Wirtschaft
anders denken.

»Maximal 4.000 Leute«: OXI-Überblick zu Eliten, Rechtspopulismus und Machtkritik

16.08.2018
OXIEine Frage des Aufstiegs - oder nicht?

Michael Hartmann setzt seine Kritik der Eliten im Kapitalismus mit einem neuen Buch fort: »Die Abgehobenen«. Der Soziologe will dabei differenzierter argumentieren als populistische »Gegen die da oben«-Gefühlspolitik. Auch andere Experten verweisen auf Parallelgesellschaften mit antisozialen Reflexen. Ein OXI-Überblick.

Michael Hartmann ist wohl das, was man den bekanntesten Eliten-Experten hierzulande nennen könnte. Die Liste der Veröffentlichungen des emeritieren Soziologen ist lang: »Eliten in Deutschland«, »Elitesoziologie«, »Eliten und Macht in Europa«, »Deutsche Eliten«, »Die globale Wirtschaftselite«… und das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Nun kommt ein neues Buch von Hartmann in die Läden: »Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden«.

Hartmann hat ein paar zentrale Thesen bereits in Interviews verbreitet. Es geht erstens um die Frage, wer überhaupt Elite ist. »Wenn jemand Millionär ist und sein Geld bloß auf dem Sparbuch liegen lässt, gehört er nicht zur Elite. Wenn er es nutzt, um Einfluss zu nehmen, dann schon«, so Hartmann. Es gebe dabei zwar wissenschaftliche Kontroversen um die Abgrenzung, aber: »Egal wie man rechnet: In Deutschland umfasst die Elite im Kern etwa 1.000, breiter gefasst maximal 4.000 Leute.«

Zweitens ist »Elite« ein Begriff, der in der politischen Auseinandersetzung populistisch von rechts aufmunitioniert, in eine »Gegen die da oben«-Gefühlspolitik umgelenkt wird, wobei gesellschaftliche Hintergründe von Machtverteilung, Ungleichheit und den Parallelgesellschaften der Vermögenden meist ausgeblendet bleiben. Hartmann dazu: »Die Rechtspopulisten verwenden den Elitenbegriff sehr pauschal. Meine Kritik ist viel differenzierter. Ich sage: Die Eliten haben sich – in einem bestimmten historischen Zeitraum – immer mehr von der Bevölkerung entfernt, sowohl was ihre soziale Herkunft angeht, als auch ihr Denken und Handeln.«

Hartmann macht drittens auf einen Unterschied in den Dynamiken bestimmter Eliten aufmerksam: »Bei der Wirtschaftselite hat sich nichts getan, die ist nach wie vor sehr geschlossen«, so Hartmann, in den hundert größten deutschen Unternehmen würden 2018 »wie seit Jahrzehnten vier von fünf Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden aus Bürger- oder Großbürgerfamilien« kommen, »also aus den oberen vier bis fünf Prozent der Bevölkerung«. In der Politik, die der Soziologe als lange Zeit funktionierenden »Gegenpol zur Wirtschaft« ansieht, sei die soziale Offenheit der vergangenen Jahre aber inzwischen verloren gegangen: »Auf einmal gab es zwei Drittel Bürgerkinder. Aktuell hat es sich wieder etwas normalisiert, jetzt ist das Verhältnis etwa Fünfzig-Fünfzig.« Die Veränderung, so Hartmann, sei »zwischen 1999 und 2009« eingetreten.

