Oh, Du Fröhliche! Weihnachten und noch mehr unbezahlte Care-Arbeit…
Nicht nur zu Weihnachten: Der Druck auf Mütter, für sämtliche Facetten der Care-Arbeit allein verantwortlich zu sein ließe sich nur nehmen, wenn es ein anderes Wirtschaftssystem gibt.
Was wäre eigentlich passiert, wenn die heiligen 3 Könige heilige 3 Königinnen gewesen wären?
- Sie hätten einfach nach dem Weg gefragt.
- Sie wären rechtzeitig angekommen.
- Sie hätten bei der Geburt geholfen.
- Sie hätten den Stall sauber gemacht.
- Sie hätten nützliche Geschenke gebracht
- und auch was zu essen.
Die Zeitschriftenauslage im Supermarkt kündet seit Wochen vom bevorstehenden Weihnachtsfest. Getrocknete Südfrüchte in Scheiben sollen uns als weihnachtliche Deko- und Geschenk-Schönheiten die Zeit rund ums Fest versüßen und alle seien wirklich ganz einfach zu basteln. Die Extra-Hefte zum Thema »Plätzchenbäckerei« warten mit immer raffinierteren Rezepten auf. Ja, heutzutage muss es eben eine Tonka-Bohne als Backzutat sein. Überaus vielfältig sind auch die Vorschläge für das feine Festtagsmenü: Mögen Sie Ochsenbäckchen mit Nussbutter-Kartoffeln und Mohn-Pastinaken oder lieber ein vegetarisches Rote-Bete-Wellington? Oder soll`s lässiger sein? Dann servieren Sie doch Kartoffeln mit Füllungen von Lachs-Ceviche bis Entenbrust. »Und unser Frühstück bringt entspannt in den Tag«, so verspricht es zum Beispiel die Frauenzeitschrift BRIGITTE in ihrer Ausgabe vom 6. Dezember 2023. Dann sind da auch noch Weihnachtskarten zu schreiben, Adventkalender zu befüllen, Geschenke auszuwählen, der Weihnachtsbaum zu besorgen und, und, und…
Der Rundum-Liebesdienst von Frauen
Wer dann auch noch auf Instagram, TikTok oder Facebook unterwegs ist, kann sich tagelang mit einem schier unerschöpflichen Portfolio rund um Weihnachten und den Jahreswechsel befassen: Dieses Jahr wird alles noch perfekter, noch schöner, noch mehr Glanz und Glamour. Bestellen Sie Ausgefallenes doch zeitsparend im Netz! All diese Vorschläge scheinen allein an Vollzeitmütter der gehobenen Mittelschicht ohne berufliche Verpflichtungen adressiert zu sein, die sich für ihre Lieben wieder einmal ins Zeug legen sollen. Schon für sie dürften solche überbordenden Perfektionsansprüche kaum zu stemmen sein. Wenn das schon für die Mitte-Hausfrauen in gesicherten finanziellen Verhältnissen in Hamburg Blankenese oder in Berlin Dahlem ein Problem ist, wie sollen das dann eigentlich diejenigen hinbekommen, die vollzeitnah oder gar in Vollzeit berufstätig sind und immer öfter auch noch ihren hilfsbedürftigen Eltern oder Schwiegereltern in der Nachbarstadt beim Einkaufen und im Haushalt zur Hand gehen müssen? Oder alleinerziehende Mütter, von denen schon vor Corona mehr als 40 Prozent armutsgefährdet waren?
Die »Mental Load« (mentale Last), jener Teil der unbezahlten Care-Arbeit, die schon im normalen Alltag auf den Frauen, vor allem auf Müttern lastet, und zusammengefasst werden kann als »Wenn eine für alle an alles denkt«, potenziert sich vor und während der Festtage um ein Vielfaches. Geruhsame Weihnachten, entspannte Feiertage? Für viele Frauen und Mütter klingt das eher wie Hohn. Erschöpfung und Überforderung sind die Folgen.
»Simplifying Christmas!«
Die Gegenbewegung nennt sich »How to Simplify Christmas?«. Planung und Selbstsorge seien einfach alles, ist zu erfahren. Doch eine Empfehlung wie die, morgens eine Stunde früher aufzustehen, um auch mal Zeit für sich allein zu haben und mit einer Tasse Yogi-Tee entspannt den Schneeflocken vor dem Fenster zuzuschauen, mutet irgendwie zynisch an. Eine To-Do-Liste schreiben, nicht perfekt sein wollen, Aufgaben an andere delegieren, klingt erst einmal gut. Ob das wirklich hilft? Zweifel sind allemal berechtigt. Die Verantwortung bleibt am Ende auch bei der Vorbereitung des Weihnachtsfestes nach diesem schlichteren Prinzip wieder an den Frauen hängen, die das Ganze in jedem Fall orchestrieren müssen. Väter sitzt an den wohlverdienten Feiertagen lieber mit dem Sohnemann an der Nintendo-Spielekonsole oder erwarten Lob, wenn sie mal beim Abtrocknen helfen.
