Wirtschaft
anders denken.

Für die eine ökologische Industriepolitik

09.05.2022
Ein rot-weißer Schornstein raucht vor blauem Himmel mit ein paar WolkenFoto: veeterzyDie Industrie muss beim ökologischen Umbau einen großen Teil leisten.

Ein Ordnungsrahmen in der Industriepolitik führt zu Planungssicherheit in der ökologischen Transformation. Auszug aus dem Memorandum 2022 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

Die Größe der Herausforderungen ist mittlerweile weitgehend unstrittig. Nach den erneuten, noch dramatischeren Warnungen des Weltklimarats IPCC und unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts hat der Deutsche Bundestag im Juni 2021 das Ziel der Klimaneutralität auf das Jahr 2045 vorgezogen und das Zwischenziel für das Jahr 2030 von 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber dem Bezugsjahr 1990 erhöht. Der Industriesektor soll und muss bis zum Jahr 2030 seine Emissionen gegenüber 2020 um mindestens 36,6 Prozent reduzieren. Das erfordert, hier ist sich die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik mit allen wichtigen Akteur*innen aus Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Wirtschaftsverbänden einig, einen umfassenden Umbau der gesamten deutschen Industrielandschaft.

Nach den Berechnungen von Prognos/Öko-Institut/Wuppertal-Institut müssen – nach der Energiewirtschaft – der Verkehr und die Industrie die größten Beiträge zur Minderung des CO2-Ausstoßes bis zum Jahr 2030 leisten und innerhalb der Industrie wiederum die Stahl- und die Chemieindustrie. Deutschland ist unter den entwickelten kapitalistischen Ländern eines der wenigen, in denen die Industrie weiterhin eine wirtschaftliche Schlüsselrolle einnimmt. Zugleich hat Deutschland wegen seines bedeutenden Potenzials an Fachwissen und -kräften und des in Teilen der Industrie weiterhin wichtigen Einflusses von Gewerkschaften und Betriebsräten vergleichsweise gute Möglichkeiten, diese Herausforderung zu bewältigen.

Es geht dabei nicht allein um die Energieeffizienz der Produktion, sondern auch um die der Produkte und von deren Einsatz. Der quantitative Umfang der materiellen Güter – hier richten sich alle Blicke zuerst auf den Verkehrssektor – darf nicht wie bisher von dem der Kapitalverwertung innewohnenden Wachstumsdrang immer weiter aufgebläht werden, sondern ist letztlich zu reduzieren.

Die ausreichende Verfügbarkeit von Ökostrom ist die Grundvoraussetzung sämtlicher Pläne zur Dekarbonisierung der Industrie und des Verkehrssektors. Die massive Beschleunigung des Ökostromausbaus ist die grundlegende Voraussetzung dafür, dass insbesondere in der Chemie- und der Stahlindustrie der Umstieg auf Wasserstoff tatsächlich zu CO2-Einsparungen führt. Dafür wird auch ein rascher Ausbau der Infrastruktur (Stromleitungen, Wasserstoffnetze u. a.) benötigt.

Zu einer sozial-ökologischen Transformation der Industrie gehören die Auswirkungen des steigenden CO2-Preises auf die Verbraucherpreise und die Kosten individueller Mobilität. Es gehört aber auch die Sicherheit nicht nur der bestehenden Arbeitsplätze dazu, sondern zusätzlich die soziale Absicherung bei Übergängen in eine neue Beschäftigung sowohl innerhalb als auch zwischen Betrieben oder gar Branchen. In einer mittel- bis längerfristigen Perspektive gilt es darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Arbeitskräfte, die dann in heute nur ansatzweise bekanntem Wirtschaftsneuland beschäftigt sein werden, dafür im Bildungs- und Ausbildungssystem fit gemacht werden müssen. Die sozial-ökologische Transformation der Industrie erfordert also ein Sofort- und ein Generationen-Programm. Schätzungen über die Netto-Arbeitsplatzeffekte fallen sehr unterschiedlich aus und unterliegen noch großen Unsicherheiten.Klar ist aber: Die Strukturveränderungen
werden nach Branchen und Regionen sehr unterschiedliche Beschäftigungswirkungen haben. Kurz bis mittelfristig kann dies große Verwerfungen in der Regionalentwicklung hervorrufen. Zum anderen ist davon auszugehen, dass auch die Zeiträume, in denen positive oder negative Effekte zu erwarten sind, sehr verschieden sein werden.

