Wirtschaft
anders denken.

Mehrere Werthebel gleichzeitig: Börsennotierte Vermieter und der Mietenwahnsinn

23.04.2018
Ricardo Gomez Angel/Unsplash

Börsennotierte Wohnungsunternehmen vermieten inzwischen fast eine Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik. Mancherorts dominiert die Renditeorientierung schon die Märkte, Einfluss auf das ganze Vermietergeschäft haben die Börsennotierten ohnehin.

Börsennotierte Wohnungsunternehmen sind in der Bundesrepublik »erst seit wenigen Jahren eine relevante Anbietergruppe«. Welche Rolle die börsennotierten Vermieter inzwischen spielen, hat eine 2017 erschienene Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gezeigt: Solche Akteure »dominieren mittlerweile die Gruppe der größten Wohnungsunternehmen in Deutschland«, sagt BBSR-Chef Harald Herrmann. 

Zusammen kamen sie zum Zeitpunkt der Untersuchung zwar nur auf rund 900.000 Mietwohnungen hierzulande. Das ist nicht gerade viel, die Zahl beläuft sich auf weniger als 4 Prozent des Mietwohnungsbestandes. Allerdings besitzen allein drei börsennotierte Vermietungsunternehmen eine sechsstellige Zahl von Wohnungen, das sind die Konzerne Vonovia, deren rund 400.000 Wohnungen aus der Übernahme Gagfah durch die Deutsche Annington Immobilien SE stammen, die Deutsche Wohnen mit rund 150.000 Wohnungen und die LEG mit rund 128.000 Wohnungen. Hier kommt auf ein Konzentrationsprozess zum Ausdruck, die Folge einer Übernahmewelle, die in den Jahren 2013 bis 2015 ihren Höhepunkt hatte. 

Wie das BBSR in seiner Studie schreibt, haben börsennotierte Wohnungskonzerne bisher »keine marktbestimmende Position erreicht«. Ausnahmen gibt es freilich, und die wirken sich auch deutlich aus. So dominieren solche Unternehmen einzelne regionale Teilmärkte. So konzentrieren sich die Bestände der börsennotierten Vermieter »räumlich in den größeren Städten und dort wiederum in bestimmten Quartieren«, zudem »enthalten sie einen hohen Anteil an Sozialwohnungen bzw. ehemaligen Sozialwohnungen. Besonders hohe Marktanteile der börsennotierten Wohnungsunternehmen sind in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen festzustellen«.

Geschäftsmodelle wirken sich aus

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass »sich ihre spezifischen Geschäftsmodelle vermutlich zumindest indirekt auf die übrigen Marktteilnehmer auswirken«. Die Analyse habe »insgesamt ein heterogenes Bild dieser Anbietergruppe« gezeigt. Das erfordere »auch differenzierte Einschätzungen ihres Agierens am Markt«, so BBSR-Chef Herrmann. 

Allerdings gibt es sozusagen einen übergreifenden ökonomischen Effekt: »Durch die Börsengänge wird die Handelbarkeit der Wohnungsaktien erst ermöglicht und es ergeben sich für die Unternehmen neue Möglichkeiten der Finanzierung, unter anderen in Form von zukünftigen Kapitalerhöhungen und Anleiheemissionen. Neben den erweiterten Finanzierungsmöglichkeiten haben die Börsengänge und der nachfolgende Handel mit den Aktien eine große Bedeutung für die weitere Entwicklung der Kontroll- und Eigentumsverhältnisse.« Da Anleihen und mehr noch Kapitalerhöhungen spezifische Instrumente börsennotierter Gesellschaften sind, sei »der Börsengang eine fast zwangsläufige Voraussetzung für die beobachteten externen Wachstumsprozesse dieser Wohnungsunternehmen«. Und: »Die börsennotierten Wohnungsunternehmen streben offensichtlich stärker als andere Anbietergruppen am Wohnungsmarkt nach Expansion, Größe und hohen Marktanteilen.« 

Zunahme unternehmerischer Freiheitsgrade

Was hat das für Folgen? Unter anderem diese: »In fast allen Fällen haben sich nach den Börsengängen die Kontrollverhältnisse entscheidend geändert: Die Unternehmen haben sich als Folge der Börsengänge und des nachfolgenden Aktienhandels von inhaberkontrollierten Gesellschaften zu Publikums-Aktiengesellschaften entwickelt.« Der Streubesitz der Anteile liegt bei den wichtigsten börsennotierten Wohnungskonzernen über 80 Prozent. Daraus folge für das Management der Unternehmen »eine Zunahme der unternehmerischen Freiheitsgrade«, also mehr Spielraum, der aber weniger im Sinne nachhaltiger Überlegungen oder der Mieter genutzt wird, sondern wegen des gleichzeitig auch steigenden »Performancedrucks« immer enger im Sinne des Shareholder Values. 

Der soziale Kern dieser Orientierung läuft darauf hinaus, die Interessen der Aktionäre gegenüber allen anderen zu privilegieren. In den Worten der zitierten Studie: »Gemeinsam ist den börsennotierten Anbietern ihre Neigung, mehrere Werthebel gleichzeitig zu aktivieren und die einzelnen Werthebel zum Teil sehr weitgehend auszureizen. In dieser Hinsicht ist die Gruppe der öffentlichen Wohnungsunternehmen zurückhaltender.« Als Werthebel werden hier unter anderem Mieterhöhungen oder unterschiedliche Investitionsstrategien genannt, etwa geringere Instandhaltung im Bestand.

Börsennotierte Wohnungsunternehmen als neue Akteure auf dem Wohnungsmarkt. Projekt des Forschungsprogramms »Allgemeine Ressortforschung« des Bundesbauministeriums betreut vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), 196 Seiten, 2017.

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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