Wirtschaft
anders denken.

Mietendeckel und moralischer Selbstanspruch

03.08.2020
Ben GrossFoto: Ben Gross

Katrin Lompscher ist zurückgetreten. Mit ihr wird verbunden bleiben, dass linke Mieten- und Wohnungsbaupolitik möglich ist, auch wenn die Hürden hoch und die Widersprüche groß sind.

»Völlig überraschend hat am Sonntagabend Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher ihren Rücktritt erklärt«, meldete als eine der ersten Zeitungen der »Tagesspiegel« die Entscheidung der Linkenpolitikerin,  Konsequenzen aus Fehlern bei der Abrechnung von Bezügen zu ziehen. »Richtigerweise wird von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern ein besonderes Maß an Verantwortung erwartet. Dieser Verantwortung bin ich nicht gerecht geworden und bitte die Bürgerinnen und Bürger Berlins dafür um Entschuldigung«, so Lompscher in ihrer Erklärung.

Die rechtsradikale Opposition im Abgeordnetenhaus frohlockt, und im Internet finden sich gehässige Kommentaren, die sich auf die prägende Rolle Lompschers bei der Einführung des Mietendeckels in Berlin beziehen – nicht zuletzt von Anhänger*innen privater Aneignungslogik und eines am individuellen Wohnungseigentum orientierten Kurses.

Der von einer breiten Koalition aus CDU, FDP und privaten Unternehmen gebildete Abwehrblock hatte seit Anbeginn gegen den Mietendeckel agitiert – und gegen Lompscher. Der Widerstand gegen den Mietendeckel ist dabei auch ein Reflex auf die hohe Zustimmung, die das Instrument mindestens aber die Idee dahinter erfahren. Über 70 Prozent sowohl in Berlin als auch bundesweit haben das Projekt, das Lompscher vorangetrieben hat, befürwortet. 

Dass Lompscher dem Druck standhielt, hat ihr Anerkennung in Kreisen verschafft, die dem Mietendeckel ebenfalls skeptisch gegenüberstehen. »Als eine der Köpfe hinter dem Berliner Mietendeckel erlangte Katrin Lompscher auch bundesweit Bekanntheit«, schreibt die FAZ unter der Überschrift »Miterfinderin des Mietendeckels«. »Sie war eine der umstrittensten Politikerinnen Berlins. Und dennoch eine der anerkanntesten«, heißt es im »Tagesspiegel«.

Lompschers Schritt hat umgehend aber auch viel Respekt erfahren. Dieser verbindet sich einerseits mit der wohnungspolitischen Bilanz der Linkenpolitikerin, andererseits mit dem moralischen Selbstanspruch, der in ihrer Entscheidung zum Ausdruck kommt. Lompscher habe »die Interessen der Berliner Mieterinnen und Mieter wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte gebracht«, kommentiert Robert Ide. Und »sie zeigt, dass Politiker nach Verfehlungen auch schnell zurücktreten können und sich nicht endlos im Amte winden müssen wie etwa Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.« So sieht das auch Thorsten Gabriel beim RBB: »Ihr Rücktritt zumindest zeugt von einem Anstand, den manch andere Fehltretende im politischen Betrieb vermissen lassen.«

Auf die Frage der Ansprüche, die linke Politik an sich selbst zu stellen hat und die dann gegebenenfalls auch einen Unterschied zu anderen macht, Philipp Amthor könnte hier genannt sein, ist auch von der Berliner Linkspartei hingewiesen worden: »Politische Glaubwürdigkeit misst sich auch daran, wie man mit persönlichen Fehlern umgeht. Katrin Lompscher übernimmt Verantwortung für ihren Fehler und zieht daraus die Konsequenzen.«

Das lässt an einen anderen Berliner Fall denken: die Demission von Gregor Gysi als Wirtschaftssenator. Der war 2002 fast auf den Tag genau vor dem Hintergrund der Bonusmeilen-Affäre zurückgetreten, in der die private Nutzung von dienstlichen Bonusmeilen durch zahlreiche Politiker*innen für Schlagzeilen sorgte. Der Rücktritt des Linkenpolitikers war damals vereinzelt als überzogene Reaktion angesehen worden. Nicht so sah es Gysi damals selbst, er habe begonnen, Privilegien selbstverständlich zu nehmen, und dies sei ein Fehler, »den ich mir nicht verzeihen kann«.

Mit Katrin Lompscher wird immer verbunden bleiben, dass linke Mieten- und Wohnungsbaupolitik möglich ist, auch wenn die Hürden hoch und die Widersprüche groß sind. Innerhalb der recht kurzen Zeiträume, die Regierungen haben, um Veränderungen anzustoßen, hat die Politikerin viel erreicht. »Da ist auf der einen Seite der Wohnungsneubau. In keiner anderen Stadt in Deutschland werden so viele Wohnungen gebaut wie in Berlin«, merkt der RBB an. 

Dass das immer noch zu wenig ist, dass es Engpässe in der Bauwirtschaft oder Planungsstau gibt, ist so richtig, wie es unverkennbar ist, dass Lompscher und ihre Mitstreiter*innen das Problem ganz anders angegangen sind, als es in der Bau-verfilzten Hauptstadt lange überhaupt denkbar war. Mit dem Mietendeckel sind die Bestandsmieten gesunken, zählbare Entlastung für viele Mieter*innen. Dass das Instrument nicht alle Probleme auf dem Wohnungsmarkt lösen kann, ist so richtig, wie daraus noch längst kein unerschütterliches Argument gegen den Mietendeckel wird. Dieser wird nicht nur juristisch umkämpft bleiben, was aber nicht zuletzt das politische Kenntnisniveau deutlich erhöht. Wo immer künftig gegen die Mietenkrise durchgegriffen werden will, wird man aus den Berliner Erfahrungen lernen können – dies sind in beträchtlichem Maße auch Katrin Lompschers Erfahrungen.

(Dass RND am Tag nach dem Rücktritt von Lompscher den Vorsitzenden der Linkspartei mit der Forderung zitiert, angesichts des rasanten Anstiegs von Mieten und Leerständen in deutschen Innenstädten einen Mietendeckel für Gewerbeimmobilien einzuführen, gehört in diese Liste. »Nach dem Vorbild des erfolgreichen Berliner Mietendeckels sollen anhand der Verhältnisse vor Ort und der Qualität der Räume Höchstmieten festgelegt werden können«, so Bernd Riexinger.)

Ein Jahr vor den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus steht Berlin nun vor einer Personalfrage, vielleicht sind es aber auch gleich mehrere. In der Linkspartei hieß es, »über die Nachfolge werden sich unsere Gremien zeitnah verständigen und einen Vorschlag unterbreiten«. Ob Katrin Lompschers Entscheidung »auch Auswirkungen auf andere Posten im Senat hat, blieb offen, wurde aber vor dem Hintergrund des Übergangs von Michael Müller zu Franziska Giffey auch nicht ausgeschlossen«, meldet der »Tagesspiegel«.

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