Wirtschaft
anders denken.

»Ökonomen fordern, Politiker fordern …« Zur Rolle des Schlagwortes »Digitalisierung«

27.03.2018
Rovena Rosa/Agência Brasil, Lizenz: CC BY-SA 3.0 BR

Alle reden über »Digitalisierung«. Was da teils gefordert wird, erscheint als notwendige Anpassung an eine Art Naturgewalt; in Wahrheit geht es um ökonomische Interessen. Und wenn eine Deregulierungskommission aus den 1980er Jahren als Vorbild genannt wird, weiß man auch: Es geht um die Schwächung des Faktors Arbeit.

Wenn man heute in der Politik etwas werden will, sollte man sich den Begriff »Digitalisierung« möglichst oft in Reden und Papiere einfließen lassen, auch in schriftliche Forderungen, eingereichte Anträge, unterschriebene Kooperationsvereinbarung und was sonst noch seit analogen Zeiten zum Kommunikationsbesteck der Demokratie gehört. Die Benutzung des Wortes signalisiert einen doppelten Vorteil vor Leuten wie dem früheren Wirtschaftsminister Michael Glos, der einmal meinte, er »habe Gott sei Dank Leute, die für mich das Internet bedienen«: Wer von »Digitalisierung« redet, kann von sich behaupten, sowohl das Problem als auch seine Lösung im Sinn zu haben.

Nun gibt es gute Gründe, über mehr Breitbandausbau, die Förderung von Innovation, Fragen des Datenschutzes und der Anwendung von Daten, die entsprechende Flankierung durch Bildung etc. pp. zu reden. Auch über mögliche Folgen der Automatisierung. Wie das aber unter dem Schlagwort »Digitalisierung« in aller Regel getan wird, verschleiert auf mehrfache Weise, worum es dabei wem geht.

»Digitalisierung« wird erstens wie eine Naturgewalt behandelt, der man sich anpassen müsse – wir erinnern uns an die »Globalisierung«. »Digitalisierung« verspricht zweitens eine Art Allzweckwaffe für die Lösung von allerlei sozialen Problemen zu sein; ein »So­lu­tio­nis­mus«, den nicht nur Evgeny Morozov kritisiert, weil gar nicht mehr zur Debatte gestellt wird, ob dieser Fortschritt gesellschaftlich nützlich ist und vor allem für wen.

Den Weg im Sinne von Kapitalinteressen freiräumen

Im allgemeinen Digitalisierungsrauschen geht dann auch manches unter, das Aufmerksamkeit verdient hätte. Gerade hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung »dazu aufgerufen, mehr Anstrengungen in einen durchgreifenden digitalen Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft zu unternehmen«, so meldet es der Bundestag. Anlass war eine Diskussion im Wirtschaftsausschuss, in der auch noch einmal auf Empfehlungen des jüngsten Jahresgutachtens verwiesen wurde.

Und was wird da gefordert? Natürlich, etwas für die »Digitalisierung« zu tun. Die als Wirtschaftsweise bezeichneten Influencer der politischen Landschaft demonstrieren dabei noch eine dritte Art der Interessensverschleierung, die dem Reden über »Digitalisierung« innewohnt: Es wird so getan, als gehe es um dringende Maßnahmen, weil sonst die Bundesrepublik vom Internet und überhaupt dem Fortschritt abgekoppelt würde. In Wahrheit dient das Thema dazu, den Weg im Sinne von Kapitalinteressen freizuräumen. So empfiehlt der Sachverständigenrat etwa eine Digitalisierungskommission einzusetzen, die »innovationshemmende Regulierungen auf den Prüfstand« stellen und »Anregungen für eine innovationsfreundlichere Gesetzeslage in Deutschland« geben soll. Alles natürlich »in einer systematischen Gesamtbetrachtung«, die dann auch »Reformbedarf zu identifizieren« habe.

Mit solchen Schlagworten ist hierzulande gern versucht worden, Regelungen im Sinne von Beschäftigten und Fesseln des Profitmachens zu lockern. Basierend auf dem Aberglauben, ein möglichst ungehemmter Markt werde schon alles richten, wird da für »Innovationsoffenheit« plädiert, andere Interessen sollen im Rahmen einer »regulatorischen Nachsteuerung« bedient werden. Auch der Netzausbau wird hier eingepasst, der soll »durch private Investitionen vorangetrieben werden«, der Staat darf einspringen, wenn diese »aufgrund mangelnder Rentabilität nicht zustande kommen«. Und in den Tagen der großen Facebook-Debatte besonders schön zu lesen ist die Kritik an »strengen Datenschutzvorschriften« oder ihrer strengen Handhabung, weil diese »an manchen Stellen die Entfaltung von Effizienzgewinnen aus ›Big Data‹« behindere. Und natürlich auch an ganz normalen Gewinnen daraus.

Neoklassischer Stichwortgeber der damaligen schwarz-geben Regierung

Wohin die Reise gehen soll, die zumindest vier von fünf »Wirtschaftsweisen« einzuschlagen empfehlen, kann man in dem Gutachten übrigens nachlesen: Die Digitalisierungskommission solle sich »am Vorbild der im Jahr 1988 konstituierten Deregulierungskommission der Bundesregierung orientieren«, heißt es da. Diese »Unabhängige Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierungen« war ein wichtiger Stichwortgeber der damaligen schwarz-geben Regierung – unter der neoklassischen Annahme, weniger Regeln führten zu mehr Wettbewerb und der zu geringeren Kosten und mehr Innovation. Politisch schlug sich dieser Kurs in der Schwächung des Faktors Arbeit nieder.

Der auf dem Gewerkschaftsticket im Sachverständigenrat sitzende Peter Bofinger hatte in dem Jahresgutachten seinerzeit gegen die Linie der Mehrheit argumentiert. Was da als »Neujustierung der Wirtschaftspolitik« formuliert sei, ziele letzen Endes darauf ab, »die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit des Staates durch eine Beschränkung und Reduzierung seiner Ressourcen zu schwächen«.

Genau: Will man ein starkes Öffentliches, das im gesellschaftlichen Interesse handlungsfähig ist, auch wenn dazu nötig ist, das Kapital und seine Logik einzuhegen? Oder geht es um die Interessen von wenigen, die unter der Losung »mehr Markt bringt mehr« als die Interessen aller behandelt werden? Darum geht es, wenn Politik über die Gestaltung von Ökonomie und Sozialem unter dem Schlagwort »Digitalisierung« redet.

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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