Ökonomie, die
Die Voreingenommenheit der Wirtschaftswissenschaften und der Politik gegenüber anderen Denkhaltungen und der Geschlechterfrage ist lebensgefährlich geworden.
In ihrem im März in deutscher Sprache erscheinenden Buch Die Donut-Ökonomie (Hanser Verlag) widmet sich die Autorin Kate Raworth eingangs der umfassenden Krise der Wirtschaftswissenschaften, deren öffentlicher Kanon seit jeher von Männern diktiert wird. Ökonomen seien mit der Aura der Autorität ausgestattet. »Sie sitzen in der internationalen politischen Arena – von der Weltbank bis zur Welthandelsorganisation – als Experten in der ersten Reihe. In den USA beispielsweise ist das Council of Economic Advisers des Präsidenten das einflussreichste, renommierteste und am längsten bestehende Beratungsgremium des Weißen Hauses… .«
John Maynard Keynes oder Adam Smith waren nicht die einzigen, die vor der Macht ihres Berufsstandes warnten. Keynes beklagte, dass die Gedanken der Ökonomen, egal, ob sie im Recht oder im Unrecht seien, einflussreicher seien, als gemeinhin angenommen. »Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen.« Friedrich August von Hayek bekam 1974 als erster den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen und merkte an, er hätte sich, wäre er gefragt worden, gegen die Einrichtung eines solchen Preises ausgesprochen, da der Nobelpreis einem Menschen eine Autorität verleihe, die in der Ökonomie niemandem zukäme.
Wenn es einer Wissenschaft gelingt, über Jahrhunderte hinweg fast ausschließlich die männliche Sicht- und Denkweise in die Öffentlichkeit zu tragen, ins Bewusstsein zu pflanzen und ihr Einfluss zu verschaffen, hat dies irgendwann gravierende Folgen.
Raworth erklärt, dass in den USA jährlich rund fünf Millionen Collegestudenten einen Ökonomiekurs absolvierten, der als standardmäßiger Einführungskurs namens Econ 101 inzwischen weltweit angeboten und gelehrt würde. Überall dieselben Lehrbücher, dieselbe Denkhaltung, derselbe Einheitsbrei, dieselben Zahlen und Kurven, die Geisteshaltung der 1950er Jahre, die Theorien des 19. Jahrhunderts. Übertrüge man dies auf irgendeine andere wissenschaftliche Disziplin, beispielsweise die Medizin, ginge man lieber zur Wunderheilerin, als sich in ein Krankenhaus zu begeben.
Die Politik aber holt sich die Grundlagen für ihre Wirtschaftspolitik genau dort ab, wenn sie nicht von vornherein Wirtschaftslobbyisten den Vorzug als Einflüsterer gibt. Was sie meist tut. Wer über die Neoklassik und das politische Projekt des Neoliberalismus, der sich aus ihr nährt, hinausgeht, sich anderen Schulen, Denkrichtungen, Möglichkeiten öffnet, gilt wahlweise als exotisch, bekloppt oder niedlich.
Der feministischen Ökonomie, bei der wir uns trefflich streiten können, ob sie eine Denkrichtung, eine Nische oder ein grundlegend neuer Ansatz für ökonomisches Handeln ist, kommt seit Ausbruch der Finanzkrise etwas mehr Aufmerksamkeit zu. Die Krise hatten vor allem Männer zu verantworten (auch wenn die Frage, ob Lehman Sisters ebenfalls Pleite gegangen wären, nie beantwortet werden kann), als Krisenmanagerinnen kamen in der Politik, vor allem aber in den Familien und Sozialräumen, viele Frauen zum Zug. Nennen wir sie Trümmerfrauen.
Wer sich allerdings heute bei Google ein Alert für die Begriffe Wirtschaftsexperte und Wirtschaftsexpertin einrichtet, wird unter erstem Wort regelmäßig belohnt und bekommt tagelang nichts zum zweiten Wort geboten.
Das ist ein vergleichsweise alberner Beweis, tatsächlich aber entspricht die an die Öffentlichkeit gelangende Expertise von Ökonominnen nicht deren tatsächlicher wissenschaftlicher Leistung. Das war schon immer so und das trifft auch auf jene neuen Denkansätze zu, die sich mit der Frage befassen, wie eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus aussehen und wie ein anderes Wirtschaftssystem jenseits des kapitalistischen funktionieren kann.
Der Postkapitalismus ist ebenfalls Männersache. Bislang. Es wäre interessant, im Stile der G-20-Ikonografie ein Foto all jener, öffentlich zumindest diskutierter, Ökonom*innen zu sehen, die als Expertise für neue ökonomische Ansätze gelten. Und in dem Suchbild die Frau zu finden.
Die feministische Ökonomie kann für sich weiterhin in Anspruch nehmen, als einzige Denkschule den großen Bereich der Reproduktionsarbeit und die Geschlechterverhältnisse in den Blick und Fokus zu nehmen. Barbara Fried, Vizedirektorin des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, monierte zu Recht, dass Klasse und Feminismus weiterhin gegeneinander ausgespielt werden.
In der Bundesrepublik war schon vor 15 Jahren die Reproduktionsarbeit zeitlich um das 1,7-fache größer als die Lohnarbeit. Gabriele Winker, Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg, sieht in der sogenannten Care-Revolution deshalb auch einen grundlegenden Perspektivwechsel, der statt Profitmaximierung die Verwirklichung menschlicher Bedürfnisse ins Zentrum gesellschaftlichen und ökonomischen Handelns stellt. Dieser Ansatz könnte heißen, alle gesellschaftlich für die Daseinsvorsorge notwendigen Arbeiten von der Warenproduktion und damit von Verwertungsprinzipien auszuschließen.
Das alles wird viel zu wenig diskutiert. Kate Raworth: »Den Kern des herkömmlichen wirtschaftlichen Denkens bildet eine Handvoll Diagramme, die ohne Worte, jedoch sehr eindrücklich Art und Weise bestimmt haben, wie wir über die ökonomische Welt denken – und alle diese Diagramme sind überholt, betriebsblind oder schlicht falsch.«
Ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe von OXI. Hier geht es zum Inhaltsverzeichnis.
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