Mindestlohn runter, Gewinne rauf und Krise gelöst
Die Forderung nach einem niedrigeren Mindestlohn, die von Teilen der CDU aufgestellt wurde und zur Abwehr der Corona-Krise beitragen soll, stellt Konservative wie Linke bloß.
Die Nachricht schlägt Ende Mai hohe Wellen: Als CDU-Politiker*innen aus dem Umfeld der parteieigenen Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie vorschlagen, den Mindestlohn wegen der Corona-Krise abzusenken, ernten sie prompt eine Menge Kritik – auch aus den eigenen Reihen. Die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schreibt: „Hände weg vom Mindestlohn.“ In einer ähnlichen Argumentation wie die politische Linke möchte sie die Krise nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen austragen. Wie genau das auszusehen hat, verstehen die beiden politischen Lager wohl von Grund auf verschieden. Dennoch bringen Sozialdemokrat*innen, sowie die Die Linke kaum andere Argumente an. Der Sachverhalt ist klar: Der Vorstoß zur Senkung möchte durch intensiviere Ausbeutung des Niedriglohnsektors die Verwertung des Kapitals in der Krise sichern und somit die Krise auf die Beschäftigten abwälzen.
Mit diesem Argument wurde die Diskussion auch flott beendet. Selbst der CDU-Vorstand zog die Idee der Fachkolleg*innen wenige Stunden nach der Veröffentlichung zurück. Ein linker Erfolg also? Nicht wirklich. „Die Politik hat sich in die Lohnfindung nicht einzumischen“, begründet der für Wirtschaft zuständige Fraktionsvize Carsten Lindemann (CDU) im Spiegel. Eine Senkung des Mindestlohns ist für ihn also genauso ein Staatseingriff, wie es wahrscheinlich eine Erhöhung darstellen würde. Das weist auf eine theoretische Begründung hin, die in der Wirtschaftswissenschaft den Mainstream darstellt: Der Eingriff in den Markt verzerrt diesen. Im konkreten Fall: Ein Mindestlohn führt zu einer Preisverzerrung auf dem Arbeitsmarkt, da dieser nicht vollkommen frei auf dem Markt schwanken kann, und folglich zu nicht-abbaubarer Arbeitslosigkeit. Ein ideologisches Phantasma, welchem die Linke viel zu selten widerspricht.
Zunächst jedoch zum theoretischen Hintergrund: In der Neoklassik treffen sich auf Märkten grundsätzlich immer Angebot und Nachfrage, die über den Preis Knappheitssignale internalisieren. Anders ist es dort nicht bei der Arbeit: Ist sie noch bei den Klassikern – und vor allem bei Marx – der Ausgangspunkt der Analyse, stellt sie nun nur noch ein Produktionsfaktor unter vielen dar, welcher auf einem Markt zwischen Arbeiter*innen und Firmen getauscht wird. Im Gegensatz zur Arbeitswertlehre ist der Lohn dann zudem nicht mehr von der Leistung der Arbeiterin, der Arbeitskraft, abhängig, sondern nur von der Größe der Nachfrage und des Angebots und der daraus resultierenden Knappheit. Wird zu viel Arbeit angeboten, um die Nachfrage zu sättigen, sinkt der Lohn, da Arbeiter*innen nun in größerer Konkurrenz stehen; wird zu wenig Arbeit angeboten, buhlen Firmen mit mehr Geld um die Beschäftigten. Ergebnis ist in der langen Frist der sogenannte Marktlohn, der im Gleichgewicht besteht.
Führt man nun ein Mindestlohn ein, der über dem Marktlohn liegen muss – sonst hätte er ja gar keinen Effekt auf reale Löhne – wird weniger Arbeit von der Firma nachgefragt, da dieser Inputfaktor teurer geworden ist. Arbeitnehmer*innen werden arbeitslos, innerhalb der Firma teilweise durch Kapitaleinsatz substituiert. Das ist besonders relevant in der Krise: Wenn es Unternehmen schlecht geht, können sie bei existierendem Mindestlohn nicht unter diesem die gleiche Menge Arbeit nachfragen wie zuvor, sondern müssen zwangsläufig Beschäftigte entlassen beziehungsweise Arbeitsstunden kürzen. Das sagt die neoklassische Theorie, aus welcher die CDU-Arbeitsgruppe nun ihre praktische Schlüsse gezogen hat: Für die Abwendung der Corona-Krise benötigt es einen niedrigeren Mindestlohn, damit Firmen ihre Löhne flexibler setzen können.
Doch schon seit der Einführung der Lohnuntergrenze hierzulande bröckeln die Erkenntnisse der neoklassischen Theorie: Die Empirie zeigt, dass der beinahe schon von Volkswirtschaftler*innen herbeigesehnte Anstieg der Arbeitslosenzahlen nicht eingetreten ist. Seit Inkrafttreten des Gesetzes am 01. Januar 2015 kam es laut Daten der Bundesagentur für Arbeit nie zu einem Anstieg der Erwerbslosenquote. Sie fiel von 2,79 auf 2,27 Prozent im Jahr 2019. Nun steht die traditionsreiche sozialpolitische Forderung das erste Mal einer handfesten Krise gegenüber. Das freut Volkswirtschaftler*innen, die lange ihre falschen Prognosen nicht eingesehen haben und argumentieren, dass der wirtschaftliche Boom in der Bundesrepublik einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen verhindert hat. Die aktuellen Aussichten liefern dieser Behauptung ein Fundament, denn in der Corona-Krise wird es sicherlich zu einem Anstieg kommen. Dass dieser allerdings wegen des bestehenden Mindestlohns eintritt, kann niemand logisch herleiten. Andere Faktoren sind dafür verantwortlich.
Für den Mainstream bleibt der Mindestlohn und seine Effekte also ein Rätsel. Die Suche nach alternativen Wirtschaftsmodellen mit größerem Erklärungsgehalt läuft jedoch auf Hochtouren. Wie sich Die Linke den Sachverhalt erklärt, bleibt derweil unklar. Von einem grundlegenden Verständnis des Lohnes kann leider kaum die Rede sein. Sie verteidigt lediglich – natürlich zurecht – den bestehenden Mindestlohn und fordert Erhöhungen. Diese Forderung ersetzt allerdings nicht die grundlegende Kritik am Lohn und den allerlei wilden Theorien um ihn. Ein bloßes Mitspielen um die Lohnhöhe auf dem Arbeitsmarkt ist nicht genug.
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