Marx: Feiern, verstehen, überwinden
Wenn Linke sich dieser Tage die Aktualität von Das Kapital vornehmen, sind das immer auch Kommentare auf die politische Rezeption und Gelegenheiten, alte Debatten über Marx wieder zum Thema zu machen. Ein Blick in neue Zeitschriften.
So ein Jubiläumsjahr kommt nicht alle Tage und wenn es um den Alten aus Trier geht, stecken wir sogar mittendrin in einem Doppelgeburtstag: 150 Jahre Das Kapital und dann 2018 schon 200 Jahre Karl Marx. Medial sind schon viele Kerzen auf mehr oder weniger wohlschmeckenden Torten ausgeblasen worden – es gehört zu den Eigenheiten des medialen Betriebs, aus Gründen der Konkurrenz das Gratulieren, Würdigen, Kritisieren so weit vorzuziehen, dass Aussicht besteht, der oder die Erste zu sein.
Nun ist das freilich kein Wettbewerb, an dem man sich beteiligen muss, aber wahr ist auch: Wenn nun linke Zeitschriften sich die Aktualität von Das Kapital dieser Tage vornehmen, sind das immer auch Kommentare auf die politische Rezeption von Marx heute. Und mancher nutzt die Gelegenheit, auch alte Debatten wieder zum Thema zu machen.
So fährt die Junge Welt, die sich selbst als marxistische Zeitung annonciert, eine kleine Attacke gegen jene Linken und Intellektuelle, die sich angeblich vor der Aussage drücken, »dass Marx Kommunist war und das Kapital geschrieben hat, um der Arbeiterklasse eine Waffe gegen Klassenherrschaft und Ausbeutung an die Hand zu geben«. Das heißt dann »Marx für Angepasste« – und soll die Botschaften senden, dass ein bestimmtes, anderes Verständnis von Marx‘ Wirken irgendwie, nun ja: unangepasst wäre.
Aber was ist der Maßstab, woran passt hier wer sich an? »Dass seine Wissenschaft aber parteilich gegen die bürgerliche Gesellschaft gerichtet war, spricht niemand aus«, schreiben John Lütten und Michael Sommer da und man denkt, hier wird etwas behauptet – das Nichtaussprechen -, um seine eigen Sprecherrolle ins besondere Licht zu rücken.
Die Sache mit dem Arbeiterbewegungsmarxismus
Dabei steckt ja die eigentliche Frage in der Antwort drin, die da gegeben wird: Wenn es richtig ist, was Thomas Marxhausen einmal schrieb, dass »das Band zwischen Marxismus und Arbeiterbewegung« gerissen sei, dann könnte man doch einmal darüber nachdenken, was das erstens mit bestimmten Spielarten des Marxismus zu tun hat, und zwar nicht nur immer »den anderen«, und zweitens, wo die Arbeiterbewegung eigentlich ist, was sie dazu veranlasst haben könnte, sich von Marx abzuwenden. Ja, »an einer politischen Kapital-Rezeption auf Höhe der Zeit zu arbeiten«, ist richtig. Aber ist es auch richtig, erst einmal jenen die Schuld für eine als solche erkannte Lücke zuzuschreiben, die eine andere Sicht aus der Beschäftigung mit Marx gezogen haben?
Aufklärung als Selbstaufklärung
Die Frage nach dem Stellenwert eines »Arbeiterbewegungsmarxismus«, nach möglichen Verkürzungen der Kritik auf ungerechte Verteilung und Ausbeutung in der Lohnarbeit, ist wahrlich nicht neu. Zum Teil werden die dabei ausgefochtenen Kämpfe abseits »marxologischer« Filterblasen kaum verstanden, jedenfalls nicht groß zur Kenntnis genommen. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, wie da debattiert wird – bisweilen kommt der Eindruck auf, es gehe um die Pacht irgendeiner Wahrheit.
Dass die Angelegenheit komplizierter sein kann, vor allem wenn es um eine »politische Übersetzung« der Kritik der Politischen Ökonomie in Praxen der Gegenwehr und der Veränderung geht, ist freilich auch keine allzu neue Erkenntnis. Was also tun? Auch in der aktuellen analyse & kritik spielen 150 Jahre Das Kapital ihre Rolle, dort liest man bei Ingo Stützle: »Die Herrschaft, so Marx, hat sich in sachlicher Form (Ware, Geld etc.) gegenüber den Menschen verselbstständigt, stellt sich als natürlich dar und ist unpersönlich. Das macht Befreiung komplizierter und die Frage, wie Aufklärung organisiert werden soll, um so dringlicher, schließlich weiß Marx, dass allein ein gutes Argument wenig politische Veränderung bewirkt. Aufklärung muss als politische Macht organisiert werden. Aufklärung muss Selbstaufklärung derjenigen sein, die sich vom Kapitalismus befreien wollen – keine Parteisache.«
So ist die Frage aufgeworfen, wie denn die oben so genannte »Waffe gegen Klassenherrschaft und Ausbeutung« in die Hand derer kommt, die ihre Befreiung laut Marx ja schon selber machen müssten. Ein Weg könne darin bestehen, »dass die Lektüre des Kapitals dem akademischen Elfenbeinturm entzogen« wird, weil die Universität »eine zentrale Einrichtung des Bürgertums« sei, »das nicht mehr mit der Kirche, sondern mit der Wissenschaft im Rücken herrscht«. Das spricht freilich, so analyse & kritik, nicht gegen Kapital-Lektüre auf der einen oder Organisierung auf der anderen. Schon gar nicht müssen diese sich irgendwie ausschließen.
