Wirtschaft
anders denken.

Macron, Merkel, Europa und die Ökonomen: der OXI-Überblick

27.09.2017
Chairman of the Joint Chiefs of Staff / Public domain

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Europa reformieren. Was sind seine Vorschläge? Wie reagiert die deutsche Politik im Zustand der Jamaika-Anbahnung? Was sagen linke und grüne Europa-Experten? Und was deutsche und französische Ökonomen?

Die Rede von Emmanuel Macron an der Pariser Universität Sorbonne ist hierzulande erst einmal durch eine Jamaika-Brille gelesen worden – die Vorschläge des französischen Präsidenten für eine Reform der Europäischen Union würden spätestens am Veto einer in Berlin mitregierenden FDP scheitern. Von dem Freidemokraten kam denn auch gleich Kritik, ihr Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff schüttelte ebenso den Kopf wie der Finanzpolitiker Hans Michelbach von der CSU: falsche Anreize, böse Transferunion und so weiter. Oder im O-Ton: »Was wir nicht brauchen, sind zu viel Staat und neue Steuern. Die Eurozone braucht mehr Wettbewerbsfähigkeit, keine neuen Geldtöpfe«, wie es Alexander Graf Lambsdorff formulierte.

Worum geht es: Macron hat eine verstärkte Zusammenarbeit in Wirtschaftsfragen, Verteidigung und Sicherheitspolitik vorgeschlagen, wobei Vorschläge wie ein gemeinsames Verteidigungsbudget, eine europäische Anti-Terror-Staatsanwaltschaft oder eine CO2-Steuer, die an den EU-Außengrenzen auf umweltschädliche Produkte erhoben werden soll, eher im Vordergrund standen als eine wirtschaftspolitische Vertiefung der Europäischen Union. Wohl, weil sich Macron der deutschen Gegenwehr bewusst ist. »Ich habe keine roten Linien«, sagte der Franzose – und das war auf FDP-Chef Lindner gemünzt, der ein gemeinsames Budget für die Euro-Länder als eben solche rote Linie für den Eintritt seiner Partei in eine Regierung bezeichnet hatte. Macron hielt dennoch an seinen Forderungen nach einem gemeinsamen Haushalt für die Euro-Länder und einem gemeinsamen Finanzminister fest. Garniert mit standortpolitischen Girlanden – nur eine starke Eurozone könne die EU zu einer echten »Wirtschaftsmacht« werden lassen, die den USA und China Paroli bieten könne.

Ein mehr oder minder konkreter Europa-Plan

Neben einem erneuerten Élysée-Freundschaftsvertrag mit Berlin, den Macron auch vorgeschlagen hat, stehen eine Reihe von mehr oder minder konkret ausformulierten Punkten auf dem Zettel des Franzosen: ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Interventionstruppe sollen bis zum Anfang des kommenden Jahrzehnts stehen; ein europäisches Asylamt und eine neue Innovationsagentur für die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Digitalisierung. Macron setzt sich zudem für einen einheitlichen Mindestsatz für Unternehmensteuern ein und will die Verhandlungen über eine EU-weite Finanztransaktionssteuer neu beleben – das Geld soll in die Entwicklungshilfe fließen. Und manches mehr. Was allerdings nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Fragen der sozialen Union und der europäischen Solidarität in einem ökonomischen Sinne eher unterbelichtet blieben.

Der Linksparteipolitiker Fabio De Masi bezeichnete Macrons Rede als »gut gebrüllt, aber Schattenboxen in den deutschen Koalitionsverhandlungen« – weil eine Reihe von Vorschlägen des Franzosen eine EU-Vertragsänderung voraussetzten, damit entweder auf die lange Bank gezwungen würden, vor nationalen Parlamenten oder Verfassungsgerichten erst bestätigt werden müssten – oder gleich eine Art Büchse der europäischen Pandora öffnen würden.

De Masi geht es aber vor allem um die wirtschaftspolitische Leerstelle bei Macron: »Die wirklichen Probleme der Eurozone, vor allem den chronischen deutschen Leistungsbilanzüberschuss, der die Auslandsverschuldung unser Handelspartner begünstigt, will Macron nicht antasten.« Und weiter: »Eine Transferunion ohne Korrektur der ökonomischen Ungleichgewichte ist jedoch ein Himmelfahrtskommando, denn aufgrund der wirtschaftlichen Gefälle wären hierfür sieben bis zehn Prozent der EU-Wirtschaftskraft erforderlich. Dies entspräche in Deutschland mindestens zwei Dritteln des Bundeshaushaltes und würde massive Kürzungen auf Ebene der nationalen Haushalte beinhalten. Paris und Rom würden zukünftig aus Berlin regiert, auch wenn Italiener oder Franzosen Angela Merkel nicht gewählt haben.« Besser wäre es nach Ansicht des Hamburgers, wenn über »finanzielle Sanktionen gegen chronische Exportüberschüsse beziehungsweise eine Stärkung der Binnenwirtschaft in Deutschland« nachgedacht würde, »um die Notwendigkeit permanenter Transfers zu verringern«.

