Wirtschaft
anders denken.

Nationalistisch oder rassistisch motivierte Spalterei

16.02.2018

Was bedeutet eigentlich… Sozialchauvinismus? Der Begriff bezeichnet entweder nationalistisch oder rassistisch motivierte Spaltungen von Lohnabhängigen oder den Chauvinismus von Eliten gegenüber Armen oder sozialen Errungenschaften. Unser OXI-Glossar: 

Der heute wieder öfter verwendete Begriff des Sozialchauvinismus entwickelte sich historisch aus dem Konzept des Chauvinismus, mit dem ein starker Nationalismus bezeichnet wird, der nationalen Forderungen und Interessen Vorrang gegenüber denen der Bevölkerungen anderer Länder beimisst und hierfür auch Kriege in Kauf nimmt oder befürwortet. Die Förderung von Chauvinismus stellte zudem eine Herrschaftstechnik dar, welche die Unterdrückung und Ausbeutung der Bevölkerung anderer Länder legitimierte und die eigene Bevölkerung zur Mitwirkung an imperialistischen Kriegen motivieren sollte.

Als Sozialchauvinismus wurde zunächst kritisch der Chauvinismus der Sozialisten und Sozialdemokraten, also eine Haltung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, bezeichnet. Dieses Verständnis wird meist auf Lenin zurückgeführt, der Sozialchauvinisten als »Sozialisten in Worten, Chauvinisten in Wirklichkeit, die ‚ihrer‘ Bourgeoisie helfen fremde Länder zu berauben, andere Nationen zu unterjochen« beschrieb.

Als prominentes historisches Beispiel für Sozialchauvinismus wird etwa die britische Diskriminierung von IrInnen am Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Hier trugen die Ressentiments der britischen Bevölkerung zur Legitimation der Herrschaft über die irische Kolonie und die Schlechterstellung irischer ArbeiterInnen bei, förderten aber auch die Spaltung und Schwächung der Arbeiterbewegung insgesamt.

Heute wird der Begriff des Sozialchauvinismus vor allem mit einem innenpolitischen Fokus in zwei leicht voneinander abweichenden Varianten genutzt: Zum einen wird die Diskriminierung von Lohnabhängigen unterschiedlicher Nationalität, Herkunft oder entlang von ethnisierenden Zuschreibungen bei direkten oder indirekten Verteilungskämpfen – etwa Auseinandersetzungen um Beschäftigtenrechte, die Höhe von Löhnen oder Sozialleistungen etc. – als Sozialchauvinismus bezeichnet und die damit verbundene nationalistisch oder rassistisch motivierte Spaltung von Lohnabhängigen kritisiert. In diesem Sinne wäre etwa die Forderung nach Abschiebung von Geflüchteten oder der Schlechterstellung von Lohnabhängigen ohne deutschen Pass mit dem Ziel, die Interessen der einheimischen Lohnabhängigen nicht zu gefährden, als sozialchauvinistisch zu bezeichnen.

Zum anderen wird der Begriff des Sozialchauvinismus verwendet, um einen Chauvinismus von Eliten gegenüber schlechter gestellten sozialen Gruppen oder sozialen Errungenschaften zu fassen. Dies dient – häufig unter Rückgriff auf einen Leistungsimperativ – nicht nur der Abgrenzung von Angehörigen elitärer sozialer Gruppen »nach unten« und der Entsolidarisierung betroffener Gruppen untereinander, sondern auch der Legitimation von erhöhter Ausbeutung, Stigmatisierung, Repression oder dem Abbau von Sozialleistungen. In diesem Sinne lässt sich eine Bedeutungsverschiebung des Fokus auf eine nationalistische Orientierung hin zu einer Form des Klassismus beobachten, die durch das vorangestellte »Sozial-» verdeutlicht werden soll.

Geschrieben von:

Jenny Simon

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