Das Jungsthema, unsere Erfahrung als Ökonominnen und die Reproduktion einer Monokultur
Männer glauben, alles erklären zu können, sie drängeln sich vor – und so sieht die Welt dann auch aus. Und wir Frauen? Über die männerdominierte Monokultur in der Ökonomie, schuldbewusste Gefühle der Zurücksetzung und Quoten, die da auch nicht weiterhelfen. Ein Text aus dem OXI-Schwerpunkt »Ökonominnen«. Hier das ganze Heft als PDF zum Download.
Unlängst hat ein Wirtschaftsredakteur der österreichischen Tageszeitung »Der Standard« darüber reflektiert, warum er in seinen Beiträgen so selten Ökonominnen zu Wort kommen lässt und er damit zur männlichen Dominanz in Wirtschaftsfragen beiträgt. »46 Interviews habe ich in den vergangenen vier Jahren geführt, davon 42 mit Männern«, kann man da lesen. Es ist ein selbstkritisches Stück und es hat Beachtung gefunden.
Wer weitere Zahlen über dieses Missverhältnis lesen will, muss nicht lange suchen. Es gibt Statistiken, laut derer 98 der 100 meist zitierten WirtschaftsexpertInnen Männer sind. Daten belegen, dass immer noch weit mehr Männer Karriere in der Wirtschaft und der Wissenschaft machen. Es wird über Quoten fürs Management von Unternehmen, über die Ungleichbehandlung von Frauen im Medien- und Politikbetrieb allgemein gesprochen. Und das seit Jahren. Immerhin hat dies für Sensibilität gesorgt. Wer heute ein reines Männerpodium veranstaltet, muss eher mal mit öffentlicher Kritik und Häme rechnen als noch vor wenigen Jahren. Das ist gut so.
Aber es gibt auch eine andere Seite. Eine befreundete Zeitung hatte sich vor Jahren fest vorgenommen, Autorinnen und Autoren zu gleichen Teilen zu Wort kommen zu lassen. Gute Idee. Und die Praxis? Zwar kommt es immer seltener vor, dass explizit gefragt wird: »Uns fehlt noch eine Frau, hättest du nicht Zeit und Interesse?« Aber wenn man als letzte Teilnehmerin für eine Diskussionsrunde angefragt wird, bei der bereits drei männliche Redner feststehen, entsteht unmittelbar der Gedanke: Es geht um die Quote, nicht um mich.
Es geht um die Quote, nicht um mich
Kritik an mangelnder Sichtbarkeit von Frauen, insbesondere im ökonomischen, öffentlichen Diskurs, auf Podien, in Talkshows und Publikationen, wird oft genug geübt. Aber mal ehrlich: Wie weit reproduzieren wir Frauen selbst diesen Zustand?
Wie oft haben wir Anfragen abgesagt? Mit guten Gründen, sicherlich: Ich habe keine Zeit, mich richtig vorzubereiten, bin gar nicht so im Thema, da gibt es doch geeignetere Experten, ich bin doch gar nicht so prominent, wie die anderen, etc.
Wir kennen diese Selbstzweifel und Selbstansprüche. Wäre es nicht sinnvoll, darüber zu reden, woher die Zweifel am eigenen Vermögen kommen, woher die Scheu rührt, eben nicht auf die Bühne oder zum Leitartikel zu drängen? Über das schuldbewusste Gefühl, das bleibt, wenn wir dann doch absagen, weil wir damit die männerdominierte Monokultur in der Ökonomie abermals reproduzieren?
Der zitierte Kollege vom »Standard« hat sich ebenfalls seinen Reim darauf gemacht. »Es wimmelt nur so von Männern, die zu allem eine Meinung haben« – soll heißen: Frauen zu finden, ist gar nicht so einfach, weil sich viele Männer auf der Bühne nach vorne drängeln und die Frauen dahinter verschwinden. Und entsprechend wird sich dann auch verhalten.
