Wirtschaft
anders denken.

Mit 49 eine Ausbildung zur Bestatterin

15.05.2020

Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Deswegen möchten sich Menschen absichern, zum Beispiel mit einer ungewöhnlichen Ausbildung. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…

Bettina Kern ist 50 Jahre alt, wurde in Nürnberg geboren. Sie arbeitete zehn Jahre als Werkstoffprüferin, unter anderem in München bei KraussMaffei. Neben der eigenen Tochter erzog sie vier Pflegekinder bis sie erwachsen waren. Vor elf Jahren siedelte Bettina Kern mit ihrer Familie von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern um. Im Sommer hofft sie, die Prüfung als Fachfrau für Bestattungswesen ablegen zu können. In ihrer Familie lebt derzeit noch ein Pflegesohn im Grundschulalter. Das Gespräch führte Gisela Zimmer.

Du hast mit 49 Jahren eine Ausbildung zur Bestatterin begonnen. Mit Azubi-Gehalt?

Ja, klar bekomme ich Lehrlingsgeld. Das ist gestaffelt je nach Lehrjahr. Weil es für mich aber eine Umschulung über das Jobcenter ist, werde ich auch mit Fahrgeld und einer Pauschale für die Unterkunft und Verpflegung während der Theorieausbildung in Bayern unterstützt.

Bist du die Älteste im Ausbildungsjahr?

Ja. Am Anfang war es ein wenig komisch, weil es natürlich Auszubildende gibt, die erst 15 oder 16 Jahre alt sind. Es gibt auch Leute, die sind 33, 34 oder auch 37 Jahre. Dann allerdings kommt eine Zeit lang nichts, und dann erst ich (lacht). Für mich war es spannend, mich wieder auf so junge Leute einzulassen. Insgesamt aber ist es in meinem Alter eine große Umstellung, noch einmal die Schulbank zu drücken.

Warum wolltest du beruflich noch einmal neu anfangen?

Arbeiten hat mir schon immer Spaß gemacht. Auch meinen ersten Beruf als Werkzeugprüferin habe ich gern gemacht. Wegen der Pflegekinder war ich dann aber lange nicht mehr im Berufsleben. Und irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich merkte, die sind jetzt alle groß und ich brauche wieder etwas für mich selbst. Nur zu Hause sitzen kam nicht in Frage. Klar kann man das Haus von oben bis unten putzen oder im Garten buddeln, aber wirkliche Erfüllung ist das nicht. Ich wollte auch wieder unabhängiger sein.

Ökonomisch unabhängiger?

Auch, die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Es kann passieren, dass die Ehe nicht mehr so funktioniert. Ausschlaggebend jedoch war, ich wollte etwas Eigenes machen, wissen, dass ich für mich selbst sorgen, mein eigenes Geld verdienen kann. Ich wollte auch wieder spüren, dass ich gebraucht werde. Anders als vorher. Da waren es die Kinder, die mich brauchten, jetzt sind es andere Menschen.

Was muss man können als Bestattungsfachfrau?

Sehr viel, der Beruf ist sehr umfangreich und abwechslungsreich. Wenn jemand stirbt, kommen die Angehörigen zu uns. Was heißt, wir übernehmen die Betreuung der Familie. Die Trauergespräche, wie soll die Trauerfeier ablaufen, was hat der Verstorbene sich gewünscht, was wünschen sie sich selbst. Die gesamten Formalitäten von der Sterbeurkunde bis zur Abmeldung vom Einwohnermeldeamt, der Krankenkasse und vieles andere mehr. Wir holen die Verstorbenen ab, waschen und kleiden sie an, richten sie für die Aufbahrung her. Die Einsargung, das Überführen ins Krematorium für eine Urnenbeisetzung, die Ausrichtung der Trauerfeier – das alles gehört dazu. Wir müssen andere Kulturen, andere Religionen kennen. Die Grabstellen öffnen wir selbst, entweder per Hand oder mit Technik. Ich lerne alles, was mit Verwaltung und Rechnungswesen zusammenhängt, Betriebsprozesse und die Branchenstrukturen. Letztlich alles, um mich, wenn ich es denn möchte, auch selbstständig machen zu können.

Es gibt das geflügelte Wort, nur der Tod sei umsonst. Was kostet er wirklich?

(Lacht) Na ja, für denjenigen, der gestorben ist, mag das stimmen. Aber irgendjemand muss ihn trotzdem bezahlen. Natürlich ist der Tod nicht umsonst. Mittlerweile gibt es die Vorsorge. Denn bei vielen Menschen leben die Kinder inzwischen weit weg. Nicht nur in einem anderen Bundesland, sondern auch im Ausland. Und dann ist die Frage, wer kümmert sich um meine Beerdigung, später um das Grab? Darum entschließen sich viele, einen Vorsorgevertrag abzuschließen. Einfach, um zu wissen, es ist alles geregelt, sollte es so weit sein. Das kostet natürlich.

