Wirtschaft
anders denken.

Immer mehr mit Nebenjob: Flexibilisierung – vom Steuerzahler subventioniert

16.10.2017
Antranias / Pixabay

Nachtrag 17.10.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat am Dienstag eine Studie zu den Nebenjobbern veröffentlicht, die für dieses Thema eine wichtige Ergänzung ist. »Die Hauptbeschäftigungen von Mehrfachbeschäftigten sind meistens weniger gut bezahlt als die Beschäftigungsverhältnisse von Personen ohne Nebenjob«, heißt es da unter anderem. »Der Einkommensunterschied liegt bei rund 570 Euro pro Monat. Zu einem kleinen Teil lässt sich diese Differenz durch eine geringere Wochenstundenzahl bei den Beschäftigungsverhältnissen erklären. Ein weiterer Faktor sei jedoch, dass es sich bei der Hauptbeschäftigung von Mehrfachbeschäftigten oft um Berufe handelt, in denen weniger verdient wird, erklären die Studienautoren Sabine Klinger und Enzo Weber. So haben Mehrfachbeschäftigte beispielsweise häufig Berufe in den Bereichen Verwaltung und Büro oder Gesundheits- und Sozialwesen. Dabei übt ein Drittel im Haupt- und Nebenjob denselben Beruf aus.«

Und hier geht es weiter mit dem Originalpost:

Die Zahl der Nebenjobber steigt. Die Linkspartei sieht pure finanzielle Not als Antreiber, das unternehmensnahe IW Köln meint hingegen: Kein Grund zur Aufregung, Nebenjobber seien sogar oft sozial besser gestellt. Was ist da dran? 

3,2 Millionen Menschen gehen mindestens doppelt schuften – sie haben entweder neben einer sozialversicherungspflichtigen Stelle noch einen oder mehrere Jobs oder gehen mehreren geringfügigen Arbeitsverhältnisse gleichzeitig nach. Insgesamt steigt ihre Zahl, binnen der vergangenen zehn Jahre um etwa eine Million. Die Linkspartei kritisiert, die scheidende Bundesregierung habe bei dem Thema existenzsichernde Lohnarbeit »auf der ganzen Linie versagt«. Für immer mehr Beschäftige, so Fraktionsvize Sabine Zimmermann, reiche »das Einkommen aus einem Job nicht mehr aus. Der überwiegende Teil dürfte aus purer finanzieller Not mehr als einen Job haben und nicht freiwillig«.

Die nackten Zahlen sagen zur Motivlage derer, die mehrere kleine Arbeitsverhältnisse oder einen Nebenjob haben, erst einmal nichts, die Linksfraktion hatte die Bundesagentur für Arbeit um die Auflistung der Daten über geringfügigen Arbeitsverhältnisse und Nebenjobs gebeten. Das nicht zuletzt, um ihrer Forderung nach existenzsichernder Lohnarbeit Nachdruck zu verleihen. Der Mindestlohn sei dazu in der gegenwärtigen Höhe nicht ausreichend, er müsse erhöht und durch Regelungen ergänzt werden, die zum Beispiel »Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit« abschafften, so Zimmermann.

Nebenjob – die Motive sind sehr unterschiedlich

Zurück aber zunächst zur Frage, aus welchen Gründen Menschen geringfügige Arbeitsverhältnisse eingehen. Das ist nämlich nicht so einfach, wie es mitunter behauptet wird. Zunächst einmal ist eine Unterscheidung notwendig zwischen denen, die ausschließlich bis zur 450 Euro-Schwelle beschäftigt sind und anderen, die eine geringfügige Beschäftigung neben dem Hauptjob ausüben. Zu ersteren gehören Rentner/­innen, Schüler/­innen sowie Studierende, die sich »mehrheitlich den Wunsch nach einem Zuverdienst« erfüllen und »mit dem Umfang der Beschäfti­gung zufrieden« sind, wie es im Ergebnis einer Studie des Statistischen Bundesamtes von 2013 heißt.

Für »Hausfrauen/Hausmän­ner und Arbeitslose, auch sie haben meist ausschließlich einen Minijob, ist dieser »unter Umständen mit Nachteilen verbunden, weil spätere Ansprüche auf Sozial­versicherungsleistungen wegen geringer Beitragsleistungen reduziert sind oder ganz entfallen«, heißt es dort freilich auch. Die Zahl der Menschen, die ausschließlich einen Minijob ausüben, ist zwischen März 2016 dun März 2017 um 1,3 Prozent gesunken, gut 4,72 Millionen Minijobs wurden gezählt.

Und die Beschäftigten, die noch einen Nebenjob machen – müssen? Oder wollen? Oder mehrere Minijobs ausüben? Die »Stuttgarter Zeitung« etwa meint, »auch wenn die Hintergründe, die zur Aufnahme eines Zweitjobs führen, wenig wissenschaftlich erforscht sind, so ist doch eines klar: Aus purem Spaß an der Arbeit hängen nur die wenigsten Menschen nach dem Ende des regulären Arbeitstages noch ein paar Stunden im Minijob dran. Die große Mehrheit ist schlicht und einfach auf das Zubrot angewiesen.« Dagegen hatte der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber schon vor drei Jahren erklärt, »im Vordergrund dürften Motive stehen, sich ein Zubrot hinzuzuverdienen oder auch zusätzliche Arbeitserfahrungen zu sammeln. Diejenigen, die auf das zweite Gehalt angewiesen sind, weil das erste zum Leben nicht reicht, dürften in der Minderheit sein.«

Nebenjob wegen prekärer Arbeit – oder als Abgabensparmodell?

