Wirtschaft
anders denken.

Nach dem Jahresgutachten: Schnabels Votum, Merz‘ Rückzieher, Bofingers Meinung, Altmaiers Kurs

10.11.2018
Henning Schacht / Sachverständigenrat

Was bleibt eigentlich vom Jahresgutachten der »Wirtschaftsweisen«? Kleiner Rückblick auf verkürzte Schlagzeilen, die Minderheitsvoten von Schnabel und Bofinger. Und was das unter anderem mit der Merkelnachfolge zu tun hat.

Was bleibt eigentlich vom Jahresgutachten der »Wirtschaftsweisen«? Nicht gerade viel, was noch einmal die Frage nach der Rolle, der Aufgabe und dem Sinn des Sachverständigenrates unterstreicht. In den Medien wurde weitgehend so mit dem umfangreichen Papier umgegangen, wie man es aus den Vorjahren kennt: verkürzte Schlagzeilen, kaum Diskussion über den Inhalt. Lediglich ein paar öffentliche Kontroversen entlang alt bekannter Differenzen – zum Abbau des Soli oder zum internationalen Steuerwettbewerb. Aber sonst?

Zwei Ausnahmen lassen sich anmerken. Erstens das abweichende Votum von Isabel Schnabel, die »eine Fiskalkapazität im Euro-Raum für erwägenswert« hält und damit dem Europa-Kapitel ein zweites Minderheitsvotum verschaffte. Es geht um einen gemeinsamen Topf, »aus dem Euro-Staaten in schweren Rezessionen Mittel zur Stabilisierung ihrer Haushalte bekommen können, etwa um die Arbeitslosenversicherung zu stützen«, wie es das »Handelsblatt« formuliert: Die Ökonomin stelle »sich gegen die Traditionalisten im Sachverständigenrat und fordert eine neue Euro-Politik«.

Schnabels Meinung ist gar nicht so abweichend, sie widerspricht der kleinen Ratsmehrheit »nicht grundsätzlich«, es gehe ihr eher um einen offenen Umgang mit der Frage, »ob zusätzlich zum bestehenden Regelwerk in bestimmten Situationen ein weiteres Instrument notwendig sein könnte«. Das ist auch deshalb von Interesse, weil um diesen Punkt herum sich politische Debatten führen lassen, die etwa mit der Merkel-Nachfolge zu tun haben.

Friedrich Merz, der aktuell vor allem als BlackRock-Aufseher, Bierdeckel-Reformer aus der Vergangenheit und Multi-Unternehmensfunktionär im Gespräch ist, hatte unlängst in einem zunächst wenig beachteten Appell gemeinsam unter anderem mit Jürgen Habermas »eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik bis hin zu einer europäischen Arbeitslosenversicherung« gefordert. Davon rückt der CDU-Mann nun wieder ab: Im »Spiegel« heißt es, Merz habe gegenüber CDU-Abgeordneten erklärt, er sei »absolut nicht für eine europäische Arbeitslosenversicherung«; in der »Rheinischen Post« formuliert er den Rückzieher so: »Man muss den ganzen Satz in dem Aufruf lesen«, eine europäische Arbeitslosenversicherung könne am Ende eines Integrationsprozesses stehen, nicht am Anfang. Zuvor seien zum Beispiel transnationale Tarifverträge denkbar.

Die zweite Ausnahme, was die mediale Widerspiegelung des Jahresgutachtens betrifft, ist die Fortsetzung des Streits um die Industriepolitik. Mit Blick auf China und den globalen Wettbewerb hatte Bofinger schon 2017 in einem Zeitungsbeitrag gefordert, »besser schon heute die Möglichkeiten einer aktiveren Industriepolitik für Deutschland und Europa« zu diskutieren. Daraufhin hatten die vier anderen Sachverständigen in einem beispiellosen Akt Bofingers Expertise bestritten, ihn als Laien hingestellt – und sich selbst als Marktgläubige zu erkennen gegeben.

Im aktuellen Jahresgutachten wird diese Kontroverse nun wieder aufgenommen, die Mehrheit fordert »Zurückhaltung bei industriepolitischen Eingriffen«, man solle »auf eine lenkende Industriepolitik verzichten«. Gehe es der Regierung um »nachhaltigen Fortschritt, so sollte sie viel eher auf das dezentrale Wissen und die individuellen Handlungen verschiedener Akteure der Volkswirtschaft vertrauen«; vulgo: den Marktkräften. Diese müssten eher durch Überprüfung bestehender Regulierungen gestärkt werden, ausdrücklich werden »zusätzliche Flexibilität« auf dem Arbeitsmarkt und steuerliche Rahmenbedingungen« genannt.

Bofinger hat das zurückgewiesen, unter anderem unter Verweis auf die Literatur zur Industriepolitik, »die es unter bestimmten Voraussetzungen für angemessen hält, dass der Staat lenkend in das Wirtschaftsgeschehen eingreift«. Die Kontroverse ist nicht bloß eine der theoretischen Befassung, es geht eher um recht praktische Dinge: die Versuche, chinesische Investitionen hierzulande zu kontrollieren und gegebenenfalls einzuhegen und die Förderung einer Batterieproduktion hierzulande als Kernelement der Wertschöpfung in der Automobilindustrie.

Hier knüpft die »Frankfurter Allgemeine« an, und dreht die Geschichte auf Peter Altmaier, der sich zur Mehrheitsmeinung im Jahresgutachten äußerte wie Bofinger: »Die Auffassung, dass sich Wirtschaftspolitik allein auf die Schaffung von Rahmenbedingungen beschränken soll, teile ich ausdrücklich nicht.« Weiter heißt es: »Altmaier dagegen arbeitet seit Monaten an einer industriepolitischen Strategie, sowohl mit Blick auf die Batteriezellen, Künstliche Intelligenz als auch zum Umgang mit chinesischen Investoren.« Es werde »erwartet, dass Altmaier kommende Woche ein Unternehmenskonsortium vorstellt, das mit Hilfe staatlicher Unterstützung – die Rede ist von einer Milliarde Euro – den Bau einer Batteriezellfertigung in Deutschland fördert.«

Das Blatt macht die Sache zu einer Personengeschichte, »in der Wirtschaft beobachtet man Altmaiers Ansatz, ähnlich wie seine Amtskollegen in China, den Vereinigten Staaten und Frankreich stärker in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen, mit einigem Misstrauen.« Aber Altmaier sei auch trotz der Turbulenzen um die Merkel-Nachfolge »wild entschlossen, bis zum Ende der Legislaturperiode Wirtschaftsminister zu bleiben, so viel ist klar. Und er will etwas Bleibendes hinterlassen, ein industriepolitisches Gerüst, das auch dann noch steht, wenn er nicht mehr da ist.«

Foto: Henning Schacht / Sachverständigenrat

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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