Wirtschaft
anders denken.

Nichts gelernt? Welche Lehren die ökonomischen Wissenschaften aus der Finanzkrise gezogen haben

19.06.2018
Jaques, Lizenz: CC BY-SA 3.0Auch eine Möglichkeit, etwas zu sammeln. Und ein Hebel ist auch dran.

Hat die Finanzkrise seit 2007 in den ökonomischen Wissenschaften zu einem Umdenken geführt? Eine Studie des New Yorker Institute for New Economic Thinking kommt nun zu dem Ergebnis: Das ist kaum der Fall – ganz im Gegensatz zur Aufarbeitung der Großen Depression ab Ende der 1920er Jahre.

»Hat die globale Finanzkrise der Jahre ab 2007 sichtbare Auswirkungen auf die ökonomischen Wissenschaften gehabt?« Das ist die Frage, die sich das New Yorker Institute for New Economic Thinking zur Beantwortung vorgelegt hat. Untersucht wurde auf Basis eines bibliometrischen Ansatzes, der Inhalt und Ausrichtung der ökonomischen Fachliteratur auswertet. Durchleuchtet wurden dabei zwei Stichproben, die eine umfasste über 440.000 Artikel, die zwischen 1956 und 2016 veröffentlicht wurden; die andere umfasste 400 der meistzitierten Fachbeiträge vor und nach der Krise.

»Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die aktuelle Finanzkrise – anders als die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre – zu keinen größeren theoretischen oder methodischen Veränderungen in den heutigen Wirtschaftswissenschaften geführt hat«, heißt es nun in einer Präsentation der Ergebnisse. Zwar habe das Thema Finanzmarktinstabilität nach der Krise zunehmend Beachtung gefunden. Aber ein bedeutender Einfluss auf die Paradigmen der herrschenden Ökonomik sei nicht festzustellen.

Zu beobachten sei zwar eine leichte Abkehr von der dominanten Vorstellung, »dass die Finanzmärkte standardmäßig effizient sind und die Preise nur zufälligen Bewegungen folgen«. Die grundsätzliche Idee effizienter (Finanz-)Märkte sei allerdings im Prinzip unbestritten geblieben. Die Autoren des Papiers merken sogar an, »dass die Finanzkrise von den Ökonomen als ein großer externer Schock angesehen wird«, der nicht vorhersehbar gewesen sei – und die Krise mehrheitlich nicht als etwas erkannt wird, das dem ökonomischen Prozess, also der kapitalistischen Produktionsweise, innewohnt.

Die Autoren Ernest Aigner, Matthias Aistleitner, Florentin Glötzl and Jakob Kapeller schreiben zusammenfassend, die Analyse der Krisenrezeption in der Forschungsliteratur habe ein nur kurzzeitig ansteigendes Interesse an klassischen Beiträgen gezeigt, die sich mit finanzieller und wirtschaftlicher Instabilität befassen. In den als renommiert geltenden Fachperiodika sei das noch schwächer ausgeprägt gewesen. Hier zeige sich der Unterschied zur Aufarbeitung der großen Depression ab Ende der 1920er Jahre, so das INET-Papier:

Damals seien tatsächlich auch Lehren gezogen worden, die »zu einem breiten Konsens geführt« hätten, laut dem kapitalistische Ökonomien eben nicht selbsttragend seien (self-sustaining) – ein Konsens, der auch politische Auswirkungen hatte: Von ihm ausgehend wurden Wirtschaftspolitiken verfolgt, die gemischte Volkswirtschaften zum Ziel hatten, also Systeme, die Elemente der Marktwirtschaft mit Elementen der Planwirtschaft, freie Märkte mit staatlichem Interventionismus und private mit öffentlichen Unternehmen verbindet. Diese, so die Autoren, würden heute in den wohlhabenden Regionen dominieren – weil man damals die Lehren aus falscher Marktgläubigkeit zog.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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