Wirtschaft
anders denken.

Nicht alles am Fluss

Alle träumen vom Wohnen am Wasser. Die Preise für Objekte mit Blick aufs kühle Nass oder gar Zugang explodieren. Ein Gespräch über Beachbars als Investorenstrategie, öffentliche Flussufer und städtische Bodenpolitik.

22.10.2021
Wolf-Christian Strauss und Daniela Michalski sind beide Diplom-Ingenieure und arbeiten am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin. Stadt- und Quartiersentwicklung, Stadterneuerung und kommunaler Klimaschutz sind nur einige ihrer Arbeitsschwerpunkte.

Um die Jahrtausendwende entstanden an den Flüssen vieler europäischer Metropolen »Beach-Bars« und öffentliche Strände. Damals wurde das überwiegend positiv bewertet, als Rückgewinnung von Flächen, die zuvor durch industrielle Nutzung unzugänglich waren. Stimmte diese Einschätzung rückblickend?

Daniela Michalski: In der Stadt bietet Wasser so viel Lebensqualität, dass es gut, ist wenn der Zugang für möglichst viele Menschen gegeben ist. Es müssen aber eben keine Beach-Bars sein, sondern es geht um die Rückgewinnung von ehemals industriellen oder gewerblichen Flächen für die Öffentlichkeit. Die wird für mich erst wieder problematisch, wenn diese Stadträume ausschließlich konsumorientierter Nutzung oder anderen Monofunktionen dienen. Das Ziel müsste sein, Flächen auf möglichst vielfältige Weise für die Stadtbevölkerung nutzbar zu machen – wenn das gelingt, ist es eine positive Entwicklung.

Wolf-Christian Strauss: Diese Beachbars sind ein Beispiel für Zwischennutzung, oft auch Pioniernutzungen, in Bezug auf bestimmte Räume: Sie bespielten mit einer Idee brachgefallene, manchmal wegen Altlasten auch schwierige Grundstücke. Derartige Zwischennutzungen, die vielleicht auch grenzwertig wären, wenn sie in irgendwelche dauerhaften Genehmigungsprozesse gehen müssten, werden vom Eigentümer und der Verwaltung geduldet und sind von daher endlich. Denn irgendwann wird dieser Standort eben attraktiv und die Revolution frisst ihre Kinder – das geht weltweit mit Zwischennutzung einher. Seit einiger Zeit setzen Investoren, das auch bewusst ein, nach dem Motto: Ich kann mit meinem Grundstück momentan nichts anfangen, ich mache ’ne Zwischennutzung, bilde schon mal ’ne Marke, der Ort wird bespielt, irgendjemand zahlt mir auch noch genug Geld, um die Betriebskosten abzudecken. Bis hin zu Extrembeispielen wie einem Haus, das Street-Art-Künstler einen Monat vor dem Abriss nutzen können und dann werden teure Eigentumswohnungen gebaut.

Das Problem ist also, dass Investor:innen die Rückgewinnungsprozesse von städtischen Wassergrundstücken sehr stark geprägt haben und prägen. Könnte Politik hier stärker steuern? Schließlich befinden sich Wassergrundstücke ja oft in kommunaler Hand.

Strauss: Jein – gerade was Konversionen von industriell oder gewerblich genutzten Grundstücken angeht, da ist die Kommune in vielen Städten nicht der Eigentümer. Das wäre zu fordern, dass sie in Eigentümerposition kommen muss, um die Steuermacht zu haben. Stattdessen haben sich viele Kommunen – wie Berlin – in der Vergangenheit aus einer aktiven Bodenpolitik weitgehend zurückgezogen, auch weil ihre Haushalte das nicht hergaben und sie für andere Lösungen keine politischen Mehrheiten gefunden haben. Viele ehemals gewerblich genutzte Grundstücke in Wasserlage haben mit Altlasten zu tun, mit einem hohen Grundwasserstand, was das Bauen dort so teuer macht, dass die Kommune im Zweifel lieber die Finger davon lässt und auf einen Investor hofft. Das ist eigentlich ein Teufelskreis.

Auch wenn einem das Grundstück nicht gehört, könnte man als Kommune Vergabebedingungen definieren. Bietet das Planungsrecht Hebel, die Nutzung zu steuern?

