Wirtschaft
anders denken.

Lohnungleichheit in Griechenland: Es muss deutlich nachkorrigiert werden

23.08.2018
Christos Vittoratos , Lizenz: CC BY-SA 3.0

In Griechenland wurden Lohnsenkungen durch die Kürzung des Mindestlohns und durch die Zerstörung des griechischen Tarifsystems erzwungen. Eine sozial ausgewogenere Regelung wurde von den Institutionen strikt abgelehnt.

Keine Frage: Das griechische Wirtschafts- und Sozialmodell vor der Eurokrise war nicht nachhaltig. Der Staatsapparat war durch die Klientel-Politik der vorherigen Regierungen aufgebläht und ineffizient. Steuerhinterziehung wurden in großem Maß geduldet. Die großzügigen Lohnerhöhungen nach Einführung des Euro bis 2008 waren nicht durch eine entsprechende Zunahme der Produktivität gedeckt. 

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So schmerzhaft diese Einsicht ist, ein Ausweg aus der Krise war nicht ohne interne Abwertung mit einer Absenkung der Löhne möglich. Der Anpassungsdruck auf Griechenland hätte allerdings durch stärkere Lohnerhöhung in den Ländern mit Exportüberschüssen beträchtlich gemildert werden können. 

Zu einer solchen Lastenteilung in Europa ist es allerdings nicht gekommen. Griechenland wurde ein in seiner Dimension einzigartiges Sparpaket auferlegt. Die Prognosen der Institutionen über das Wirtschaftswachstum erwiesen sich alle als falsch. Das Bruttosozialprodukt und die Bruttolöhne sanken um fast 25 Prozent und die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich. Statt der von der Europäischen Kommission prognostizierten kleinen Delle, brach die Wirtschaft ein. Die Bereitschaft, aus diesen wiederholten Fehlprognosen zu lernen, war nicht zu erkennen.

Die Lohnsenkungen wurden durch die Kürzung des Mindestlohns und durch die Zerstörung des griechischen Tarifsystems erzwungen. Gegen den erklärten Willen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände durften Tarifverträge nicht mehr für allgemeinverbindlich erklärt werden. 

Tarifverträge galten nur noch für Mitglieder der Arbeitgeberverbände, die scharenweise aus der Tarifbindung flohen, da sie jetzt von Konkurrenten unterboten wurden. Zugleich konnte man die bestehenden Tarifverträge auf betrieblicher Ebene durch Vereinbarungen mit Beschäftigten, die nicht einer Gewerkschaft angehörten, aushebeln. Vor der Krise wurden noch über 80 Prozent nach Tarif bezahlt. Heute ist der Mindestlohn die „going rate“, also das übliche Niveau. 

Eine sozial ausgewogenere Regelung mit einer Beibehaltung der Tarifbindung und einer einmaligen Absenkung der Löhne, höher bei den guten und geringer bei den niedrigen Einkommen, wurde von den Institutionen strikt abgelehnt. Zum Programm gehörten die dauerhafte Schwächung der Gewerkschaften und eine höhere Lohnungleichheit.

2017 hat die griechische Regierung die Wiedereinführung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und den Vorrang von Tarifverträgen vor betrieblichen Vereinbarungen beschlossen. Die Institutionen verlangten aber eine genauere Kontrolle der Repräsentativität der Tarifverträge. Die Unternehmen müssen jetzt die Zahl und die Löhne ihrer Beschäftigten zeitnah an die nationale Datenbank ERGANI melden. Das Arbeitsministerium prüft an Hand der Mitgliederliste der Arbeitgeberverbände, ob ein Tarifvertrag 50 Prozent der Beschäftigten abdeckt. Nur dann kann er für allgemeinverbindlich erklärt werden. 

Die von der sozialdemokratische Pasok kontrollierten griechischen Gewerkschaften kritisieren zu Recht, dass die Tarifbindung in den letzten Jahren so stark abgenommen hat, dass diese Hürde heute kaum noch genommen werden kann. Das stimmt! Zur Wahrheit gehört leider aber auch, dass die aus dem Staatshaushalt finanzierten Gewerkschaftsapparate politisch nicht für die Stärkung der Tarifverträge eingetreten sind, sondern ihre Energien in Kampagnen gegen die Tsipras-Regierung verbrauchten. 

Ob es mit den neuen Regelungen gelingt, nach dem Auslaufen des letzten Memorandums die Lohnungleichheit durch eine Erhöhung der Tarifbindung zu verringern, ist zweifelhaft. Die von den Institutionen und der griechischen Regierung 2016 berufene „Expertengruppe zur Reform des griechischen Arbeitsmarkts“, der ich angehörte, hat diese Situation vorausgesehen. Sie hat mit Mehrheit vorgeschlagen, dass man Tarifverträge auch bei einer geringeren Repräsentativität aus öffentlichem Interesse für allgemeinverbindlich erklären kann. Ein öffentliches Interesse läge beispielsweise bei einem überdurchschnittlichen Anteil von Niedriglohnbeschäftigten in einer Branche vor. Hier müsste deutlich nachkorrigiert werden.

Prof. Dr. Gerhard Bosch ist Arbeitsmarktexperte und Professor an der Universität Duisburg-Essen.

Geschrieben von:

Gerhard Bosch

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