Wirtschaft
anders denken.

Nicht die Nerven verlieren

14.05.2020
CoronaPixabay

Inmitten der Corona-Pandemie ist Naomi Kleins 2007 erschienenes Buch »Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus« vielleicht eine der wichtigsten Analysen, die uns jetzt Orientierungshilfe geben können. Eine Kolumne.

Inmitten der Corona-Pandemie ist Naomi Kleins 2007 erschienenes Buch »Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus« vielleicht eine der wichtigsten Analysen, die uns jetzt Orientierungshilfe geben können. Klein beschreibt anhand historischer Beispiele, wie neoliberale Regierungen und Lobbygruppen die grassierende Angst und Unsicherheit während sogenannter gesellschaftlicher Schockmomente ausnutzen, um ihre Politiken für die reichen Industrieeliten durchzudrücken und soziale Sicherheiten abzubauen. In einem Video vom 16. März »Corona-Kapitalismus und wie er zu schlagen ist« nimmt sie Bezug auf den neoliberalen Vordenker Milton Friedman und seinen Spruch, dass echte Veränderung nur in Krisen entstehe, und das die weitere Entwicklung von Ideen abhänge, die bereits vorhanden sind. »Wenn es eine Sache gibt, die uns die Geschichte lehrt«, so Klein, »ist es, dass Schockmomente extrem unberechenbar sind. Wir verlieren entweder eine Menge Errungenschaften, werden von den Eliten über Jahrzehnte weiter ausgenommen, oder wir erringen Siege, die kurz vorher noch unmöglich schienen. Dies ist keine Zeit, die Nerven zu verlieren.«

Die Zukunftsforschung nennt solche Momente »Bifurkationen«, also Weggabelungen, an denen es nur eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung geben kann. Ein »Sowohl als auch« ist in solchen Situationen nicht möglich: Wir können nicht ein flächendeckendes und gutes Gesundheitssystem für alle und gleichzeitig starke Einsparungen im Gesundheitssektor haben. Diese Dinge schließen einander aus. Ebenso wenig können wir die gigantischen geforderten Hilfspakete für die Luftfahrt- Auto- und andere schmutzige Industrien mit effektivem Klimaschutz verbinden. Wir müssen uns schon entscheiden. Als stünde es in einem Drehbuch von Naomi Klein, holen die üblichen Verdächtigen ihre ollen Kamellen aus der Mottenkiste und fordern zum Beispiel die bewusste Verzögerung von Klimaschutz, um die Wirtschaft erst einmal wieder zu stabilisieren. Leute, geht‘s noch? Es scheint ja fast, als lebtet Ihr nicht auf diesem Planeten, der ja immerhin die Grundlage dafür ist, dass jegliche Art von Wirtschaft überhaupt stattfinden kann.

Besonders ärgerlich: die Verwechslung von Ursache und Wirkung. Vieles weist darauf hin, dass Landraub, Monokulturen und die tierverachtende Fleischproduktion die Übertragung und Ausbreitung solcher Viren aus dem Tierreich überhaupt erst möglich machen. Ganz abgesehen von den Viren und Bakterien, die die Erderhitzung durch das Auftauen des Permafrostes freisetzen könnte – daneben scheint die Coronakrise wie ein Sonntagsspaziergang.

Und: Es ist in einer Krisensituation überhaupt nicht hilfreich, verschiedene Krisen und Problematiken gegeneinander auszuspielen. Davon, dass sich unsere Prioritäten gerade darauf konzentrieren, möglichst viele Menschen vor einer Ansteckung zu schützen und diejenigen, die angesteckt sind, gut zu versorgen, gehen die anderen Probleme ja nicht weg.

Glücklicherweise gibt es etwas, dass sich »systemische Lösungen« nennt: also Ansätze, die das Potenzial haben, mehrere Probleme auf einmal zu lösen, indem sie an ihrer gemeinsamen Wurzel ansetzen und nicht die Symptome einzeln behandeln. Teil einer systemischen Lösung, die gerade in Form von populären Petitionen die Runde macht, ist das bedingungslose Grundeinkommen. Über Höhe und Finanzierung lässt sich diskutieren. Ein Grundeinkommen, das jedem Menschen ohne Wenn und Aber eine menschenwürdige Existenz und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sichert, wäre jedoch ein wichtiger Schritt, um soziale Sicherung von Arbeitsplätzen zu entkoppeln. Es eröffnete die Chance, klimaschädliche Industrien massiv zurückzubauen, ohne dass Menschen um ihre Existenz fürchten müssen. Finanziert durch mehr Umverteilung von oben nach unten, könnte es gleichzeitig den dringend benötigten ökologischen Umbau der Wirtschaft abfedern, mehr soziale Gerechtigkeit herstellen und dafür sorgen, dass ganz aktuell und auch in zukünftigen Krisen keine Menschen durch das soziale Netz fallen.

Noch eine schöne systemische Lösung wäre eine stärkere Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen: Das wäre nicht nur ökologisch vernünftig, sondern würde die Wirtschaft krisenresistenter machen – nicht nur im Bereich medizinischer Ausrüstung, sondern vor allem auch in der Versorgung mit Lebensmitteln. Einhergehend mit einer ökologischen Steuerreform, die vor allem Ressourcen und Emissionen, nicht aber Arbeit besteuert, könnte daraus ein Schuh werden. Um mit Naomi Klein zu sprechen: Gute Ideen gibt es viele. Schon lange. Jetzt in der Krise ist die Zeit gekommen, sie nach vorne zu bringen und die Chance zu nutzen, Mehrheiten zu gewinnen, die vorher undenkbar gewesen wären. Behaltet also Eure Nerven, es steht viel auf dem Spiel.

Noch eine Bemerkung zum Schluss: das momentane krisenhafte Schrumpfen der Wirtschaft hat – trotz der zeitweisen ökologischen Vorteile – nichts, aber auch gar nichts mit dem Konzept von Degrowth, also einer geplanten und sozial gerechten Abkehr vom Wachstumszwang, zu tun. Es zeigt vielmehr gerade, warum Degrowth dringend gebraucht wird: um die ökologisch notwendige Schrumpfung der Wirtschaft im globalen Norden sozial gerecht, solidarisch und dauerhaft zu gestalten. Jetzt heißt es, gute Utopien gegen die genauso realistischen Dystopien in Stellung bringen.

Geschrieben von:

Christiane Kliemann

Journalistin

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