Wo gehen die Kosten los und wo enden sie?

Je nachdem, welche Leistung ich mir aussuche. Von Bundesland zu Bundesland kann das sehr unterschiedlich sein. Ich sage mal, 2.000 Euro wären wohl das Allergünstigste. Da ist aber keine Trauerfeier dabei, nichts, kein Drumherum, nur der reine Verwaltungsaufwand, die Kremation. Wirklich nur das Nötigste, um überhaupt bestattet werden zu können. Diese Summe kann ich – wie gesagt – nicht pauschalisieren, sie variiert von Bundesland zu Bundesland, aber in etwa kommt es hin. Und nach oben hin ist alles offen. Man kann auch 10.000 oder 15.000 Euro ausgeben. Ich denke jedoch, es sollte immer dem Leben des Verstorbenen angemessen sein.

Gibt es in deinem Job neben der Traurigkeit des Abschieds auch schöne Momente? Augenblicke, die nicht mit Geld aufzuwiegen sind?

Ja! Natürlich möchte man am Monatsende seine Leistung bezahlt bekommen. Aber wenn es nur das wäre, hätte ich auch alles Mögliche machen können, nur um Geld zu verdienen. Ich habe mich sehr bewusst für diesen Beruf entschieden. Es liegt mir, mit den Verstorbenen und mit den Angehörigen umzugehen. Und obwohl es oft so traurig ist, gerade für die Angehörigen, bin ich gern für sie da. Ich bekomme so viel zurück, vor allem Dankbarkeit, allein weil man für einen würdevollen und schönen Abschied gesorgt hat.

Zuvor warst du viele Jahre Pflegemutter. Wie kam es dazu?

Wir hatten eine eigene Tochter, als wir Pflegekinder bei uns aufgenommen haben. Los ging es mit einem Jungen, ein Dreivierteljahr später kam ein zweiter dazu. Beide waren damals drei Jahre alt. Später zogen noch zwei Mädchen zu uns. Vom Alter her, kann man sagen, waren sie wie die Orgelpfeifen. Man bekommt Pflegegeld für die Kinder. Das ist auch für die Kinder bestimmt. Als Pflegemutter selbst erhält man eine Aufwandsentschädigung. Ich kann nicht einmal genau sagen, wie viel das pro Kind war. So zwischen 200 und 300 Euro monatlich. Die Summe richtet sich danach, wie schwierig das Pflegekind ist, wie viel Betreuung und Förderung es braucht. Die Bezahlung umgerechnet in einen Stundenlohn – immerhin ist man 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr Pflegemutter – liegt wahrscheinlich unter einem Euro pro Stunde.

Das ist wenig, warum hast du es trotzdem gemacht?

Als wir beschlossen hatten, Pflegekinder aufzunehmen, war klar, ich gebe meinen ursprünglichen und gut bezahlten Beruf auf. Damit war aber auch klar, dann wird es mehr als nur ein Pflegekind geben. Denn ein bisschen muss es sich auch rechnen. Das tut es bei vier Pflegekindern, da blieb ein Stück Verdienst für mich selbst übrig. Für die Rente später im Alter rechnet es sich allerdings nur wenig. Wichtig war, mein eigenes Kind profitierte davon. Ich war zu Hause, es waren andere Kinder da, wir waren zusammen. Und ich selbst habe das als neuen Beruf gesehen. Nicht nur als Berufung, sondern eben auch als Beruf.

Gelernt hattest du einst Werkzeugprüferin und unter anderem bei Krauss-Maffei gearbeitet, einem Waffenhersteller. Pflegemutter und Bestatterin, das ist so eine ganz andere Seite. Gab es jemals moralische Bedenken, zwar gut zu verdienen, aber das bei einem Waffenproduzenten?

Damals nicht. Als ich jung war, habe ich gedacht, okay, wenn ich es nicht mache, machte es jemand anders. Aber Krauss-Maffei hatte und hat ja viele andere Bereiche: Verkehrstechnik, Flugzeug und Bahn, auch Verfahrens- und Kunststofftechnik. Und ja, auch Panzer. Wir haben Metalle geprüft, Legierungen, die man unterschiedlich einsetzt, auch in der Autoindustrie. Wir haben untersucht und alles getestet, was aus Metall hergestellt wird. Deshalb war das für mich kein Thema. Ich weiß nicht, ob ich heute noch so denken würde.

Geschrieben von:

Gisela Zimmer

Journalistin

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