Stressoren für die Caredienst-Leistenden sind systemisch bedingt
Zudem müssen viele berufstätige Mütter in der kalten Jahreszeit in Berlin und andernorts ihre Kinder krankheits- oder auch streikbedingt gerade mal wieder zu Hause betreuen. Es ist fast wie in Corona-Zeiten: Haushalt, Homeoffice, Kinder. Auf die Hausfrau und Mutter lässt sich eben alles abwälzen.
Obendrein muss die Kunstfigur der Hausfrau in ihrer schwäbischen Variante (»Svabian Housewife«) ja nun auch noch dafür herhalten, die Schuldenbremse verbissen und um jeden Preis zu verteidigen, obwohl diese 2009 eingeführte verfassungsrechtliche Regelung uns und vor allem der jungen Generation einen massiven Investitionsstau beschert hat: kaputte Straßen und Schulen, fehlende Wohnungen, Niedriglöhne, gerade auch im sozialen Dienstleistungssektor.
Der Fachkräftemangel in KiTas ist inzwischen so groß wie nie, deutschlandweit fehlen mehr als 400.000 Plätze, zu wenig Personal für zu viele Kinder. Und auch die meisten Grundschulkinder stehen spätestens um 13 Uhr zu Hause auf der Matte, weil es auch für sie an öffentlichen Betreuungsangeboten am Nachmittag fehlt. Eine Entspannung ist vorerst nicht in Sicht.
Vielleicht haben all diese Mütter beim Plätzchenbacken mit ihren Kindern zufällig im Radio von den Ergebnissen der neuen Bertelmann-Studie „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2023“ gehört. Das dürfte ihre Laune kaum verbessert und ihren Stresspegel wahrlich nicht gesenkt haben.
Denn was nützt es, dass dort nochmals betont wird, dass seit 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem zweiten Lebensjahr besteht? Die Realität: Ungeplante Ausfälle am laufenden Band, selbst wenn man einen KiTa-Platz ergattern hat. Wann werden endlich multiprofessionelle Teams in den Kitas dafür sorgen, dass Bildung in einem breit verstandenen Sinne Realität wird und dass Verwaltungsaufgaben und hauswirtschaftliche Tätigkeiten nicht auch noch on top von den Erzieher:innen übernommen werden müssen? Besonders ärgerlich und kontraproduktiv ist, dass die Verfasserinnen der Bertelsmann-Studie u.a. in verkürzten Öffnungszeiten bis 2025 eine »kurzfristige Abhilfe« sehen und das Ganze auch noch als »neuen« Lösungsweg vorschlagen. Wie bitte?
Stattdessen ist es überfällig, endlich das Schulgeld für die Ausbildung in diesem Beruf abzuschaffen und stattdessen eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, wie das inzwischen immerhin selbst in der Pflege der Fall ist. Denn wen wundert es eigentlich noch, dass junge Männer, die gern Erzieher geworden wären, den Rückzieher machen, sobald sie erfahren, dass sie keine Ausbildungsvergütung erhalten, sondern monatlich sogar noch 300 Euro Schulgeld abdrücken müssen? Zum Vergleich: Tesla in Grünheide zahlt seinen Azubis schon im ersten Ausbildungsjahr 980 Euro plus 1000 Euro Inflationsausgleich für das vergangene Jahr. Geschlechtsspezifisches Berufswahlverhalten wird so eben nicht aufgebrochen, sondern mit Sicherheit reproduziert.
Und wo, so frage ich mich, bleibt eigentlich der politische Nachdruck von Seiten der mächtigen Stiftung selbst, die bereits seit Jahren in Sachen frühkindliche Bildung unterwegs ist oder auch die Lebenslagen von Alleinerziehenden gründlich erforscht und darüber Studien in Serie erstellt hat? Stiftungen sollten doch wirklich mehr sein als ein Steuersparmodell für Unternehmen. Wieso wird eine derart bizarre Lösung wie die Kürzung von KiTa-Öffnungszeiten bei akutem Fachkräftemangel überhaupt vorgeschlagen? In Deutschland ist der Anteil von Frauen, die weniger als 30 Wochenstunden erwerbstätig sind, dreimal höher, als im europäischen Durchschnitt. Zu viele Frauen lassen sich auf einen Minijob ein und bleiben damit weit unter ihren beruflichen Möglichkeiten. Hinzu kommt: Fünf Millionen Frauen (!!!) im erwerbsfähigen Alter sind hierzulande überhaupt nicht berufstätig und auch nicht auf Jobsuche. Statt die vorhandenen weiblichen Qualifikations- und Beschäftigtenpotenziale endlich zu heben, wird politisch weiter an Ehegattensplitting, Mitversicherung in der Krankenkasse des Partners und eben am Minijob festgehalten. Armes Deutschland!