Äußerungen Hartmanns in diese Richtung haben bereits Widerspruch erfahren, etwa vom Journalisten Nils Minkmar. Auf einen zugespitzten Tweet der »Süddeutschen Zeitung«, die den Aufstieg der Rechtspopulisten auch damit zusammenbringt, »dass die führenden Politiker vermehrt aus den wohlhabenden  Bevölkerungsgruppen stammen«, reagierte Minkmar mit den Worten: »Nahles? Schulz? Merkel? Steinmeier? Die These folgt einem gängigen Klischee, ist aber nach meiner Erfahrung Unsinn. In kaum einem anderen Land sind PolitikerInnen den Bürgern so ähnlich.«

Hartmann hatte an anderer Stelle gesagt, »einen Arbeiterhintergrund haben heute nur zwei im Kabinett: Peter Altmaier und Horst Seehofer«. Schulz und Nahles sind nicht in der Regierung, Steinmeiner kommt aus einem Arbeiterhaushalt, Merkel aus einem Pfarrershaus. Aber davon abgesehen stellt sich immer auch die Frage, ob der größer werdende Anteil von zum Beispiel Akademikern nicht auch eine Dividende früherer Aufstiegsmöglichkeiten ist, anders gesagt: Arbeiterkindern, die in den 1960er und 1970er Jahre eine Universitätsausbildung mit den folgenden sozialen Statushierarchien ermöglicht wurde, haben keine Arbeiterkinder mehr, die auch noch einmal aufsteigen könnten.

Hartmann spricht allerdings von »Bürger- oder Großbürgerfamilien«, die er als die »oberen vier bis fünf Prozent der Bevölkerung« beschreibt. Es geht hier also weniger um Bildungshintergrund und Berufsstatus, sondern mehr um materielle Positionen, die daraus Einfluss haben können aber nicht müssen: um Einkommen, Vermögen usw. (Zu Problemen des heutigen Gebrauches des Begriff des Bürgerlichen siehe hier.) Diese Eliten »leben in einer völlig anderen Welt: Viele wohnen in sozial homogenen Wohnvierteln. Sie haben einen anderen Alltag, andere Hobbys, andere Möglichkeiten«, so Hartmann. Daraus folge eine Distanz zu Lebenswirklichkeiten, Problemlagen und so weiter. »Je reicher Personen in den Eliten aufgewachsen sind, umso unproblematischer sind für sie gesellschaftliche Ungerechtigkeiten.«

Der Verlag beschreibt die Botschaft des Buches so: »Wem Steuern als staatlicher Raubzug, Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt gelten, dem geht das Unrechtsbewusstsein ab. Soziale Unterschiede, auch sehr große, werden als Leistungsgerechtigkeit verteidigt. Man lebt frei von materiellen Sorgen und damit verbundenen Alltagsproblemen isoliert im eigenen Kosmos.«

Der Soziologe illustriert das an Beispielen, aber die Argumentation folgt hier einem recht holzschnittartigen Verständnis von »das Sein bestimmt das Bewusstsein«, denn man muss nicht arm sein, um soziale Ungleichheit abzulehnen, man kann sogar Kapitalist sein, um systemische Ursachen für soziale Spaltungen und ihre Reproduktion durch Macht zu kritisieren, wie das etwa Friedrich Engels tat. »Dass ein Politikwechsel nur durch eine durchgreifende soziale Öffnung möglich ist«, darauf läuft das Buch hinaus, am Ende steht ein Plädoyer für eine Politik a la Corbyn und eine Kritik der Politik von Macron.

Auch der Hamburger Soziologe Sighard Neckel hat das Elitenproblem gerade in der »Wirtschaftswoche« anhand der Financial Professionals durchdekliniert. »Aufgrund ihrer Vernetzung, ihrer wirtschaftlichen Privilegierung und einer Abgrenzung nach außen ist eine Parallelgesellschaft der Hochverdiener entstanden, die sich in einer eigenen Wirklichkeit eingerichtet hat und von den gesellschaftlichen Prozessen um sie herum kaum noch erreichbar ist«, schreibt Neckel in seinem Gastbeitrag. »Normative Verpflichtungen dem allgemeinen Wohl gegenüber relativieren sich in dem Maße, wie die Distanz zu den Realitäten konkreter Lebenswelten wächst. So entsteht eine abgegrenzte Elitenwelt mit antisozialen Reflexen, die nirgendwo zu Hause ist außer in den Refugien ihrer eigenen Privilegierung.«

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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