Viele Unternehmen, die in wenigen Jahren massiv vom Umbau der Industrie betroffen sein werden, haben sich bislang nur ungenügend oder noch gar nicht darauf eingestellt. Dies betrifft vor allem die Weiterbildung als wichtige Stellschraube sowohl innerbetrieblicher als auch zwischenbetrieblicher Neuorientierung. In der bevorstehenden Umbruchsituation müssen in relativ kurzer Zeit große Teile der Belegschaften weitergebildet werden. Größere Unternehmen sind dazu durchaus in der Lage. Da sie später von den Erträgen der Transformation profitieren, gehört die Finanzierung dieser Investitionen auch ordnungspolitisch zu ihren Aufgaben und sollte nicht durch öffentliche Mittel subventioniert werden. Kleine und mittlere Unternehmen sind dagegen auf externe Angebote angewiesen. Dies ändert zwar nichts an der Verantwortung der Betriebe für die Weiterbildung, sie sollten aber durch die Bundesagentur für Arbeit dabei finanziell unterstützt werden.

Um den Strukturwandel bewältigen zu können, müssen noch konsequenter als in den vergangenen Jahren die Fehlentwicklungen überwunden werden, bei dem die möglichst schnelle Vermittlung auf jeden verfügbaren Arbeitsplatz oberste Priorität der Arbeitsmarktpolitik ist. Stattdessen müssen die vom Strukturwandel Betroffenen durch Beratung und Qualifizierung befähigt werden, eine andere gleich- oder höherwertige Tätigkeit auszuüben. Weiterbildung muss Vorrang vor schneller Vermittlung bekommen, hier muss der Koalitionsvertrag auch umgesetzt werden. Im Zuge der sozial-ökologischen Transformation der Industrie kann es zukünftig häufiger als bisher zu einem umfassenden Tätigkeitswechsel kommen. Auf der Grundlage breit angelegter Grundberufe gibt die Transformation der weiteren Modernisierung der Ausbildungsinhalte einen erneuten Schub.

Ein Hindernis für eine sozial-ökologischen Transformation ist die Dualisierung des deutschen Arbeitsmarkts. Anfang der 1990er Jahre wurden noch 85 Prozent aller Beschäftigten nach Tarif bezahlt, heute sind es nur noch 53 Prozent. Dieses hohe Schutzgefälle macht sich insbesondere bei unfreiwilligen Betriebswechseln bemerkbar. Hier riskiert man durch den Wechsel in nicht-tarifgebundene Betriebe nicht nur Einkommensverluste selbst bei gleicher Tätigkeit, sondern auch eine Entwertung der eigenen Qualifikationen durch den Wechsel auf nicht fachadäquate Tätigkeiten.

Nach Einschätzung der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ist arbeitspolitisch die sozialökologische Transformation der Industrie durchaus zu bewältigen. Der dafür erforderliche Instrumentenkasten lässt sich realistisch beschreiben. Dem Staat kommt hier viel Verantwortung zu, aber auch die aktive und vielfältige Teilnahme der Unternehmen am arbeitspolitischen Teil der Transformation wird von entscheidender Bedeutung sein. Gewerkschaften und Betriebsräte können und müssen hierfür auf Branchen- und Betriebsebene eine aktive Rolle erkämpfen und einnehmen, wofür sie auch mehr Rechte und Befugnisse benötigen.

Die Wirtschaftsverbände formulieren für das Gelingen der Transformation einige Grundforderungen an die Bundesregierung sowie die EU-Kommission (vgl. u. a. BDI):

1. die Verfügbarmachung großer Mengen grünen und kostengünstigeren Stroms;
2. die Bereitstellung der dafür (und für grünen Wasserstoff) notwendigen Infrastruktur;
3. die finanzielle Förderung von Forschung und Produkt-/ Prozess-Innovationen;
4. den Schutz vor Preisdumping im Außenhandel;
5. die finanzielle Entlastung im Prozess der Transformation zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit;
6. Planungssicherheit für längerfristig wirksame Investitions- und Produktentscheidungen.

Insbesondere die ersten beiden Punkte gehören zu den elementaren technologischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einer sozial-ökologischen Transformation der Industrie. Grundsätzlich unstrittig ist der dritte Punkt, die staatliche Förderung von Forschung und Innovation. Dies ist Teil einer Renaissance der Industriepolitik, die von der Vorgängerregierung in einzelnen Bereichen eingeleitet wurde und von der neuen Bundesregierung fortgesetzt werden soll. Der Gewinn aus Innovationen, die durch öffentliche Förderung erzielt wurden, sind zu sozialisieren.