Michalski: Die Kommune hat auf jeden Fall Einflussmöglichkeiten, indem ab einer gewissen Größenordnung ein Bebauungsplan aufgestellt wird. Und über eine Bauleitplanung lassen sich auch öffentliche Freiräume sichern. Die gewinnen in der ständig sich verdichtenden Stadt immer stärker an Bedeutung, insofern ist eine Kommune mit Sicherheit gut beraten, wenn sie dieses Potenzial erkennt und sagt: So eine Wasserlage soll nicht nur dem hochpreisigen Wohnen dienen, sondern muss Teil unseres öffentlichen Grünkonzeptes werden und für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

Wenn Wohnungsbau entstehen soll, ist es in den meisten Städten ja mittlerweile so, dass durch einen bestimmten Prozentsatz von gefördertem Wohnungsbau vielleicht auch für eine soziale Mischung gesorgt werden kann.

Wie verträgt sich ein hochpreisiges Wohnen am Wasser mit der Forderung nach öffentlichen Zugängen? Kann der Uferweg vor den Luxuswohnungen je mehr als eine Alibifunktion haben?

Michalski: In vielen Fällen ist es tatsächlich nicht mehr, und das führt auch ganz schnell zu Nutzungskonflikten. Weil Wasserlagen einfach so attraktiv sind, dass sie viele anziehen, auch um beispielsweise Partys zu feiern, mit eigenen Getränken. Deshalb ist es nie gut geplant, wenn man ausschließlich Wohnen ans Wasser bringt, und damit nur einigen wenigen diese Qualität von Freiraum zur Verfügung stellt. In so attraktiven Lagen muss tatsächlich ein Nutzungsmix entwickelt werden mit dem Ziel, dass möglichst weite Teile der Bevölkerung profitieren.

Strauss: Das muss die Kommune eben steuern, was sie immer dann kann, wenn sie Eigentümerin der Grundstücke ist. Selbst wenn sie die möglicherweise verkaufen möchte, kann sie dann beispielsweise über Konzeptverfahren eben Bedingungen stellen, was die spätere Nutzung angeht. Aber immer dann, wenn es um Bestand geht, ist sie in den meisten Fällen relativ machtlos. Wenn es beispielsweise um einen öffentlichen Weg geht, der am Ende des Seegrundstückes gewährleistet sein soll, braucht es die Zustimmung des Eigentümers, das Wegerecht ins Grundbuch eintragen zu lassen. Die größten Chancen, auf Bestand nachträglich mit öffentlicher Nutzung draufzugehen, bestehen immer dort, wo es relativ große zusammenhängende Konversionsflächen gibt. Ein Beispiel aus Berlin wäre »Mediaspree versenken«, doch selbst von der Forderung nach einem durchgehenden Uferweg ist nur Stückwerk geblieben. Also das ist eigentlich gescheitert, was da im Bebauungsplan alles vorgesehen war.

Etwas anderes waren die Berliner Wasserstadt-Entwicklungen der 90er Jahre, Rummelsburger Bucht und Wasserstadt Spandau. Die sind großflächig als Rahmenplanverfahren konzipiert worden. An diese Grundstücke ist ja lange niemand rangegangen, und dann gab es plötzlich doch privatisierte Grundstücke, weil alle Bauinteressenten genommen wurden, die überhaupt da waren. Daraus resultieren bis heute Diskussionen nach der öffentlichen Nutzung des Wasserrandes: Wer darf da was? In der Wasserstadt Spandau dagegen hatte der Senat die Grundstücke, und zu Beginn baute eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ein bisschen. Dann wurden aber auch Reihenhäuser zugelassen, weil das die einzigen Interessenten waren. Der Rest der Fläche blieb leer, bis diese Grundstücke vor knapp drei Jahren den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zugeordnet wurden. Die haben dort in den verschiedenen Förderstufen Wohnungen gebaut, auch mit öffentlich zugänglichen Treppen zum Wasser.

Müsste die Forderung also letztlich lauten: Wohnen am Wasser geht nicht für alle, also sollte niemand am Wasser wohnen?

Michalski: Die Idee hat für mich zumindest auf einer theoretischen Ebene durchaus ihren Charme, um für mehr Gerechtigkeit in der Stadt zu sorgen. Ich würde aber auf keinen Fall dafür plädieren, neue Monostrukturen zu schaffen, indem beispielsweise nur noch Dienstleistung ans Wasser kommt, das kann es auch nicht sein. Aber man könnte von der Uferkante ausgehend sagen: Erst mal eine schöne Parkanlage und dann in der ersten Reihe nicht unbedingt die Luxuswohnungen. Ziel sollten immer gemischte Quartiere sein, und das wird momentan am Wasser nicht verfolgt, sondern es sind hochpreisige Wohnungen für Bevölkerungsgruppen, die sich den unverbauten Ausblick aus ihrem Fenster eben leisten können. Angeblich sind Menschen bereit, bis zu 40 Prozent Aufschlag auf so ein Grundstück am Wasser zu zahlen, das ist ja schon eine Menge.

