Wirtschaft
anders denken.

Karl Marx und das Klima

17.07.2021
Gesägtes Holz auf einem StapelFoto: adege auf PixabayAm Beispiel der Holzwirtschaft erklärt Marx das Verhältnis zur Natur

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur – der Stoffwechsel – beschäftigte schon Marx. Viele seiner Ansichten dazu sind bis heute gültig. Aus OXI 7/21.

Karl Marx kannte nicht die Ausmaße der Klimakrise, das Problem war im 19. Jahrhundert noch nicht offen sichtbar zutage getreten. Er hat sich jedoch mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur beschäftigt, und obwohl der Begriff Ökologie damals nicht weit verbreitet war, spielt dieses Verhältnis in seinem Denken eine zentrale Rolle. Auf Basis dessen lassen sich aus seiner Analyse der kapitalistischen Produktionsweise und seiner Forschungsmethode wichtige Schlüsse für heutige Diskussionen zu Ökologie und Klima ziehen.

In diesem Zusammenhang muss an einen grundlegenden Aspekt des Marx‘schen Schaffens hingewiesen werden. Karl Marx hat zeit seines Lebens geforscht und sich Wissen angeeignet, um die Beschaffenheit kapitalistischer Gesellschaften zu erfassen. In seine Forschung sind damals aktuelle Debatten und Ergebnisse zahlreicher Wissenschaften eingeflossen, darunter sämtlicher Naturwissenschaften. Und er hat seine theoretischen Positionen daran geprüft und entwickelt. Wir finden beim jungen Marx Stellen, wo Begeisterung für die beispiellose Produktivkraftentwicklung im Kapitalismus vorscheint, die den Menschen die Macht verleihe, die Natur zu beherrschen. Die Idee der Naturbeherrschung ist später nuancierter und wir finden sowohl in seinen zur Veröffentlichung bestimmten Texten als auch in den Exzerpten aus seinen umfangreichen Lektüren kritische Ansichten zu den Auswirkungen der kapitalistischen Produktion auf Mensch und Natur. Das betrifft beispielsweise auch die Rolle von Technik im Kapitalismus, die in erster Linie dem Zweck der Profitmaximierung untergeordnet ist.

Schon in jungen Jahren schreibt Marx, dass Natur die erste Voraussetzung für die Reproduktion von Gesellschaften ist. Er fasst sie in doppelter Hinsicht auf: Als menschliche Natur und als äußere, den Menschen umgebende Umwelt. Die äußere Natur ist der Gegenstand, der durch Arbeit verändert wird, um Dinge herzustellen, die Menschen zum Überleben brauchen. Die menschliche Arbeit, die in seiner Gesellschaftstheorie eine prominente Rolle hat, vermittelt das Verhältnis zwischen Mensch und Natur und ist als solche Bedingung der menschlichen Reproduktion. Zweite gleichrangige Bedingung hierfür ist die äußere Natur, die das Arbeitsmaterial liefert. Indem gearbeitet wird, verändert sich auch die menschliche Natur: Der Mensch eignet sich neue Fertigkeiten an, sein Körper und Denkvermögen werden trainiert und modifizieren sich dabei im Laufe der Geschichte.

Der Kapitalismus stört den Stoffwechsel

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur bezeichnet Marx später auch als Stoffwechsel. Damit ist wie für alle organische Lebewesen gemeint, dass Menschen in ihrem Verhältnis zur Außenwelt Naturstoffe nehmen, sie verändern, und die Abfälle der Produktion in die natürliche Umgebung zurückfließen.

Im Kapitalismus ist dieser Prozess aufgrund der Logik und Dynamik der Produktionsweise gestört. Marx spricht von einem Riss im Stoffwechsel mit der Natur: Der Kreislauf von Aufnahme, Veränderung und Rückgabe in Form von Abfällen funktioniert nicht mehr so, dass die Reproduktion der Menschen und die Wiederherstellung der natürlichen objektiven Grundlagen der Produktion gewährleistet werden.

Marx beschäftigt sich schon seit den 1840er Jahren mit Landwirtschaft und den Theorien der Grundrente. Debatten über Bodenfruchtbarkeit und Bevölkerungszuwachs wurden damals bereits seit Jahrzehnten geführt: Eine der zentralen Fragen war in diesem Zusammenhang, ob die moderne Landwirtschaft die steigende Nachfrage der Industrie und die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung befriedigen könne.

Marx setzt sich damit intensiv auseinander und vertieft sich hierfür auch in zahlreiche naturwissenschaftliche Disziplinen. Manche Ergebnisse seiner Reflexion sind in seine theoretischen Werke eingeflossen, andere können wir durch Heranziehung von Exzerpten und Notizen rekonstruieren.

