Neues Gesicht, gleiches Programm
Hans-Werner Sinn war der mediale Vorschlaghammer des deutschen Wirtschaftsliberalismus. Nun hat ihn Clemens Fuest als Präsident des Münchner Ifo-Instituts abgelöst. Was steht hinter dem Denken dieser zwei Ordoliberalen?
Hans-Werner Sinn, der populäre Lautsprecher des deutschen Wirtschaftsliberalismus, hat die Leitung des Münchner Ifo-Instituts abgegeben; es ist neben dem Berliner Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) das wichtigste Institut für Konjunkturforschung. Clemens Fuest ist seit dem 1. April sein Nachfolger. Fuest, der sich als Finanzwissenschaftler bei Sinn habilitiert hatte, war zuvor Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.
Was den Ordoliberalismus ausmacht
Für Sinn wie Fuest gilt: Sie sind Vertreter des Ordoliberalismus, der deutschen Variante des internationalen Neoliberalismus. Und sie haben diesen Ordoliberalismus mit Erfolg an das Denken der Neoklassik herangeführt. Diese Schule, die von der Maxime des ausschließlich an den wirtschaftlichen Nutzen denkenden Menschen ausgeht, prägt unverändert die internationalen makroökonomischen Debatten. Ordoliberales Denken ist in den 1930er und 1940er Jahren als (neo-)liberale Antwort sowohl auf sozialistische Wirtschaftslehren wie auf den Keynesianismus und dessen deutsche Vorläufer entwickelt worden. Die theoretischen Grundlagen dazu hat vor allem Walter Eucken geprägt. Alfred Müller-Armack hat sie politisch erweitert, modernisiert und zum ideologischen Leitbild der sozialen Marktwirtschaft gemacht.
Fuest nutzte seine neue Prominenz als Ifo-Chef, um seine Sicht auf die Lohnpolitik und die Staatsfinanzierung bekanntzugeben. So lehnt er den vor einem Jahr beschlossenen gesetzlichen Mindestlohn im Prinzip ab: »Ich bin gegen einen höheren Mindestlohn (…) Mehr Mindestlohn, mehr Arbeitslosigkeit.« Auf den Einwand, diese Wechselwirkung sei umstritten, reagiert er mit dem Hinweis: »Nicht wirklich. Die Grundaussage kann man nicht ernsthaft bestreiten«, so in der Süddeutschen Zeitung vom 16./17. April 2016.
Fuests erste Amtshandlung: Attacke auf den Mindestlohn
Mit dieser Position vertritt Fuest den Kern der neoklassischen Beschäftigungstheorie. Die geht von folgendem Zusammenhang aus: Sinken die Löhne, steigt die Beschäftigung, steigen die Löhne, steigt die Arbeitslosigkeit. Hinter diesem Denken steht das Gleichgewichtsmodell der Neoklassik. Wenn Löhne sinken und damit mehr Arbeitslose neu Arbeit finden, dann komme es auch zu einem Gleichgewicht von Produktion und Nachfrage. Denn: Steigt die Zahl der Beschäftigten, steigt auch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Eine getrennte Nachfragepolitik beispielsweise des Staates hält die Neoklassik deshalb nicht nur für überflüssig, sondern für schädlich.
Dieser Zusammenhang, der für das neoklassische Denken zwingend ist, wurde theoretisch wie empirisch bereits vielfach widerlegt. Auf diesen Vorhalt antwortet Clemens Fuest also: diese Belege seien »nicht wirklich«. Eine vielsagende Formulierung: Wenn die Wirklichkeit vom neoklassischen Modell abweicht, dann ist die Wirklichkeit nicht wirklich, das Modell bleibt richtig.
Wirklichkeitsresistente Theorie
Nicht nur die Wirklichkeiten, auch Wirtschaftstheorien haben die neoklassischen Vorstellungen von Sinn und Fuest längst widerlegt. Theorien müssen grundsätzlich offen sein: Sie müssen ihre Falsifizierung, ihre Widerlegung annehmen und entsprechend (von ihren VertreterInnen) korrigiert werden. Werden theoretische Aussagen beispielsweise gegen eine Überprüfung mit Fakten abgeschottet, dann gelten sie als nicht-wissenschaftlich; dann sind es keine Theorien, sondern metatheoretische Glaubenssätze. »Modell-Platonismus« hat das der Philosoph Hans Albert schon in den 1960er Jahren genannt.