Männer werden für kompetenter gehalten. Warum?
Isabel Schnabel, eine der wenigen bekannteren Ökonominnen in der Bundesrepublik und Mitglied des Sachverständigenrats, hat unlängst eine Beobachtung geteilt: Das Klima in den Wirtschaftswissenschaften sei stark männlich geprägt, vor allem die Art der Auseinandersetzung. Schnabel sprach von Aggressivität und davon, dass sich Frauen damit nicht wohl fühlten. Damit nicht genug: Es wirkten »unbewusste Verzerrungen, also Geschlechter-Stereotypen«. Diese würden dazu »führen, dass Männer für kompetenter gehalten werden«.
Und sich selbst für kompetenter halten, ließe sich ergänzen. Es gibt sogar einen Begriff dafür: Mansplaining. Jede kennt es: das selbstgewisse, unaufmerksame Sprechen von Männern gegenüber Frauen, diese Welterklärer-Haltung, ohne Interesse an oder Bewusstsein für die Frage, ob die Gesprächspartnerin möglicherweise auch etwas dazu zu sagen weiß.
Es ist auch solche kommunikative Machtausübung, die hierarchische Geschlechterordnungen am Leben hält. Das wurde sogar schon untersucht: Eine Studie der Princeton University zeigte 2012, dass der Anteil der Redezeit von Frauen in gemischt zusammengesetzten Arbeitsgruppen signifikant geringer war als jener von Männern. Und Victoria L. Brescoll von der Yale University hat am Beispiel des US-Senates gezeigt, dass mehr Macht bei Männern zu mehr Redebeiträgen führt. Bei Frauen jedoch nicht.
Und wir hören mit: Sei wie ein Mann
Und was helfen quotierte Redelisten? Ja, sie sind ein tauglicher Versuch, gegen solche Ungleichgewichte etwas zu tun. Aber wir kennen auch hier die andere Seite: das Gefühl des Vorgeführtwerdens, wenn laut Liste eine Frau dran wäre, sich aber keine von uns meldet, weil wir wirklich gerade nichts zu sagen haben oder weil wir das, was wir sagen wollen, noch nicht ausgereift finden. Oder, oder, oder. Und der Raum verstummt. Das Gefühl, das sich einstellt, wenn wir dann betreten zu Boden schauen – nicht angenehm. Und es wird nicht besser, wenn wir uns vor Augen führen, wie heute Mädchenförderung oder Frauenemanzipation als Anpassung an diese falschen Zustände verstanden wird: »Lerne, dich durchzusetzen!« Und wir hören mit: Sei wie ein Mann.
Und so bleibt unsere Erfahrung als Frauen eine der Herr-Schaft. Das hat mehr mit Ökonomie zu tun, als vielen bewusst ist. Ökonomie ist – salopp gesagt – ein Jungsthema. Es ist das Fach der Männer, die meinen, die Welt beherrschen zu können, indem sie sie be- und ausrechenbar machen, sie in Zahlen, Kurven, Modelle und Tortengrafiken pressen. Natürlich, Frauen können genauso gut mit Zahlen wie Männer. Wussten Sie, dass die ersten Programmiererinnen in den 1960er Jahren Frauen waren? Sie wurden rausgedrängt, als dieser Beruf an gesellschaftlichem Prestige gewann und aussichtsreiche Karrieremöglichkeiten bot.
Es sind nicht vermeintlich mangelnde Rechen- oder Logikfähigkeiten, die uns abhalten. Es ist jener Gegenstand der Wissenschaft, der auf sein Diskursfeld eigentümlich zurückwirkt und dies weit über das eigene Feld hinaus: Ökonomie ist durch Konkurrenz strukturiert, in der gewinnt, wer weiter, schneller, höher ist. Eine Welt, in der Dominanz, Potenz, Leistung und Macht die akzeptierten Währungen sind, und wo die Ergebnisse wie beim Fußball erst nach dem Spiel feststehen. Kein Mann kann vorhersagen: Mönchengladbach wird gegen Schalke 3:2 gewinnen. Aber alle Männer können hinterher lange erklären, warum Mönchengladbach 3:2 gewonnen und warum Schalke verloren hat. Und warum das so kommen musste.
