Neuformierung der Lager, gespaltene Linke, versuchte Brückenschläge: Vor den Europawahlen
Die Europawahlen im kommenden Jahr werden anders sein als vorangegangene Abstimmungen: Die Krise der EU, der Rechtsruck, die Neuformierung der politischen Lager – die Herausforderungen sind groß und die europäische Linke ist zerstritten. Unser aktuelles »info: Europa«.
Europas Konservative gehen voran
Bis Ende Mai kommenden Jahres, dann finden die Europawahlen voraussichtlich statt, ist es nicht mehr viel Zeit. Inzwischen kommt auch immer mehr Bewegung in die politische Landschaft. Der »Spiegel« berichtet, bei der Europäischen Volkspartei bringe sich der CSU-Vize und EVP-Fraktionschef Manfred Weber für den Posten des Spitzenkandidaten in Stellung. Gegen Weber soll es seitens Kanzlerin Angela Merkel »keine grundsätzlichen Einwände« geben, dies steht im Zusammenhang mit Überlegungen in Berlin, eher auf einen deutschen Kommissionspräsidenten zu setzen als auf die Führung der EZB. Entsprechende Berichte waren in den vergangenen Tagen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen worden, nun wird die Causa Weber ebenso aufmerksam kommentiert.
Laut dem »Spiegel« wollen die Konservativen ihren Kandidaten für die Europawahlen Anfang November in Helsinki küren; Interesse sollen auch Finnlands Premier Alexander Stubb und Michel Barnier signalisiert haben, der aktuell als Brexit-Chefunterhändler amtiert. Zwar gibt es keinen institutionellen Link zwischen Spitzenkandidatur und dem Amt des Kommissionspräsidenten, aber »die Chancen, dass der Wahlsieger danach auch Kommissionspräsident wird«, seien deutlich gestiegen, so das Magazin.
Neuformierung der Lager
In den »Blättern für deutsche und internationale Politik« nimmt Steffen Vogel die Lage vor den Wahlen in den Blick. Einerseits geht es da um die Pläne des Rechtsradikalen Steve Bannon, mit einer Stiftung namens »The Movement« die europäische Rechte bei den Wahlen zu unterstützen. Andererseits ist damit auch die Frage aufgeworfen, was eigentlich der politische Gegenpol vor der Abstimmung auf die Waage bringt. Es könne »eine große Neusortierung im Europaparlament anstehen«, so Vogel nicht nur mit Blick auf einerseits die Suche Emmanuel Macrons nach einem großen liberalen Bündnis und andererseits die Zerstrittenheit im Lager links davon. Und: Die Grünen sitzen schon am Entwurf für ihre Europawahlprogramm.
Wo Macron offensiv eine »Neuordnung der Parteigrenzen« anstrebt, deren Ergebnis eine »Fraktion progressiver europäischer Kräfte« sein könnte, ist unter anderem mit einer Neuzusammensetzung des rechten Lagers zu rechnen – hier macht sich unter anderem der Brexit bemerkbar, da wichtige Organisationskerne künftig fehlen: der bisherigen rechtskonservativen Fraktion ECR werden die Tories fehlen, die bisherige rechtspopulistische EFDD wird ohne die UK Independence Party kaum noch Fraktionsstatus erhalten. Anstehende Neuformierungen werden sich auch auf die rechtsextreme ENF um Marine Le Pens Rassemblement National und Matteo Salvinis Lega auswirken.
Zugleich werden auch bei den Sozialdemokraten die Fliehkräfte größer und sozusagen als Folge davon auch bei den bisherigen Liberalen im Europaparlament. Macrons »Europe en Marche« könnte sowohl von rechtsliberalen wie den spanischen Ciudadanos als auch von Sozialdemokraten wie Christian Kern (Österreich) oder Mattteo Renzi (Italien) unterstützt werden. Dies wirft die Frage nach einer sozialdemokratischen Spitzenkandidatur zu den Europawahlen auf – gehen die Parteien noch gemeinsam? Selbes gilt für die bisher unter dem ALDE-Dach organisierten »liberalen« Parteien, bei denen das Thema »Wie weiter mit der EU?« auch tiefe Gräben geschaffen hat.
Gespaltene Linke
Vogel »verweist auf die Verwerfungen innerhalb der europäischen Linken, für die sich das Jahr 2015 als Wegscheide erweist«. Die europäische Linke sei »sich uneins, was die damalige Niederlage von SYRIZA verursacht hat«, und »sie streitet seither verstärkt darüber, ob die EU noch reformierbar oder doch strukturell neoliberal ist«. Das beschreibt im Kern die Linie, die zwischen linken Organisationen in Europa verläuft.