Keine konkrete Anleitung zum Umsturz
Wie breit gefächert die möglichen »Gebrauchsweisen« sind und ebenso die Punkte der Anknüpfung oder Überwindung an oder von Gedanken bei Marx kann man sich in der Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung anschauen. Deren aktuelle, 150 Jahre Das Kapital gewidmete Ausgabe hat »Leseempfehlungen« zusammengetragen – und so stellen von Sahra Wageknecht bis Thomas Sablowski eine ganze Reihe von Autoren ihren Bezug zur Kritik der Politischen Ökonomie kurz vor.
Auch die Sache mit der »politischen Umsetzung« kommt da zur Sprache – wo etwa Janis Ehling formuliert: »Tatsächlich findet sich im Kapital keine konkrete Anleitung zum Umsturz. Trotzdem hat das Kapital zu den marxistischen Debatten um die richtige Form der Organisierung und damit zum Fortschritt der Arbeiterbewegung einiges beizutragen. Eine marxistische Parteienforschung muss bei Marx anfangen und die Erkenntnisse des Kapital berücksichtigen.« Und weiter: »Mit der Entdeckung der Klassenbewegungen als Triebfeder der Parteiengründungen ist Marx der heutigen bürgerlichen Parteienforschung immer noch um einiges voraus. Eine rein ökonomische oder logische Lesart des Kapitals, jenseits der realen Arbeiterbewegung, ist daher geradezu absurd.«
Das Wörtchen »logische« hat in der vielfältigen linken Debatte einen Signalcharakter, gemeint ist dann meist die »neue Marx-Lektüre« – und einer ihrer prominentesten Vertreter kommt in der aktuellen Ausgabe der Prokla zu Wort: Michael Heinrich. Die Redaktion kündigt in ihrem Editorial seine »unsystematischen Anmerkungen zu einer unendlichen Geschichte« als Debatte der »Bedingungen der paradoxen Rezeption des Kapital, denn aus Marx, dem Kritiker der klassischen politischen Ökonomie, wurde der letzte große Vertreter dieser Schule gemacht.«
»Marx hatte Pech«
Heinrich beginnt mit dem schönen Satz, »Marx hatte Pech«, der darauf hinauswill, dass die Bedingungen für die Veröffentlichung des ersten Bandes im Hamburger Verlag Otto Meißner sowohl was Ort als auch Zeit für dieses Buch angeht, »kaum schlechter« hätten sein können. Warum? Wegen der »Provinzialität der akademischen deutschen Ökonomie, die mit den englischen und französischen Debatten noch lange nicht mithalten konnte. Wäre der erste Band des Kapitals 1867 in London auf Englisch erschienen, hätte er wahrscheinlich mehr Furore gemacht«, so Heinrich.
Das ist freilich nur ein Nebenaspekt, aber einer, von der die Beschreibung des Neuigkeitswertes, der Originalität, auch der theoretischen Sprengkraft dieses Buches ausgehen muss, weil, das konnte man schon in der Z lesen, »sich die Rezeptionskontexte in die Werke selbst einschreiben«. Das gilt für 1867 genauso wie für 2017. »Ein unbefangener, von divergierenden Lesarten befreiter Zugang existiert nicht. Jeder Satz, jeder Begriff ist belagert von Deutungen und Kontroversen.«
Was aber folgt aus diesen? Es gibt mehrere Möglichkeiten. Heinrich schreibt mit genauem Blick auf das Unfertige, das von Marx selbst wieder infrage Gestellte, Das Kapital sei »noch längst nicht fertig. Dies gilt nicht bloß in dem banalen Sinn, dass sich der Kapitalismus weiterentwickelt und dass daher immer wieder Aktualisierungen oder Ergänzungen notwendig sind.« Man darf, auch angesichts der weiter laufenden Edition von Vorarbeiten, Schriften und so fort, gespannt sein.
Ob nun unter Berufung auf Eduard Bernstein, der heute aus den unterschiedlichsten und oft falschesten Gründen nicht mehr viel gilt, ob mit einem Zitat von Dietmar Dath oder von Antonio Labriola – man kann zeitgemäße Marxrezeption als eine ansehen, die »nicht im ewigen Wiederholen der Worte der Meister« schon ihr Ziel sieht, sondern durch Verstehen überwindet.
Es ist dies wohl nicht dieselbe Schlussfolgerung, die die Autoren des zu Beginn genannten Textes über linke Marx-Jubiläumsrezeption für sich ziehen. Da steht: »Marxens Analyse und Kritik angemessen würdigen hieße, zu ihrer wissenschaftlichen und politischen Restauration beizutragen.« Restauration? Was hieße denn nach 150 Jahren Das Kapital, den alten Zustand wiederherzustellen? Welchen? Und war der etwa besser?
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