Wirtschaft
anders denken.

Mehr Markt, mehr Streit: Die CDU, ein neues Wirtschaftsprogramm und eine Chance

16.09.2018
Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Scholz und Merkel

Die CDU stellt die Suche nach einer neuen wirtschaftspolitischen Orientierung unter die Losung »mehr Markt«. Das soll enttäuschte Wirtschaftsliberale befrieden und das Profil unter anderem gegen die SPD schärfen. Für das Mitte-links-Lager ist das eine Chance, es müsste aber auch selbst ein bisschen mehr zur »politischen Polarisierung« beitragen.

»Wir als CDU wollen mehr Marktwirtschaft«, sagt Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer – und man wird sich vielleicht dereinst an diesen Satz als Ausgangspunkt einer wirtschaftspolitischen Kurskorrektur der Union erinnern. In der FAS malt Kramp-Karrenbauer das Bild einer »Welle des Sozialpopulismus« an die Wand, der sich die CDU als eine Art Buhne entgegenstellen möchte. »Auch in dieser Frage erleben wir ein Roll-Back. Wir führen die Debatte über unser Wirtschaftsprogramm vor dem Hintergrund einer gegenläufigen Bewegung.«

Der Parteitag im Dezember soll nun »Auftakt einer umfassenden Diskussion über unsere grundsätzliche programmatische Ausrichtung« werden, so steht es eingangs eines entsprechenden Antrags, auf den die Generalsekretärin in dem Gespräch abstellt. Dabei werden viele Wortwolken produziert, »die Soziale Marktwirtschaft« zieht gleich mehrfach vorüber, wird als Teil der »Identität als CDU« gepriesen und Kramp-Karrenbauer kündigt an, »das bisherige Konzept unter veränderten Bedingungen schärfer fassen« zu wollen. Dies werde in der CDU »sicher zu dem einen oder anderen Streit führen«.

Es steckt wohl auch ein taktischer Gedanke hinter dem Vorstoß: Immer wieder wird vom Unmut des so genannten »Wirtschaftsflügels« in der Union berichtet, der zürnt über sozialpolitische Kompromisse in der Koalition, drängt auf Steuerentlastung als Hebel in der internationalen Standortkonkurrenz, fordert Deregulierungen – und fühlt sich stark: Unlängst hieß es in der »Welt«, nie zuvor »war der Anteil der wirtschaftsnahen Parlamentarier in der Union größer. Diese Macht wollen sie nutzen, um die Kanzlerin unter Druck zu setzen«.

Zugleich bettet die Losung »mehr Markt« auch die stärkere Orientierung von Teilen der CDU auf staatliche Eingriffe in eben diesen Markt ein. Zuletzt ging es dabei vor allem um die Verhinderung chinesischer Investitionen, ein mit angeblichen Sicherheitsinteressen begründeter Teil-Protektionismus, der zudem unter Verweis auf die Tendenz zur wirtschaftspolitischen Einmauerung anderswo gerechtfertigt wird. »Eine strategische Industriepolitik«, sagt Kramp-Karrenbauer, »haben wir in Deutschland bisher eher abgelehnt. Nun betreiben andere Staaten aber genau das.« Und weiter: Wenn man mit dem aufstrebenden China konkurrenzfähig bleiben wolle, zudem auf europäische Gemeinschaftsunternehmen setzt, etwa in der Rüstung, »muss es eine andere Form der politischen Steuerung geben«.

Ein anderes Motiv dürfte die relative Schwäche der Union sein – man erinnere sich, wie Angela Merkel 2003 die Partei auf einen deutlich wirtschaftsliberalen Kurs bringen wollte. Eine »neue Soziale Marktwirtschaft« wurde damals propagiert, es sollte »Freiraum, Eigenverantwortung und mehr Luft zum Atmen« für die Unternehmen geben, Merkel damals wörtlich: »Der Staat muss sich zurückziehen im Bereich von Wirtschafts- und Sozialpolitik.« Spätestens mit der Finanzkrise, den milliardenschweren staatlichen Aufräumarbeiten privater Spekulationen, war davon nicht mehr die Rede. Die Kanzlerin geriet in den Verdacht, die CDU auch wirtschaftspolitisch »zu sozialdemokratisieren«.

