Jobcenter zitieren, ist selbst besoffen in der Lage, einen Antrag auf Wohngeld vollständig auszufüllen, weiß, wie man mit dem Regelsatz bis zum Monatsende kommt und trotzdem noch ein bisschen Geld für größere Anschaffungen zurücklegt. So ein armutsfester Mensch ist ein Überlebenskünstler oder eben eine -künstlerin, und sicher wäre es denkbar, dass es in der Kunst des Überlebens dann noch Steigerungsmöglichkeiten gibt. Ein Binnenflüchtling im Sudan ist demzufolge vielleicht am armutsfestesten.

Warum die Rente, die sozialen Sicherungssystem, die Grundsicherung, die Löhne wieder und wieder dieses Adjektiv beigeordnet bekommen, lässt sich nur mit der allgemeinen Faulheit, zeitfester Ignoranz und der Neigung der Linken zur Wiederholungstat erklären. Das alles macht es nicht besser. Stattdessen wird es noch schlimmer, wenn das Adjektiv »armutsfest« mit dem Adjektiv »zukunftsfest« kombiniert wird. Leider hat sich die Duden-Redaktion an dieser Stelle breitschlagen lassen: »Zukunftsfest – Adjektiv – die Anforderungen der Zukunft erfüllen könnend.«

Wie schade ist das denn?

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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