Die Frage ist, wem nützt das? Der Entertainer und Satiriker Jan Böhmermann ist sich sicher: davon profitieren in erster Linie weiße, gut und sehr gut verdienende Cis-Männer.
Ohne intakte soziale Unterstützungssysteme geht es nicht: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf
Heute leben Menschen in (post-)industrialisierten Gesellschaften meist in nuklearen Kernfamilien. Väter fokussieren sich in der Hauptsache auf das Beschaffen von Geld für ihre Kleinstgruppe durch Erwerbsarbeit, Mütter versuchen, die Sorgeverantwortung für ihre Familie selbst zu schultern. Die »erschöpften Einzelkämpferinnen« mit Care-Aufgaben ohne Ende sind im Alltag weitestgehend auf sich allein gestellt. Das erhöht das Risiko für alle möglichen psychischen Probleme, postnatale Depressionen zum Beispiel. Und so lässt sich vor allem im Dach-Raum (Deutschland, Österreich und der Schweiz) eine zunehmende Ausbeutung der emotionalen, körperlichen und zeitlichen Ressourcen von Frauen beobachten (Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. 2021) Am Ende landen viele von ihnen in Altersarmut, nicht nur nach Trennung und Scheidung.
Historisch betrachtet, sind solche patriarchalen Unterdrückungs- und Dominanzstrukturen jedoch erst in den letzten 5.000 Jahren gang und gäbe. In einer erweiterten evolutionsgeschichtlichen Perspektive über 300.000 Jahre hat unsere menschliche Spezies die meiste Zeit ganz anders gelebt und sich evolutionär weiterentwickelt, was in unsere Psyche und in unsere Körper eingeschrieben ist. Evolutionsbiolog*innen und Anthropolog*innen sind davon überzeugt, dass eine faire Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und eine gemeinsame, von vielen Personen getragene Kinderbetreuung (also nicht nur die unmittelbare enge Blutsverwandtschaft), wie sie in Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften üblich waren, die alles entscheidenden Erfolgsrezepte des Homo Sapiens waren (Carel van Schaik/Kai Michel. Mensch Sein. Von der Evolution für die Zukunft lernen, 2023).
Es braucht heute folglich familienergänzende öffentliche Infrastrukturen mit guten Kitas, Schulen und Mehrgenerationenhäusern, die medienwirksam öfter gern als »Dorfbrunnen der Moderne« bezeichnet werden, aber bislang meist unfassbar unterfinanziert bleiben. Auch einladend gestaltete Eltern- und Senior:innen-Cafés, quirlige Familien-, Nachbarschafts- und Gesundheitszentren, aber auch andere sozialräumliche Gelegenheitsstrukturen in Wohnquartieren und Stadtteilen, die soziale Begegnungen zwischen Generationen, Geschlechtern, aber auch zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen Milieus ermöglichen, könnten die skizzierten Erfahrungen unserer Vorfahren aufnehmen und in einem guten Sinne des Wortes modernisieren. Das würde den sozialen Zusammenhalt fördern und demokratische Teilhabe unterstützen. Es braucht eine Art »öffentlichen Luxus« (gleichnamiges Buch der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2023) für ein gutes Leben für alle. Dazu müsste das derzeitige kapitalistische Wirtschaftssystem allerdings grundsätzlich revolutioniert werden und die Befriedigung von menschlichen Care-Bedürfnissen in die Mitte rücken, d.h. an die Stelle der Gewinnmaximierung um jeden Preis treten. Oder, wie es die gerade mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnete Harvard-Ökonomin Claudia Goldin formuliert hat: das heutige Wirtschaftssystem ist so zu verändern, dass es »weniger gierig« und deutlich empathischer wird, um Frauen gerecht zu werden, statt ihnen weiter eine Mutterschaftsstrafe (»Motherhood penalty«) aufzuerlegen.
Nur so ließe sich am Ende auch der enorme Druck von den Müttern nehmen, für sämtliche Facetten von Sorgearbeit allein verantwortlich zu sein. Zu Weihnachten und im Rest des Jahres.
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