Man übersehe nicht: Die ersten Zuckungen, die zur AfD führten, waren wirtschaftspolitisch motiviert, eine Abspaltung als Votum gegen den Eurokrisenkurs, ein konservativ-neoliberales Abbröckeln. Seither ist immer wieder einmal das Wort erhoben worden dahingehend, die CDU müsse zu »marktwirtschaftlicher Vernunft« zurückkehren, gemeint war: weniger Konzessionen an den sozialpolitischer orientierten Flügel, auch weniger Konzessionen an die SPD. Zuletzt stellte sich der »Wirtschaftsflügel« unter anderem am Rande der Regierungsbildung auf die Hinterbeine und führte dabei das Wort der Unternehmensverbände als sein eigenes.

Eine Erhöhung der wirtschaftsliberalen Lautstärke der CDU wäre also auch Teil eines Versuchs, ein bestimmtes Milieu enttäuschter früherer Wähler wieder zurückzuholen. Kramp-Karrenbauer findet selbstverständlich andere »Anlässe«, der FAS zählte sie diese auf: »Neu sind die Digitalisierung, eine veränderte geopolitische Lage und der Wettbewerb mit staatlich gelenkten Systemen, die anders als der alte Kommunismus wirtschaftlichen Erfolg produzieren.« Oder, kürzer formuliert: etwas, das man als Sachzwang ausgeben kann, sowie Trump und China.

Positiv betrachtet könnte eine wirtschaftspolitische Kurskorrektor in diesem Sinne zu jener »politischen Polarisierung« beitragen, die Jürgen Habermas einmal als notwendige Voraussetzung zur Bekämpfung des Rechtsrucks beschrieben hat: »Zwischen den etablierten Parteien«, sagte er in den »Blättern«, müsste sich der Wettbewerb wieder »um sachliche Gegensätze kristallisieren«. Habermas hatte damals eine linke Antwort auf die Frage im Sinn: »Wie erlangen wir gegenüber den zerstörerischen Kräften einer entfesselten kapitalistischen Globalisierung wieder die politische Handlungsmacht zurück?«

Die CDU bereitet sich nun tastend darauf vor, eine marktliberale zu finden – das Problem der Polarisierungsüberlegung ist eher, dass die Sozialdemokraten ihrerseits zu ängstlich sind, die darin liegende Chance wahrzunehmen, und zur Politik auf einem ureigenen Themenfeld zurückzufinden, also: noch deutlicher auf eine Rückkehr des Öffentlichen, auf Intervention gegen den und Wiedereinbettung des Marktes, auf praktische, linksreformerische Kapitalismuskritik zu setzen.

Versuchte man einmal aus dem Antrag für den CDU-Parteitag aus der überbordenden Vielfalt von leeren Phrasen wie »Politik und Wirtschaft müssen den Menschen dienen« die Substanz herausfiltern, würde man vielleicht dieses Bild bekommen: Um in einem neuen »Wettbewerb der Systeme« (China, Trump, Renationalisierung) den wirtschaftlichen Erfolg vor allem der exportorientierten Unternehmen zu sichern, sollen standortpolitisch an Stellschrauben gedreht werden – weniger Regulierung, neue Privatisierungen, haushaltspolitische Austerität, mehr Eigenverantwortung der Einzelnen, mehr Wettbewerb, Beseitigung von »Fehlanreizen« in der Sozialpolitik, eine marktförmige Umweltpolitik, Vermögensbeteiligung von Beschäftigten als neue starke Säule der »Sozialpartnerschaft«, Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts auf europäischer Ebene…

Das ist im Grunde nicht allzu weit entfernt von dem, was die Regierungen unter Merkel in der Vergangenheit auch als Ziele verfolgt haben, freilich dabei geprägt von aktuellen Rahmensetzungen (Finanzkrise) oder parlamentarischer Kompromisslogik (GroKo). Wenn aber der Gedanke richtig ist, es müssten wieder mehr und grundsätzlichere Unterschiede in der Politik deutlich werden, die auch mit richtungsentscheidenden Fragen verbunden werden können, könnte eine wirtschaftspolitische Kursdebatte der CDU zum Segen werden – für das Mitte-Links-Lager. Das freilich müsste dann seine eigene wirtschaftspolitische Grundmelodie lauter, gern auch mal schriller intonieren.

Man stelle sich vor, es gibt eine Debatte, in der Rot, Rot und Grün nicht vor allem als Parteienfarben gedacht werden, sondern als miteinander korrespondierende Säulen einer gesellschaftspolitischen Kehrtwende, die soziale, ökologische, weltgesellschaftliche, demokratische und freiheitliche Aspekte neu und überzeugend miteinander verknüpft…

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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