Der Riss im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur ist dem Wachstumszwang des Kapitals geschuldet. Im Kapitalismus sind die Privatproduzent:innen Privateigentümer:innen, die in Konkurrenz zueinander stehen: Bei Strafe des Untergangs müssen sie die technischen Standards der gesellschaftlichen Produktion einhalten und am besten produktiver als die Konkurrent:innen sein. Das heißt, noch schneller Waren herstellen, die sich billiger auf dem Markt verkaufen lassen. Hohe Profite durch den Verkauf billiger Waren werden eingestrichen, wenn die gesamte Warenmasse zunimmt: Und so ist es erforderlich, immer größere Mengen zu produzieren. Stofflich betrachtet bedeutet dies, dass immer mehr Ressourcen verwendet werden müssen, seien es Rohstoffe oder Energie. Das Privateigentum ist ein Hindernis für einen funktionieren Stoffwechsel mit der Natur.

Marx liest Naturwissenschaft

Die Privatproduzent:innen stehen zudem unter dem zeitlichen Druck, schnelle Profite zu generieren: Marx beschreibt die Methoden der Verkürzung der Umschlagzeit, das heißt der Zeitspanne von den Investitionen, der Produktion bis zum Verkauf der Waren (zur Phase des Verkaufs gehören Transport und Logistik). Ein Beispiel ist die Holzproduktion: Investitionen in Aufforstung bringen erst mittel- und längerfristig Erträge, und die Privatproduzent:innen versuchen, solche Investitionen auf ein Minimum zu reduzieren. Unter kapitalistischen Bedingungen liegt vielmehr immer der Versuch nahe, sich durch Raubbau einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Aus den gleichen Prinzipien ist die Auslaugung landwirtschaftlicher Böden zu erklären. Ein Thema, das Marx intensiv beschäftigt: Er liest Abhandlungen zur Geologie, Mineralogie, organischen Chemie, Physiologie der Pflanzen, Physik, Agronomie. Die künstliche Düngung entsteht zu seiner Zeit mit dem Ziel der Verbesserung landwirtschaftlicher Erträge. Nach anfänglicher Begeisterung kommt er zur Ansicht, dass diese Technologie dazu führt, dass Pflanzen die Nährstoffe zwar schneller aufnehmen, damit aber die Böden schneller auslaugen.

Marx erkennt in der Beschäftigung mit diesen Themen die Grenzen der Entwicklung von Technik im Kapitalismus, denn sie erfolgt auf Kosten von Mensch und Natur. An manchen Stellen bestreitet er, dass von Produktivkraftentwicklung die Rede sein kann bei Technologien, die lediglich dazu dienen, die ökologischen Kosten der kapitalistischen Produktionsweise wieder wettzumachen. Hier ist von Naturbeherrschung nicht mehr die Rede.

Ein weiteres in diesem Zusammenhang relevantes Thema geht er in seinem Hauptwerk, dem »Kapital«, an: die Trennung von Stadt und Land und die Kritik der ökologischen Folgen kapitalistischer Urbanisierung. Darin sieht Marx einen weiteren Grund für den Riss im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur: Die moderne Landwirtschaft muss weit entfernte Städte ernähren, und die menschlichen Abfälle, die früher als Düngung für die Felder dienten, sind eine Ursache für Umweltverschmutzung.

Obwohl Marx in einigen Exzerpten auch auf Kohle als Rohstoff zur Energieerzeugung und ihre Ausbeutung eingeht, ist er kaum auf das Thema Energie eingegangen. Natur wird auch hier bis zur Erschöpfung und ungeachtet der Regenerationszeiten der Ressourcen ausgebeutet, wenn wir die nötigen Rohstoffe und Energie für die Herstellung von Energieinfrastruktur berücksichtigen. Und die entstehenden enormen Mengen an Abfällen übersteigen auch hier die natürlichen Absorptionskapazitäten. Mit dem Riss im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur kann also auch der Zusammenhang von gesellschaftlichen Verhältnissen und Klimakrise interpretiert werden.

Marx versteht Natur nicht als unberührbare überhistorische Natur. Natur wird von den Menschen modifiziert, und es besteht eine Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen und ökologischen Verhältnissen. Seine Perspektive ist dabei die einer rücksichtsvollen Nutzung von Naturressourcen, die die Bedingungen der Reproduktion von künftigen Menschengenerationen nicht zerstört.

Wenn von ökologischer und Klimakrise die Rede ist, dann lohnt sich die Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit unserer Gesellschaft. Aus dieser ergeben sich die Ursachen der existenziellen ökologischen Probleme, vor denen wir stehen. Ihre Lösung erfordert die Überwindung der gegenwärtigen sozio-ökonomischen Verhältnisse.

Geschrieben von:

Valeria Bruschi

Bildungsreferentin

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