Denn Unwissenheit wird als Schwäche gesehen
Ähnlich bei der Ökonomie: Männer erklären, wer wann und warum welchen Erfolg hatte, wer durch Missmanagement das Unternehmen in die Pleite geführt oder wer mit kluger Vorausschau das Unternehmen »konkurrenzfähig« gemacht hat. Männer sagen, welches Land »notwendige« und »schmerzhafte« Reformen durchgeführt hat, wodurch das Bruttoinlandsprodukt gestiegen ist. Sie kennen den geraden Weg zum Erfolg.
Sie wissen, welches Land noch hinterherhinkt mit dem Wachstum, weil es nicht »wettbewerbsfähig« ist, weil es »Reformen verschlafen« hat, sie kritisieren Politik, die zu weich und nett zu den Menschen ist und loben Strenge, Autorität und Konsequenz, weil Maßnahmen mit zunehmender Härte immer besser werden. Männer können sagen, wann die nächste Krise kommen wird und erklären, wie es zur letzten gekommen ist. Zweifelsfrei. Denn Unwissenheit ist Schwäche.
Aber: Wer hat die letzte große globale Krise vorausgesehen? Waren nicht alle überrascht? Wirtschaftliche Ergebnisse stellen sich im Kapitalismus oft erst im Nachhinein dar, vieles hängt ab von Unberechenbarkeiten. Und trotzdem: Unsicherheit, Zweifel, Ratlosigkeit ist in diesem männlich dominierten Erklärer-Universum nicht vorgesehen. »Ökonomen wollen die Welt erklären«, zitiert der Autor des bereits erwähnten »Standard«-Artikels eine Geschlechterforscherin. Und, so ergänzt sie, das mische sich »mit einem gewissen Größenwahn«. Denn wer erklären kann, der hat Kontrolle über die Realität. Oder kann sich das zumindest einbilden.
Performance, Dominanz, Leistung, Potenz
Natürlich, es geht hier nicht um biologische Determinationen. Nicht alle Männer sind so. Und auch nicht alle Frauen sind anders. Wir haben gelernt, zu unterscheiden zwischen Sex und Gender, trennen in ein biologisches Geschlecht – wie binär oder auch nicht es immer sein mag – und die soziale Konstruktion, in der sich die gesellschaftlichen Verhältnisse als Geschlechterverhältnisse spiegeln.
Und so wird die große Bühne zur kleinen, zur Talkshow, in der sich gemessen wird am Redeanteil, an Selbstgewissheit und Selbstsicherheit, daran, wer die Welt am überzeugendsten erklärt und damit zumindest theoretisch im Griff hat. Auch wenn es noch so viele verschiedene Meinungen dazu gibt, auch wenn noch so viele Zweifel im Raum stehen, am Ende bleibt ein Wettrennen um die beste Performance, um Dominanz, Leistung und Potenz.
Wenn wir daran etwas ändern wollen, wird uns eine Quote allein nicht reichen. Nicht in den Wirtschaftswissenschaften und auch sonst nicht. Das Gute ist, dass immer mehr kritisch darüber nachgedacht wird, ob eine Quotierung unter den gegebenen Verhältnissen nicht eher zur Aufforderung wird, bei einem Spiel mitzumachen, bei dem es darum geht, dass alles andere bleibt, wie es ist. Das Bessere wäre, die Verhältnisse so zu ändern, dass niemand mehr das ungute Gefühl ertragen muss, ein Spiel spielen zu müssen, dessen Regeln sie oder er nicht mag.
Sabine Nuss wurde mit einer ökonomiekritischen Arbeit über Eigentum und Digitalisierung promoviert und ist Geschäftsführerin des Berliner Karl Dietz Verlages.
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