Die Debatte lebt auch jetzt wieder auf. Markus Krüsemann hat auf miese-jobs.de zwar auch einschränkend erklärt, dass es »noch weitgehend unklar ist, welche Motive die Menschen im Einzelnen dazu treiben, neben ihrem Hauptjob noch einer oder mehrerer weiterer Beschäftigungen nachzugehen«. Er sieht es aber andererseits »auf der Hand liegen, dass die Zunahme von (nicht immer freiwilliger) Teilzeitarbeit wie auch die Ausweitung prekärer und schlecht entlohnter Jobs die so Erwerbstätigen dazu treibt, es als Multijobber zu versuchen, um das benötigte Einkommen zu erzielen.«

Das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft sieht die Sache völlig anders. »Ein Grund zur Aufregung« liege in den neuen Zahlen über Nebenjobber »nicht: Nebenjobber sind sogar oft sozial besser gestellt als andere Beschäftigte«, meint dort Holger Schäfer. Der überwiegende Teil der Nebenjobber – 2,6 Millionen – habe eine sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigung. »Sie profitieren davon, dass der Nebenverdienst weder steuerpflichtig noch mit Sozialabgaben belegt ist. Demgegenüber wären bei einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener mit 3.500 Euro brutto für eine Lohnerhöhung von 300 Euro im Hauptjob 153 Euro Steuern und Abgaben zu zahlen. Der Nebenjob kann also deutlich lukrativer sein, selbst wenn dort nur geringe Stundenlöhne erzielt werden.«

Professor Sell: ein wichtiger ökonomischer Mechanismus

Das ist ein Punkt, den man nicht so leicht vom Tisch wischen sollte, auch wenn das IW gern die Lobbygeräusche der Unternehmen wissenschaftlich unterstützt. Auch der Koblenzer Volkswirt und Sozialpolitikexperte Professor Stefan Sell sagt, in dem steuerlichen Anreiz liege »ein wichtiger ökonomischer Mechanismus, der dazu beiträgt, dass wir es bei den Neben- und Multijobbern mit einer wachsenden Personengruppe zu tun haben«. Sell weiter: »Die Nebenjobs auf Basis geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse werden von den Steuerzahlern subventioniert – und sie haben eine verzerrende Wirkung auf dem Arbeitsmarkt.«

Gesellschaftspolitisch ist das entscheidender als eine im Nebel stochernde Debatte darüber, warum die Anteile der Nebenjobber in Baden-Württemberg mit mit 10,5 Prozent am höchsten liegt – während sie in den neuen Bundesländern nur 4,1 Prozent beträgt. Für Schäfer vom IW ist das ein wichtiger Punkt, gegen den Sell Einspruch einlegt: »Gerade unter dem großen Durchschnittsdach ›wohlhabend‹ verbergen sich im Süden eben auch individuell viele Haushalte bzw. Einzelpersonen, die es schwer haben, über die Runden zu kommen. Außerdem sind sie hier auch mit einem deutlich höheren Preisniveau, man denke nur an die Wohnkosten als eine Komponente, konfrontiert.« Es sei wahrscheinlich, dass unter den Arbeitnehmern mit einem Nebenjob viele sind, die nur knapp »oberhalb der offiziellen Einkommensarmutsschwelle segeln« und sich zum Teil »nur mit Nebenjobs einen bescheidenen Lebensstandard aufrechterhalten kann«. Genaues aber weiß man nicht, warnt Sell vor voreiligen Schlüssen. Es sei nun einmal so, »dass wir derzeit schlichtweg nicht halbwegs gesichert wissen, wie sich die ganz unterschiedlichen Motive bei den Nebenjobbern darstellen«.

Mit Jamaika zur Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs

Entscheidend ist die Anreizmaschine, die die Flexibilität des Faktors Arbeit zugunsten derer erhöht, die sie sich möglichst billig aneignen – während dies öffentlich subventioniert wird, also aus Steuermitteln. Sell erinnert an einen Aufsatz von Gerhard Bosch aus dem Jahr 2014, als dieser kritisierte: »Problematisch ist aber die offenkundige Subvention von Nebentätigkeiten auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler über die Minijobs. Sie kann auch als staatliche Beihilfe zur Aufspaltung regulärer Tätigkeiten in viele kleine Jobs bezeichnet werden.«

Sell nennt es die Konfrontation »mit einer überaus wirkkräftigen Anreizmaschine, diese spezielle Beschäftigungsform zu nutzen. Wirkkräftig deshalb, weil hier faktisch eine ›Win-win-Situation‹ hergestellt wird: Die Arbeitgeber profitieren von der Flexibilität, die sie sich mit den Nebenjobbern einkaufen können, die Arbeitnehmer hingegen profitieren«, so Sell, »handfest, also monetär, in dem sie weniger Abzüge haben.«

Es sieht danach aus, als ob dieser Weg weiter beschritten wird – statt bis auf wenige Ausnahmen die geringfügige Beschäftigung als Sonderform zu beenden, wofür Sell arbeitsmarktpolitisch gute Argumente sieht. Die Beteiligten einer möglichen Jamaika-Koalition aber dürften eher die Verdienstgrenze auf Werte zwischen 530 und 550 Euro anheben, und so das Minijob-Tor noch weiter aufstoßen. Sowohl die Union setzt sich dafür ein als auch die FDP.

 

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