Das Grundproblem bei den Punkten 4 und 5 ist die Aufrechterhaltung der preislichen Konkurrenzfähigkeit gegenüber Anbietern aus Nicht-EU-Regionen. Hier sollen ein sogenannter Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) und sogenannte Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference, CCfD) die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Es handelt sich um eine typische Überbrückungsstrategie, deren genaue Ausgestaltung – einschließlich einer Anpassung des EU-Beihilferechts – noch in Arbeit ist. Beide Instrumente beinhalten den Einsatz öffentlicher Subventionen. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert, dass notwendige Subventionen aus öffentlichen Mitteln an Bedingungen des Staates geknüpft werden, die von den betreffenden Unternehmen als Gegenleistungen zu erfüllen sind. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass die betreffenden Unternehmen dieser öffentlichen Mittel überhaupt bedürfen.

Die beste Planungssicherheit entsteht durch einen allgemein verbindlichen Ordnungsrahmen, so wie dies vor über 20 Jahren mit dem FCKW-Verbot gelungen ist. Einerseits Planungssicherheit zu verlangen und zugleich sowohl Steuersenkungen als auch die Rückkehr zur Schuldenbremse zu fordern, wie dies einige Unternehmensverbände gerne tun, lässt leider die Frage offen, wie denn die für die Bewältigung der Transformation erforderliche Infrastruktur geschaffen werden soll. Die dauerhafte Ausweitung öffentlicher Investitionen schafft eine gute Grundlage für Planungssicherheit.

Richtungweisend für die Form der Unterstützung von Unternehmen ist ein Gutachten, das die Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE zusammen mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat. Es schlägt die Schaffung eines kreditfinanzierten Transformationsfonds in Höhe von 120 Milliarden Euro vor, der Beteiligungen des Bundes mit Blick auf klimafreundliche Technologien, Produktionsprozesse und Produkte bündelt und renditeorientierte Großinvestitionen in den Industriesektoren fördern soll. Durch die Beteiligung kann der Bund zukünftig an den Renditen partizipieren, ein Beteiligungsvermögen aufbauen und vermeiden, Kosten zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren. Zugleich kann Einfluss auf die Umsetzung der Klimaziele genommen und eine Beteiligung der Gewerkschaften eingefordert werden.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert:

  • Für eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation ist ein Bündel von arbeitspolitischen Maßnahmen einzusetzen. Dazu gehören die Berufsberatung im Erwerbsverlauf, Fachkräftestipendien für die Ausbildung in Mangelberufen (Ausweitung des Erwachsenen-Bafögs) und die Einrichtung eines Transformationskurzarbeitergelds.
  • Eine weitere Brücke in neue Beschäftigung sind Transfergesellschaften, mit denen eine mögliche Arbeitslosigkeit um bis zu zwölf Monate verschoben wird, ohne dass sich der Anspruch auf das Arbeitslosengeld I verringert. Diese Zeit kann für Weiterbildung und Vermittlung genutzt werden.
  • Arbeitszeitverkürzung für die Transformation. Viele Tarifverträge bieten mittlerweile die Möglichkeit von temporären Verkürzungen der Regelarbeitszeit (wenn auch nur vereinzelt mit Teillohnausgleich).
  • Schaffung eines kreditfinanzierten Transformationsfonds in Höhe von 120 Milliarden Euro. Statt Krediten erwirbt der Fonds Beteiligungen an den Unternehmen. Die Geschäftspolitik wird aktiv mitgestaltet.
  • Eine aktive regionale Strukturpolitik, die unter Mitwirkung von Transformationsbeiräten organisiert wird.
  • Ausweitung der Tarifbindung durch eine Reform der Allgemeinverbindlicherklärungen (das Veto-Recht der Unternehmen muss abgeschafft werden) und umfangreiche Tariftreuegesetze.
  • Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung: Die Demokratisierung der Wirtschaft ist eine wichtige Voraussetzung, damit die Beschäftigten in die Auswahl und die Einführung von neuen Technologien sowie in die Abschätzung der Folgen für Arbeitsorganisation, Arbeitsbedingungen oder Qualifikationsbedarfe eingebunden sind. Eine Mindestanforderung ist die Übernahme des Modells von VW, wo wichtige Entscheidungen im Aufsichtsrat mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden (womit die Beschäftigten faktisch ein Vetorecht bekommen).

Material zum Memorandum 2022 findet sich auf der Homepage der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

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