In der Folge konkurrieren voraussichtlich der »Europäische Frühling« um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, eine Sammlung um den französischen Ex-Sozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon sowie jene linken Kräfte, die dem Zentrum der Europäischen Linkspartei zugerechnet werden könnten. Die EL hat einen Entwurf für ein Manifest mit dem Titel »Build a different Europe« formuliert, das Ende September als politische Plattform verabschiedet werden soll. Die Aufstellung wird dadurch noch komplizierter, dass gravierende Differenzen in der Europapolitik auch innerhalb der Parteien existieren – die um die EU kreisenden Diskussion der Linkspartei sind davon ein Ausdruck. Inwieweit die angekündigte Plattform »Aufstehen« mit einer wahlpolitischen Option liebäugelt, bleibt abzuwarten – sie steht, obgleich vor allem aus der Linkspartei kommend, dem Wahlprojekt von Mélenchon näher.
Dieser wolle mit seiner Allianz »Maintenant le Peuple!« auch den »Kurs der – aus seiner Sicht zu europafreundlichen – Linksfraktion (GUE/NGL) um Gabi Zimmer grundlegend ändern«, schreibt Vogel. Eine kritische Auseinandersetzung mit Mélenchons Kurs vom ehemaligen Europaabgeordneten Jürgen Klute findet sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »Sozialismus«. Unterstützung finde der Franzose unter anderem bei Podemos und dem portugiesischen Linksblock. Bei Podemos hatte auch Varoufakis angeklopft, sich aber eine Absage eingehandelt. Sein »Europäischer Frühling« hat derzeit vor allem »die Unterstützung von jungen osteuropäischen Parteien, darunter die tschechischen Piraten, mit knapp 11 Prozent drittstärkste Kraft des Landes, und die slowenische Levica, die mit 9 Prozent die Minderheitsregierung in Ljubljana stützt«. Vogels Prognose: »Die Teilung in kritische Europäer und Linksnationale dürfte sich dabei weiter verfestigen. Im schlimmsten Fall sitzen ab Mai 2019 also zwei Allianzen links von der Sozialdemokratie im Europäischen Parlament, die einander spinnefeind sind.«
Versuchte Brückenschläge
Aus dem »Maschinenraum der Fraktion« GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament haben unlängst Thilo Janssen und Henrik Andersen dafür plädiert, »trotz mancher Gegensätze unserer Parteien zu gemeinsamen politischen Handlungen« zu gelangen. Die Perspektive ist schon deshalb spannend, weil die Autoren »aus linken Parteien mit unterschiedlichsten Perspektiven auf die EU« kommen – der deutschen Linkspartei, in der »eine radikale Re-Nationalisierung nie mehrheitsfähig« war, und der dänischen Linkspartei Enhedslisten, die »die EU als genuin neoliberale Organisation« betrachtet und für einen Bruch mit der Union steht.
Janssen und Andersen beschreiben einen Kanon der Gemeinsamkeiten, der wie eine Brücke die grundsätzlich verschiedenen linken Lager verbindet: Einigkeit bestehe unter anderem bei Zielen wie der Überwindung der ökonomischen Kluft zwischen Ländern, Regionen und Klassen oder dem Ziel einer radikalen öko-sozialen Umgestaltung der Wirtschafts- und Lebensweise – in diesen »Bereichen findet europäische Regulierung statt und das direkt gewählte EU-Parlament ist in der Regel als Gesetzgeber beteiligt«. Die »andere Seite« wird mit dem »Washingtoner Konsensus« von 1989 beschrieben, einer Art neoliberaler Generalkatalog, der »große Teile der herrschenden EU-Politik« von der Kapital- und Dienstleistungsfreiheit über den Stabilitäts- und Wachstumspakt bis zur Austeritätspolitik präge.
Im Anschluss daran wird ein »Sozialer Konsens« für die Parteien einer zukünftigen Linksfraktion vorgeschlagen, eine Art Fundament bei wachsender Heterogenität. »Es geht hier ausdrücklich nicht darum, ein Wahlprogramm zu schreiben. Im Vordergrund steht die interne Verständigung für eine Politik, die zunächst das Gemeinsame betont und mit den Differenzen in offener und solidarischer Kultur der Diskussion umgeht«, so Janssen und Andersen. Die »zehn praktischen Punkte«, die sich »aus der bisherigen Zusammenarbeit ergeben und zukünftig ausdrücklicher als Basis für die gemeinsame parlamentarische Arbeit der Fraktion dienen könnten«, finden sich hier.
