Wirtschaft
anders denken.

Mach doch nicht so viel Müll!

18.12.2017
Müll

Weihnachten ist die Zeit – des Abfalls. Was eingepackt wurde, bevor es zum Geschenk wird, muss auch wieder ausgepackt werden. Lässt sich der Müll vermeiden? Oder geht es um etwas anderes? Was uns die »Exkremente der Produktion und Konsumtion« über uns und die Gesellschaft erzählen: ein Text aus dem OXI-Schwerpunkt zur politischen Ökonomie des Abfalls.

In Berlin wird ab nächstem Jahr eine Müllpolizei patrouillieren. Das klingt ein bisschen wie »Unser Dorf soll schöner werden«, geht die Sache aber mit Strafandrohung, also als hoheitliche Warnung an: »Es muss sich vor allem das Verhalten der Leute ändern, die die Straßen verschmutzen«, sagt ein sozialdemokratischer Stadtpolitiker. »Der Müll fällt nicht vom Himmel.«

Das ist so richtig, wie ein Irrtum darin liegt: Den Abfall machen die Menschen zwar tatsächlich selbst, aber als Verbraucher, als Bewohner einer Stadt, ja selbst als die, die Müll einfach auf die Straße werfen, verursachen sie ihn nicht. Jedenfalls nicht, wenn man den Begriff Ursache hier versteht als einen vorhergehenden Sachverhalt, der das »Müllmachen« wesentlich bestimmt.

Unsichtbar oder profitabel gemacht

Man könnte es mit Karl Marx vielleicht so sagen: Die Menschen als Konsumenten und Bürger schaffen den Müll »nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«. Denn es ist tief mit der Produktionsweise und den gesellschaftlichen Ideen verstrickt, was als Abfall gilt, warum es als Müll durch Entsorgung unsichtbar oder profitabel gemacht werden soll und wodurch all das überhaupt entsteht.

Michael Thompson hat Ende der 1970er Jahre mit seiner »Mülltheorie« für einige Aufmerksamkeit unter Kulturwissenschaftlern gesorgt und auch das damals immer stärker aufkommende Umweltbewusstsein mitgeprägt. Thompson sah Abfall als Metapher für das Ausgeschlossene, Ignorierte, als etwas, durch das man soziale Prozesse und symbolische Ordnungen erklären konnte.

Seine kulturwissenschaftliche Annäherung erkannte Dinge, die mal als vergänglich galten und also Wert verloren wie Gebrauchsgüter, und die mal als dauerhaft angesehen und damit immer wertvoller wurden wie Artefakte, welche aber auch einfach nur frühere Gebrauchsgüter sein können. Eine zersprungene antike Schüssel ist kostbares Kulturerbe, der kaputte Teller vom Nachbarn ist es nicht.

»Exkremente der Produktion und Konsumtion«

Die Einordnung von Müll ist also eine Frage der »überlieferten Umstände«, der sozialen Denkweisen. Abfall wird aber auch »gemacht« aus den »unmittelbar vorgefundenen« Bedingungen. Marx hat deshalb im 3. Band von »Das Kapital« auch nicht vom Müll gesprochen, sondern von den »Exkrementen der Produktion und Konsumtion«: Unter ersteren verstand er »die Abfälle der Industrie und Agrikultur, unter letzteren teils die Exkremente, die aus dem natürlichen Stoffwechsel des Menschen hervorgehn, teils die Form, worin die Verbrauchsgegenstände nach ihrem Verbrauch übrigbleiben.« Und Marx wusste: »Die Verteuerung der Rohstoffe bildet natürlich den Antrieb zur Vernutzung der Abfälle.«

Was sich der Alte aus Trier wohl nicht vorstellen konnte, ist die Tatsache, dass die auf Massenkonsum setzende fordistische Produktionsweise zunächst einmal riesige Müllberge verursachte, die Umwelt in einem kolossalen Ausmaße verschmutzte und mit der Verbringung der zerstörerischsten Stoffe natürliche Lebensräume zerstörte – bevor der »Antrieb« zur Wiederbenutzung dann tatsächlich ansprang.

Dazu musste der Müll erst etwas werden, mit dem man Geschäfte machen kann, weil in ihm Vorprodukte stecken: teure Metalle, wiederverwendbare Stoffe. Was wir heute unter Recycling verstehen, ist dabei viel älter als der Kapitalismus – aber nur der Kapitalismus einer bestimmten Entwicklungsstufe bringt auf diesem Niveau »Exkremente der Produktion und Konsumtion« hervor, und damit eben auch die »Bedingungen der Wiederbenutzung«: profitable Mengen an Müll, Maschinen zu seiner Verwertung, Verfahren zum Recycling.

Anders gesprochen: Die enormen Müllberge der Konsumtion, der Abfall der Industrie, das Unverwertbare des Renditestrebens – all das ist nicht die Ausnahme, die man »vermeiden« könnte. Es ist die andere Seite der Produktion. Das heißt keineswegs, dass man es nicht »sauberer« hinbekommen könnte. Denn da haben die Berliner Müllpolizisten-Erfinder ja recht: »Der Müll fällt nicht vom Himmel«. Der Abfall ist aber eben auch keine bloße abhängige Variable eines »falschen« Konsumverhaltens.

Der Rohstoff hat seinen Preis

So wie sich viele heutige »Exkremente der Produktion und Konsumtion«, wovon Marx noch keine rechte Vorstellung hatte, auch nicht einfach so »entsorgen« lassen – weil irgendwo in dem Prozess des Recyclings wieder neuer Abfall entsteht, und sei es der aus den Schornsteinen, den wir Emissionen nennen und der zwar nicht zu bunten Müllinseln im Meer führt, aber sehr wohl doch auch zu großen Problemen.

Und manchmal stößt man auf Geschichten, in denen eine Lösung des einen Problems von dem Bestehen eines anderen geradezu ab- hängt: Im schwedischen Eskilstuna will der Kraftwerksbetreiber Mälarenergi AB bis 2020 komplett auf fossile Energieträger verzichten – und setzt als Ersatzbrennstoff unter anderem auf unverkäufliche H&M-Kleidung.

Das führt zu der immer drängender werdenden Frage, wie Menschen ihre Naturaneignung so organisieren können, dass dabei die natürlichen Lebensgrundlagen und die Voraussetzungen der Produktion nicht zugrunde geritten werden. »Es muss sich vor allem das Verhalten der Leute ändern«, ist das Motto, das hinter der Einführung der Müllpolizei in Berlin steht.

Dagegen ist nichts zu sagen. Es wäre aber überzeugender, wenn »vor allem« die gesellschaftlichen Ursachen der Produktion von Müll ins Visier genommen würden, will man ihn vermeiden. In den Wahlprogrammen der Parteien spielte das übrigens lagerübergreifend eine große Rolle. Diese Papiere sind inzwischen: Müll. Vielleicht werden sie wiederverwertet. Der Rohstoff hat seinen Preis.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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