Auch aus Überflutungsgründen wären für alle zugängliche öffentliche Flächen vielleicht die beste Lösung?

Strauss: In diese Richtung wird schon gedacht, an der Elbe in Magdeburg, oder Städte in Sachsen planen ihren Hochwasserschutz mit einer relativ großen vorgelagerten Fläche. Eine andere Variante ist New York, die jetzt beginnen, einen Hochwasserschutz umzusetzen, der sich um ganz Manhatten ziehen soll. Da sind auch Parks vorgesehen, mehr öffentliche Nutzung am Wasser. Dort wird sehr viel Geld investiert, mit einer komplett neuen Wahrnehmung dieser Uferzone und der Stadt. Das ist ein Riesenprojekt, das die Kommune vorantreibt, um ihre Stadt in diesen Zonen attraktiver zu machen. Natürlich immer mit dem Hintergedanken, die vorhandenen Werte und Investitionen in Immobilien die dort stehen und gigantisch sind, auch zu schützen.

Wohnen am Wasser in so großem Umfang wurde ja auch durch eine »De-Industrialisierung« der Innenstädte überhaupt erst möglich. Trägt sie auch zur Gentrifizierung bei?

Strauss: Berlin, traditionell eigentlich eine Industrie- und Arbeiterstadt, hat kaum noch produzierende Gewerbe, kann aber auch keine Flächen anbieten, wenn neues produzierendes Gewerbe kommt, weil auch in den Randlagen, auf den ehemaligen Industriestandorten, eben Wohnungen gebaut werden. Also sollten wir diskutieren, ob diese Flächen am Wasser, die wir eigentlich für alle zugänglich machen wollen, auch offen für gewerbliche Nutzung sind. Im Sinne einer »neuen urbanen Produktion«, die nicht stinkt und Krach macht. Das Berliner Beispiel wäre Osthafen, die Nordseite, zwischen Oberbaumbrücke und Elsenbrücke, wo die Plattenlabels und MTV sind. Trotzdem ist die Wasserfront da zugänglich, wenn auch nicht als Grünfläche. Es wäre dort, weil man Teile der alten Hafenanlagen wie Kaimauern erhalten hat, schwierig, Bäume zu pflanzen. Aber diese Hafenzone hat weiterhin eine öffentliche Funktion in der Stadt.

Michalski: Inwieweit der öffentliche Raum oder attraktive Naturräume tatsächlich zu Gentrifizierungsprozessen beitragen, ist ein junges, aber extrem wichtiges Forschungsfeld. Ich glaube, dass sie das tatsächlich auch tun, und umso wichtiger ist es, gerade an so qualitätsvollen Lagen wie einem städtischen Gewässer bezahlbaren Wohnraum und zusätzlich auch konsumfreie öffentliche Räume zu schaffen. Nicht zuletzt seit der Pandemie und auch im Zuge des Klimawandels sind der öffentliche Raum und Grünräume wieder stärker in den Fokus gerückt. Wenn vielleicht auch nicht so sehr unter einem Gerechtigkeitsaspekt diskutiert wird, so doch wenigstens aus der Perspektive »Gesundheit in der Stadt/gesunde Stadt«. Ich kann mir durchaus vorstellen und würde es auch begrüßen, wenn es dadurch Neubewertungen gibt, die bisherige einseitige Entwicklungen ablösen, die ja im Prinzip lauteten: Jede Fläche muss irgendwie vermarktet werden.

Strauss: Dazu braucht es aber auch eine Haltungsänderung in der Bewertung des Gemeinwesens durch die Kommune: Grün- und öffentliche Räume gehören eben zur Daseinsvorsorge, und dafür muss ich im Zweifel auch Geld in die Hand nehmen. Das Spiel mit Beach-Bars oder Cafés bei Neugestaltungen von Uferzonen ist ja oft: Ich habe dann jemanden, dem ich in seinen Pachtvertrag schreibe, dass er die 30 Meter rechts und links auch noch mit pflegen muss. Wenn wir die finanzielle Ausstattung unserer Grünflächenämter ansehen: Berlin-Mitte hat eine Million pro Jahr im Budget für die Grünflächenpflege des gesamten Bezirks! Da muss man andere Prioritäten setzen im Haushalt, wenn man wegen Hochwasserschutz und Starkregenereignissen tatsächlich Retentionsflächen schaffen und sie bewusst als Chance für die Stadt sehen will.

Mehr Infos über die Arbeit des Deutschen Institut für Urbanistik gibt es hier: https://difu.de/

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