Diese Kritik hat die Neoklassiker jedoch noch nie irritiert oder gar zu Korrekturen veranlasst. Im Gegenteil: Die ökonomische Wirklichkeit wird auf das simple Modell zurechtgestutzt. Insofern ist dieser Ordoliberalismus im strengen Sinn keine Wissenschaft, sondern eine metatheoretische Moral- und Tugendlehre, die den wirtschaftlichen Akteuren das Handeln vorschreiben will, das aus Sicht dieser Doktrin angemessen ist. Das ist der Grund, warum Ökonomen, die keynesianische oder marxistische Modelle vertreten, die Neoklassik als quasi-religiöse Heilslehre kritisieren.
Fuests nächster Vorschlag: »Strafkredite« für verschuldete Staaten
Den zweiten Glaubenssatz verkündete Clemens Fuest zu Fragen der Staatsfinanzierung zwei Wochen später in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.April 2016. Er geht davon aus, dass die Verschuldung der Eurostaaten ausufere. Deshalb will er sie begrenzen: durch Neu-Einführung des Instruments der »nachrangigen« Staatsanleihen. Nachrangige Anleihen werden im Fall einer Insolvenz zuerst abgeschrieben, sie sind also am schlechtesten gegen Verluste geschützt. Die Folgen: Wer solche Anleihen zeichnet, also kauft, geht ein höheres Risiko ein, weshalb ihm vom Verkäufer, in diesem Fall vom ausgebenden Staat, höhere Zinsen bezahlt werden müssen. Sonst würde der Verkäufer seine Anleihen nicht loswerden. Die FAZ hat das richtig erkannt: »Sie sollen wie ein Strafkredit wirken«, schreibt sie. Was Fuest damit erreichen will: Staaten mit hohen Schulden dürfen sich nur noch mit nachrangigen Anleihen an den Kapitalmärkten zusätzliches Geld beschaffen. Schuldenmachen wird für sie also immer teurer und ab einer bestimmten Höhe unmöglich, da der ausgebende Staat die hohen Zinsen nicht mehr tragen kann oder potenziell kaufwillige InvestorInnen von den Risiken doch ganz abgeschreckt werden. Verschuldete Staaten sollen so an die Leine gelegt werden.
Hinter der Forderung nach den nachrangigen Anleihen verbirgt sich noch eine weitere: die nach einer Insolvenzordnung für Staaten. Diese Idee ist in den vergangenen Jahren in den Debatten zur Eurokrise populär geworden. Das Ziel hinter einer solchen Insolvenzordnung: Auch sie soll Staaten davon abhalten, mehr Schulden zu machen. Diese beiden Instrumente illustrieren den Charakter einer Politik nach Maßgabe der Ordoliberalen: Es geht um Strafen und Disziplinieren.
Der Traum der Ordoliberalen: Strafen und Disziplinieren
Staaten benötigen keine Insolvenzordnung. Denn sie können grundsätzlich nicht insolvent werden, solange Geschäftsbanken das Recht haben, Kredite und Geld »aus dem Nichts« zu schöpfen, so der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter, und es das Monopol der Notenbanken zur Geldschöpfung (»Fiat money«) gibt, worauf der britische Ökonom John Maynard Keynes hinwies. Diese Arten von Geldschöpfungen kommen in den neoklassischen Modellen nicht vor oder werden scharf abgelehnt (siehe Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek), woraus auch das Unvermögen der Neoklassik rührt, vor allem Finanzkrisen zu prognostizieren.
Zurück ins Heute: Die Option der Geldschöpfung gilt auch für die Europäische Zentralbank (EZB). Sie kann die Eurostaaten immer mit ausreichend Liquidität versorgen. Genau deshalb, weil Zentral- und Notenbanken dies können, werden sie von ordoliberalen ÖkonomInnen wie Sinn und Fuest im Grundsatz kritisiert. Denn die Option der Geldschöpfung lässt deren geplante Strafmaßnahmen gegenüber verschuldeten Staaten ins Leere laufen und gibt sie der Lächerlichkeit preis.
Der Ordoliberalismus wirbt für ein politisches Regime des Forderns und Strafens.
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Der Ordoliberalismus begnügt sich also nicht mit weltfremden Modellbasteleien in Studierstuben. Er wirbt vielmehr aktiv für ein politisches Regime des Forderns und Strafens. Die Politik lässt sich dadurch beeindrucken, auch weil viele PolitikerInnen in den Grundzügen ähnlich denken. Politiker wie Wolfgang Schäuble scheinen dieses Ordnungsregime geradezu zu lieben, weil es ihnen hilft, materielle Ansprüche von abhängig Beschäftigten und ihren Gewerkschaften beispielsweise nach höheren Löhnen zurückzuweisen und als »nicht machbar« zu denunzieren.
Schäuble und andere können daher beruhigt sein: Die Botschaften bleiben. Nur der Botschafter hat gewechselt.
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