De Masi: Wirkliche Probleme der Eurozone nicht angepackt

Positiv äußerte sich der Europaabgeordnete, der nun in den Bundestag einziehen wird, über eine größere Zusammenarbeit in Steuerfragen – die sei »sinnvoll, denn die EU-Staaten verlieren hunderte Milliarden Euro jährlich durch die Steuertricks von Apple, Google, Mc Donald‘s & Co. Eine gemeinsame Konzernbesteuerung erfordert aber breite Bemessungsgrundlagen und auch Mindeststeuern. Ansonsten könnte der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten über die Sätze weiter entfacht werden«, so De Masi.

Offener zeigte sich der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold für Macrons Vorschläge. Macron bringe »Europa in Bewegung. Endlich reden auch die Staatschefs über eine konkrete Reformagenda für Europa. Von Macrons europäischen Handlungswillen muss sich eine neue Bundesregierung eine Scheibe abschneiden. Eine solch glaubwürdige und konkrete Europa-Rede hat man in Deutschland schon lange nicht mehr gehört.«

Giegold: Details zum Europa-Umbau fehlen

Freilich weiß auch Giegold: Der Franzose blieb in wichtigen Fragen auffallend schwammig. »Details zur Rolle des Euro-Finanzministers, der Finanzierung des Eurozonen-Haushalts sowie dessen parlamentarische Kontrolle müssen noch geklärt werden. Hinter den schönen Worten lugten viele innerfranzösische Formelkompromisse hervor«, so Giegold

Unterdessen haben namhafte Mainstream-Ökonomen aus Frankreich und der Bundesrepublik einen gemeinsamen Aufruf in der »Frankfurter Allgemeinen« veröffentlicht – es ist ein Aufruf zu gegenseitigen Kompromissen. »Emmanuel Macron und Angela Merkel haben beide Unterstützung für ein Budget im Euroraum, für einen europäischen Finanzminister oder für einen Europäischen Währungsfonds signalisiert. Leider füllen beide Seiten diese Begrifflichkeiten aber mit sehr unterschiedlichen Inhalten«, heißt es in dem unter anderem von Marcel Fratzscher, Jean Pisani-Ferry, Henrik Enderlein und Lars Feld unterzeichneten Beitrag.

Aufruf von Ökonomen: »mehr Marktdisziplin«

Die Kernpassage lautet: »Deutschland sollte ein höheres Ausmaß an Risikoteilung im Euroraum akzeptieren und gleichzeitig darauf drängen, dass die Anreize für Reformen gewahrt bleiben und die Nichtbeistandsklausel für Staaten sowie die Bail-in-Regeln für Banken glaubwürdiger werden. Frankreich wiederum sollte mehr Marktdisziplin zulassen – aber in einer Art und Weise, welche die Finanzstabilität nicht gefährdet. Eine Restrukturierung von Staatsschulden sollte als letzte Möglichkeit zugelassen werden. Beide Seiten sollten sich für eine Vereinfachung der Haushaltsregeln stark machen und für weniger Feinsteuerung aus Brüssel.«

Das Wort »Marktdisziplin« taucht in dem Text gleich sieben Mal auf, was bereits zu einer kleinen Twitter-Debatte Anlass gegeben hat. André Kühnlenz von weitwinkelsubjektiv.com sprach von einem »vernünftigen Aufruf« und unterstrich: »Deutschland sollte mehr Risikoteilung akzeptieren«. Auch die FDP solle diesen Kurs akzeptieren, es handele sich um »aufgeklärten Ordoliberalismus«. Sebastian Dullien von der HTW Berlin sieht in dem Appell ebenfalls »einiges sehr vernünftig«, fragte sich aber auch, ob ein »Leitgedanke«, der in einer »Stärkung der Marktdisziplin« bestehe, wirklich das sei, »was man will?« Worauf Kühnlenz an den Kompromisscharakter des Appells erinnerte.

Die Rede Macrons dürfte in den kommenden Tagen in deutscher Übersetzung bei der Botschaft Frankreichs nachzulesen sein. Wir werden dann wohl noch einmal darauf zurückkommen.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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