Ein linker dritter Pol
Wo Janssen und Andersen die Kooperation der europäischen Linkskräfte im Blick haben, macht man sich in der Spitze der deutschen Linkspartei um die Frage Gedanken, wie angesichts auch der inneren Differenzen eine gemeinsame Strategie zu den Europawahlen aussehen könnte. In einem vorläufigen internen Papier heißt es dazu, es gehe nicht darum, »welche Korridore die Parteien zusammen gehen kann und welche konkreten Forderungen geeignet sind, unsere Kritik und Vision für ein anderes Europa zu verdeutlichen«.
Ausgehend von Daten, laut denen sich große Gruppen im linken Wählerpotenzial sowohl für Veränderung als auch für eine generelle Unterstützung der EU aussprechen, zugleich aber Positionen wie »pro-europäisch« von einem Lager um Angela Merkel, die SPD und die Grünen anders besetzt werden, müsse es angesichts eines stärker werdenden rechten Lagers, das vor allem CSU, Teile der CDU und AfD umfasse, auch darum gehen, »überhaupt eine dritte Position öffentlich und gesellschaftlich wahrnehmbar zu machen und nicht als kritisches Korrektiv« in der »Polarisierung zwischen Merkel und den Rechtspopulisten« in der öffentlichen Wahrnehmung »unterzugehen«.
Anders formuliert: Die Linken müssen beides können, sowohl die Bedrohung eines nach rechts abkippenden autoritären Europas klarmachen als auch jedes »Weiter so« als Teil und Treiber der Krisentendenz darstellen. Es ginge dann, so die Logik, um echte Alternativen, wobei in dem Papier eine Gerechtigkeitswende, soziale Garantien im europäischen Maßstab, Klimaschutz, die Frage ökonomischer Ungleichgewichte und die Verteidigung zivilisatorischer, menschenrechtlicher und antimilitaristischer Standards sowie eine Vertiefung der europäischen Demokratie (vorläufig) aufgelistet werden.
Späte Debatte, linkes Europabild
Unterdessen läuft die Debatte um die europapolitische Positionierung in der deutschen Linkspartei, dass ein Teil dieser Debatte auch Kritik daran ist, sie würde »absolut spät« kommen (Gabi Zimmer unter anderem hier) und die offenkundigen Differenzen ein »diffuses Erscheinungsbild« erzeugen, mit dem man die Wähler »nicht abholen« könne (Wulf Gallert unter anderem hier), gehört dazu.
Unlängst hat es der Chef der Internationalen Kommission der Linkspartei, Heinz Bierbaum, so formuliert: »Nun ist es keineswegs so, dass die Partei sich um die Wahlen nicht kümmern würde. Gegenwärtig findet intern eine intensive Debatte zum Programm zu den Europawahlen statt. Das mag etwas spät sein und möglicherweise auch die Partei insgesamt noch nicht ausreichend erfassen, aber die Bemühungen um eine Positionierung sind ohne Zweifel da. Dennoch trifft die Kritik von Gabi Zimmer einen ganz wesentlichen Punkt. Bisher hat sich die Partei um die Europa-Frage eher gedrückt. Dabei ist sie von essentieller Bedeutung für die Linke insgesamt.«
Auch Bierbaum bilanziert, »dass erhebliche Kontroversen in der europäischen Frage bestehen, was Auswirkungen auf die Positionierung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament hat«. Zugleich geht auch er davon aus, »dass trotz unterschiedlicher Einschätzungen und Strategien es eine ganze Reihe von gemeinsamen Positionen im Hinblick auf eine linke europäische Politik gibt. Dazu zählt der Bruch mit der neoliberalen Austeritätspolitik, die Aufhebung des Fiskalpakts und ein auf den gesellschaftlichen Bedarf gerichtetes Investitionsprogramm, soziale Absicherungen, eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte, eine solidarische Migrationspolitik und vor allem die Ablehnung der Militarisierung Europas. Ohne näher ins Detail zu gehen, scheinen mir die Gemeinsamkeiten für eine dann auch gemeinsame politisch-programmatische Plattform durchaus ausreichend zu sein«.
Bierbaum hat dafür plädiert, deutlicher als bisher eine »Verständigung über ein linkes Bild von Europa« aufzunehmen: »Was für ein Europa will die Linke?« Man dürfe es dabei nicht »bei der Kritik belassen, sondern man muss dies mit eigenen Vorstellungen zu Europa verbinden. Die Linke darf nicht in die vom politischen Gegner aufgestellte Falle ›Für oder gegen Europa‹ tappen.« Eine »wie auch immer geartete Exit-Strategie« aus der Union oder dem Euro könne dabei aber »keine Option« sein.
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