Wirtschaft
anders denken.

Neuer Bundestag: ein Gruß »der deutschen Wirtschaft«

24.10.2017
Times, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Der neue Bundestags startet seine Arbeit – und die, die sich Arbeitgeber nennen, senden den Abgeordneten einen Lobbyistengruß: ganzseitige Anzeigen. Regierungsarbeit soll im »Interesse des Wirtschaftsstandorts« gemacht werden.

Am Dienstag konstituiert sich der neue Bundestag – und in Zeitungen wie der »Frankfurter Allgemeinen« bekommen die Abgeordneten einen lenkenden Gruß aus dem Lager der Kapital-Lobbyisten. »Appell der deutschen Wirtschaft« sind die ganzseitigen Anzeigen überschrieben, und eigentlich taucht hier schon die erste Frage auf: Wer ist das eigentlich, »die Wirtschaft«? Sind es jene, die als Eigentümer oder angestellte Manager die Unternehmen leiten; oder gehören nicht vorderhand die dazu, die durch ihre Arbeit überhaupt erst möglich machen, dass Reichtum produziert und privat angeeignet werden kann?

Aber zurück zum Lobbyisten-Gruß an die Parlamentarier: Die Abgeordneten seien gewählt, heißt es da, »um die Zukunft unseres Landes zu gestalten«. Das kann man so sagen, was aber getan werden müsste, »damit Deutschland fit für die Zukunft wird«, ist schon eine umstrittenere Geschichte, einmal abgesehen davon, dass sich bereits festgelegt hat, wer meint, »die deutsche Wirtschaft« müsse »im internationalen Wettbewerb erfolgreich« bleiben. Wo es Sieger gibt, muss mit Verlierern gerechnet werden, und wer privat in Konkurrenz geht, verlangt dann eben in Anzeigen vom gewählten Souverän »eine weitsichtige, marktwirtschaftliche Politik«.

Lieber langsame Regierungsbildung als »falscher« wirtschaftspolitischer Kurs

Das klingt irgendwie gut, worin allerdings die Weitsicht besteht, vor allem auf Vorteile für »die deutsche Wirtschaft« zu setzen, statt auf sagen wir: internationale Kooperation, auf Ausgleich von folgenreichen Unterschieden, ist eine Frage des Interesses, genauso wie es eine ist, »marktwirtschaftliche Politik« zum Zielkorridor der Bundestagsabgeordneten machen zu wollen. Was ist das eigentlich, fragt man sich, wo doch die Kapitallobby dann gleich ihre Anforderungen an die öffentliche Hand auflistet: Bildungssystem, Infrastruktur, Investition in die Digitalisierung, ein Einwanderungsrecht nach Nützlichkeitskriterien?

Die Freunde des Prinzips Marktwirtschaft kommen ohne den Staat nicht aus, wollen aber zugleich nicht, dass der zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen mehr Mittel in die Hand bekommt – wo »ein faires und verständliches Steuersystem« angemahnt wird und »Respekt vor der Leistung der Bürger«, ist die Warnung vor »zu viel Umverteilung« nicht weit.

Die Anzeige ist ein Gruß der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie BDI, der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM. Deren Kuratoriumschef war früher einmal Sozialdemokrat, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und Minister für Wirtschaft und Arbeit unter Gerhard Schröder. Dass das Ressort nur damals so hieß und weder vorher oder nachher, ist auch eine Geschichte – unter anderem eine der Unterordnung der »Arbeit« unter die »Wirtschaft«, wie schon der Titel des Ministeriums preisgibt.

Warnung Richtung Bundestag: »Wenn die Politik …«

Eben jener Wolfgang Clement hat, falls es beim »richtigen« Verständnis der Anzeige hapert, noch einmal in wenige Sätze gepackt, worum es der Unternehmerlobby geht: Erstens, lieber langsame Regierungsbildung als »falscher« wirtschaftspolitischer Kurs. Zweitens: Demokratisch gewählte Vertreter sollen nicht nach dem Dünken ihrer Parteien agieren oder nach ihren Vorstellungen, sondern nach den »Interessen des Wirtschaftsstandorts«, der ihnen »näher am Herzen« liegen solle. Drittens: Die Lage ist gut, und das ist ein verdienst »der starken Wirtschaft«, die hier nicht »die deutsche« genannt wird, aber auch diesmal ausblendet, wer es ist, der da für »Stärke« sorgt. Schließlich und viertens: »Wenn die Politik die Inhalte dieses Appells aus der deutschen Wirtschaft berücksichtigt, können wir gemeinsam eine erfolgreiche Zukunft gestalten.«

So wie immer schon: Wo es unauflösbare Interessenwidersprüche gibt, wird von »gemeinsamer« Gestaltung gesprochen. Und es wird auch gleich klargestellt, wer Koch ist und wer nur Kellner: Wenn die Politik … berücksichtigt. Und wenn nicht? Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nennt sich übrigens »ein überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft«.

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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