Mehr Staat, weniger Markt: Memo-Gruppe fordert öffentliches Wohnungsbauprogramm
Die Wohnungskrise ist ein Schwerpunkt des diesjährigen Memorandums der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Den Schlüssel zur politischen Gestaltung der Wohnungsfrage sehen die ÖkonomInnen in einem wachsenden öffentlichen Bestand.
ÖkonomInnen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordern »einen energischen Auftritt des Staates als eigener Bauherr durch öffentliche Wohnungsunternehmen«. Auf diese Weise könnten »gezielt öffentliche (kommunale) Wohnungen« errichtet »und durch eine eigenständige Mietpreispolitik« Beiträge zur sozialen Lösung der Wohnungsfrage geleistet werden. Auf der anderen Seite spricht sich das diesjährige Memorandum gegen eine Fortsetzung der Strategie »marktgetriebener Subjekt- oder Objektförderung zur Lösung des Problems« aus. Investitionen in den öffentlichen Wohnungsunternehmen »zum Neubau guter und bezahlbarer Wohnungen«, die dann auch »dauerhaft in öffentlichem Eigentum verbleiben« seien dagegen der richtige Weg, so die Bremer Volkswirtin Mechthild Schrooten von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Ein erster Schritt könne hier »ein öffentliches Sofortprogramm von sieben Milliarden Euro pro Jahr zur Errichtung von 100.000 neuen geförderten öffentlichen Wohnungen« sein.
Linker Widerspruch gegen »kapitalorientierte Positionen«:
Die Memoranden zur Wirtschaftspolitik als Archiv
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist ein Schwerpunkt des diesjährigen Memorandums. Die Situation werde »zumindest in den Metropolen immer dramatischer«, heißt es in der Kurzfassung des Papiers, das am Montag in Berlin vorgestellt wurde. »Die Angebotsmieten sind in den vergangenen zehn Jahren in den Metropolen um mehr als 60 Prozent gestiegen. Die Kaufpreise für Immobilien haben zwischen 2009 und 2017 bundesweit um 61 Prozent zugenommen. Die Bodenpreise sind seit 2011 um mehr als 36 Prozent gestiegen, teilweise um bis zu 1.000 Prozent. Es fehlen 1,9 Millionen bedarfsgerechte Wohnungen«, so die Gruppe kritischer WirtschaftswissenschaftlerInnen und GewerkschafterInnen, die erstmals 1975 ein »Memorandum« vorgelegt haben. Da etwa die Hälfte der Bevölkerung wohnt zur Miete wohne, für die im Schnitt etwa 30 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens aufgewendet werden müssten, liege hier ein entscheidender Hebel der sozialen Frage.
Nach Ansicht der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik würden viele der aktuellen Vorschläge zum sozialen Wohnungsbau »die Fehler des alten marktbegleitenden Fördermodells mit befristeter Sozialbindung« fortschreiben. »Die Neubauzahlen bleiben weit hinter dem Bedarf zurück. Das sogenannte Baukindergeld wird tatsächlich fast ausschließlich zum Erwerb von Bestandsimmobilien genutzt.« Angesichts von über einer Million fehlenden Wohnungen sei dringend ein Neuaufbau der Baukapazitäten nötig. Der Nachfrageboom werde von der Bauwirtschaft jedoch vorrangig »mit Preiserhöhungen« mitgenommen, wobei langfristige Investitionen ausbleiben.
»Ohne eine öffentliche, langfristig sichere Nachfrage nach Bauleistungen werden die Unternehmen ihre Kapazitäten nicht erweitern und nicht in neue, kostensenkende serielle Bauverfahren investieren«, so das »Memorandum«. Gewarnt wird vor einer Sackgasse: »Trotz sich zuspitzender Probleme auf den Wohnungsmärkten sind in der Debatte keine realistischen Alternativen erkennbar. Die Situation erscheint ebenso schlimm wie unveränderbar. In der Antwort auf den bestehenden Wohnungsmangel muss es aber darum gehen, aktiv die gesellschaftlichen Lebensbedingungen für die kommenden Jahre zu gestalten.« Dabei gehe es nicht zuletzt um die Siedlungsstruktur, deren Zustand »weder unter sozialen noch unter ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig« sei.
Eine den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechende und nicht vorrangig der Logik privater Aneignung unterworfene soziale Infrastruktur, zu der die Wohnungsversorgung gehört, ist allerdings nicht bloß eine Frage der besseren Argumente. Es geht, so die Arbeitsgruppe »um politische Kräfteverhältnisse und materielle Veränderungen«. Eine politische Gestaltung des Wohnungsmarktes sei »nur mit einem wachsenden öffentlichen Wohnungsbestand« möglich – hier liege der Schlüssel zu Alternativen »zu den massiven Mietsteigerungen bei Neuvermietungen, den damit verbundenen Mietsteigerungen im Bestand und den spekulativen Steigerungen der Bodenpreise insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen«.
Die Wohnungsfrage ist freilich keine isolierte Problemzone kapitalistischer Gesellschaften, sie wird von der Memo-Gruppe als unter anderem eng »mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Verteilungspolitik« verknüpft betrachtet. Hinzu kommen ökologische und globale Herausforderungen. Massenarbeitslosigkeit, ungleiche Verteilung, Pflegepolitik und Europa stehen daher im Fokus des diesjährigen Memorandums, das als »Gegengutachten« zu den jährlichen Veröffentlichungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung betrachtet werden kann.
Die Langfassung des Memorandums erscheint Ende April 2019 als Buch.
Foto: Michael Gaida, Pixabay
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