Wirtschaft
anders denken.

Neu? Oder doch nur mehr vom Immergleichen?

19.02.2017
Mantel und Kleid auf Schneiderpuppe, grafisch verfremdetFoto: ni22co / Flickr CC-BY 2.0 LizenzNeu, neue Erfahrungen oder das Immergleiche?

Wahrscheinlich nur in Momenten, wenn der Kaufrausch nachgelassen hat, stellen wir uns die Frage, was uns am Neuen so begeistert. Manchmal meint es einfach nur: Noch mehr Varianten, die sich kaum voneinander unterscheiden.

Wir feiern den Beginn des neuen Jahres, statt das Alte fröhlich zu verabschieden. Diese Bevorzugung des Neuen gilt nicht nur für Jahre. Das Attribut »neu« hat einen fundamentalen Bedeutungswandel erfahren und ist mittlerweile gleichbedeutend mit »besser«.

Wenn etwas als neu tituliert wird, kann das zweierlei bedeuten. Das Neue kann etwas noch nicht Dagewesenes bezeichnen, eine Erfindung, die sich als Innovation ihren Weg gebahnt hat. Also zum Beispiel Fotovoltaik. Oder die eingetragene Lebenspartnerschaft. Solche Innovationen befördern oder ermöglichen gesellschaftliche Veränderung. Sie sind ziemlich selten. Eine andere Bedeutung des Wortes scheint etwas aus der Zeit gefallen. Das Neue kann etwas Gleichartiges sein. Etwas, was das Alte, Verbrauchte ersetzt: Neue Besen kehren gut. Neu ist daran die verbesserte Nutzbarkeit.

Eine solche Erfahrung des Neuen setzt voraus, dass Dinge bis zu ihrem Verschleiß benutzt werden und dass Konsumgüter für bestimmte Funktionen nur einmal vorhanden sind. Das stimmt in den meis­ten Haushalten Deutschlands wohl nur noch für Heizungsanlage, Auto oder Tiefkühlschrank. So gesehen kann man sich heute eigentlich keine neuen Schuhe mehr kaufen, nur zusätzliche. Die Konsumgesellschaft verdrängt also teilweise die Erfahrung, die man mit dem Neuen machen kann.

Unstrittig ist: Neuheitsversprechen gewinnen unsere Aufmerksamkeit.

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Mit dem Verlust der Erfahrung zeigt sich zugleich eine inflationäre Verwendung des Begriffs »neu«. Alles, was in Konkurrenz zu anderen Anbietern bestehen muss, wird turnusmäßig mit dem Zauberwort versehen und dadurch aufgewertet: neue Geschmacksrichtungen beim Joghurt, neue Rezepturen bei der Hautcreme, neue Wirkversprechen bei der Wellness-Anwendung. Mit Neuheit oder gar Innovation hat das alles nichts zu tun, stattdessen mit inkrementeller Variation. Dabei geht es darum, die Aufmerksamkeit für ein bereits eingeführtes Produkt dauernd zu befeuern. Wenn es gefühlt 100 Joghurt-Anbieter und Hautcreme-Marken gibt, ist das sicher auch nötig.

Die Konsumgesellschaft verdrängt die Erfahrung, die man mit dem Neuen machen kann.

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In einer Wirtschaft, in der Rohstoffe nichts kos­ten und in der die Auslastung von Produktionsanlagen die Kostenstruktur bestimmt, konkurrieren Massen von gleichförmigen Produkten um Aufmerksamkeit. Neu heißt in der industriellen Konsumgesellschaft: Noch mehr Varianten, die sich kaum voneinander unterscheiden. Aber auch die Wissensgesellschaft preist laufend Pseudo-Innovationen an, die sich bei genauer Betrachtung als Recycling von Wissen erweisen. Wenig Aufmerksamkeit gibt es in dieser Logik für die Exnovation, also für die Frage, was es nicht braucht und wie Überkommenes aus der Welt zu schaffen wäre. Dabei gibt es davon immer mehr, denn das Interesse am vermeintlich Neuen hält nur, bis sich die nächste Variation des Vorhandenen anbietet. So beschleunigt das Spiel mit dem Neuheitsversprechen die Alterung von Konsumgütern und forciert zugleich deren Ersatz.

Neu heißt in der industriellen Konsumgesellschaft: Noch mehr Varianten, die sich kaum voneinander unterscheiden.

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Unstrittig ist: Neuheitsversprechen gewinnen unsere Aufmerksamkeit. Sind wir also eine besonders innovationsfreudige Gesellschaft, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen? Sind wir veränderungsbereit? Ich fürchte nein. Mir scheint eher, dass es immer ausgeklügeltere Taktiken gibt, Veränderung abzuwehren. Das hat aus meiner Sicht zwei zentrale Gründe. Veränderung bedeutet erstens subjektiv immer auch eine Herausforderung. Ich muss mich auf das andere einstellen, anders handeln. Nachdem die herrschende wirtschaftliche Organisation Menschen in Konsumenten verwandelt und damit passiv hat werden lassen, wundert es nicht, dass diese Menschen Veränderung als Bedrohung wahrnehmen, für die ihnen Handlungskompetenz fehlt. Veränderung erscheint zweitens dort, wo Menschen unterschiedliche Interessen haben, tendenziell als Bedrohung geschaffener Privilegien. Je mehr ich zu verlieren habe, desto größer sind meine Vorbehalte gegen Veränderung: Denn die könnte ja meinen geschützten Bereich gefährden. Hier zeigt sich das Dilemma, auf das die Neuheitsversprechen aufsetzen: Sie sprechen unsere Sehnsucht nach Wandel an, nach einem Neuanfang. Diese Sehnsucht wird womöglich umso größer, je mehr wir spüren, dass wir gefangen sind in eingetretenen Pfaden und Großstrukturen, die es sehr unwahrscheinlich machen, dass wir eine wirkliche Veränderung gestalten werden.

Diese Kolumne erschien in OXI 1/2017.

Geschrieben von:

Corinna Vosse

Wissenschaftlerin

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