Ohne Konflikt wird es nicht gehen
Auch wenn Beschäftigungssicherung jetzt in den Mittelpunkt rückt, muss die Klimafrage immer mitgedacht werden. Für eine faire Transformation der Autoindustrie – demokratisch gesteuert und gegen den Rendite-Irrsinn. Ein Text aus der geduckten März-Ausgabe von OXI.
Mehrere hunderttausend Beschäftigte allein sind für sich genommen noch kein gesellschaftlich ausreichendes Argument für den Erhalt einer Branche. Zumindest dann nicht, wenn angesichts des drohenden Klimawandels die Lebensgrundlagen für heutige und künftige Generationen auf dem Planeten untergraben werden.
Tatsächlich ist der Verkehrssektor für einen hohen Anteil der Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Anders als andere Sektoren verharrt in Deutschland der Verkehr mit seinem CO2-Abdruck auf einem ähnlichen Emissionsniveau wie vor 30 Jahren, weil der technische Fortschritt in der Motorentechnik durch eine erhöhte Motorisierung und mehr gefahrene Kilometer aufgefressen wurde. Alltägliche Staus in vielen Städten zeigen zudem, dass das Auto vielerorts sein Versprechen auf verlässliche Fortbewegung eingebüßt hat. Kurzum: Die Liste von Problemen rund ums Auto ist lang.
Aus gewerkschaftlicher Perspektive kann es nicht um eine Abwicklung der Autoindustrie gehen. Vielmehr geht es angesichts des bevorstehenden technologischen Wandels (Elektromobilität, Autonomes Fahren, Shared Mobility und andere) um eine doppelte Zielstellung. Erstens: Um die Überlebensfähigkeit der Menschheit zu sichern, geht es um eine grundlegende Mobilitäts- und Energiewende, die sich in Richtung vollständiger Dekarbonisierung entwickeln muss. Zweitens: Gleichzeitig muss die industrielle Basis an den bestehenden Standorten der Automobilwirtschaft so erneuert werden, dass Beschäftigung langfristig sicher ist und nicht eine schleichende De-Industrialisierung, Verlagerung und Tarifflucht die Kennzeichen des Technikwandels werden.
Der Weltklimarat hat in einem Sonderbericht zu einer Erderwärmung von (nur) 1,5 Grad herausgearbeitet, dass die Risiken des Klimawandels für Mensch und Natur größer sind als bisher angenommen. Extremereignisse wie Hitzewellen, Starkregen und Dürren würden in einigen Regionen deutlich zunehmen und Kipppunkte im Erd-Klimasystem würden zu irreversiblen Veränderungen führen. Die Menschheit verliert allmählich die Kontrolle über den Zustand der Erde.
Umbau der Industrie
Angesichts des Klimawandels müssen Gewerkschaften ihr grundsätzlich positives Verhältnis zu Wirtschaftswachstum präzisieren und in Einklang mit den planetaren Grenzen bringen. Keine Lösung versprechen Verzichts- und Verhaltensappelle, die zwar das eigene Gewissen beruhigen mögen, die aber am Ende nicht ausreichen, um ein klimaverträgliches Wirtschaften im globalen Maßstab zu erreichen.
Die Lösung liegt im Umbau der Industrie in Richtung emissionsfreie Produktion und Mobilität. Das ist ausdrücklich etwas anderes als der augenblickliche Status quo. Anzuknüpfen ist einzelbetrieblich an Konzepte der CO2-neutralen Produktion und an Ultraeffizienzfabriken. Einzelwirtschaftlich wird die Transformation der Autoindustrie jedoch nicht zu erreichen sein, viel eher kommt es auf eine politisch gesteuerte Industriestrategie an. Es geht um Technologiepolitik, den Umstieg auf das Zeitalter der Batterieelektrik und um den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, die von der Stahlproduktion bis hin zum Mobilitätssektor reicht. Nur klimagerechte Arbeitsplätze werden langfristig sichere Arbeitsplätze sein, dieser Gedanke muss vergegenwärtigt werden.
Baden-Württemberg ist mit Sitz von weltweit bekannten Automobilherstellern und rund 1.000 Zulieferern eines der weltweit größten und vollständigsten Automobilcluster, in dem rund 470.000 Beschäftigte tätig sind. Wird das 2030 auch noch so ein? Ungewiss! Zu unterscheiden ist zwischen Technikwandel und den von der Gunst der Stunde beeinflussten Unternehmensstrategien. Die Nationale Plattform »Zukunft der Mobilität« sieht bundesweit 410.000 Arbeitsplätze durch den Technikwandel als gefährdet an. Das ist Technik, schwerer wiegen falsche Unternehmensstrategien.
Nach Jahren der Erfolgsmeldungen bei Produktion und Gewinn verkünden die Unternehmen jetzt schwere Zeiten; Unternehmen überbieten sich mit Sparprogrammen und Stellenstreichungen. Auf den ersten Blick mag das logisch klingen. Die jetzt verkündeten Zumutungen für die Beschäftigten haben jedoch nichts damit zu tun, dass für Elektroautos im Vergleich mit dem Verbrenner weniger Teile produziert und montiert werden müssen. Schließlich bewegen sich die Produktionszahlen für Elektromobilität noch auf niedrigem Niveau. Viel eher versucht das Management bei Automobilherstellern und Zulieferern die unter Druck geratenen Renditen zu sichern. Der Technikwandel wird derzeit dafür missbraucht, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und um Verlagerungen in sogenannte »Best-Cost-Countries« in Osteuropa vorzubereiten.
Auftretende Problemlagen
Diese Managementstrategien verstellen den Blick auf tatsächlich auftretende Problemlagen, die in den nächsten zehn Jahren die Branche durcheinanderrütteln werden. Einige Beispiele:
Wenn Automobilzulieferer heute stark auf Komponenten für den Verbrennungsmotor ausgerichtet sind, wird der erwartete Stückzahlrückgang bald betriebswirtschaftliche Grenzen aufzeigen. Eine Auslastung von 90 Prozent wird funktionieren, aber geht es deutlich runter, werden einzelne Standorte betriebswirtschaftlich nicht zu halten sein. Was kommt dann? Manchmal werden Autohersteller ihren Zulieferern zur Seite springen, damit die Lieferkette nicht auseinanderreißt. Manchmal werden windige Investoren versuchen, Finanzmittel aus den Standorten herauszuziehen und Erpressungssituationen aufzubauen. Kurzum: Soll ein chaotisches Durcheinander verhindert werden, braucht es eine Branchenlösung für die Zeit zurückgehender Stückzahlen. Dies sprengt die Logik der Einzelwirtschaft, im Sinne eines geordneten Strukturwandels sind kollektive Auffanglösungen nötig.
Konflikte ergeben sich beim Aufbau des Neuen. Der Wandel der Autoindustrie verlangt gewaltige Neuinvestitionen und die IG Metall drängt darauf, diese an den bestehenden Standorten zu vollziehen. Können diese innerhalb der Unternehmen durchgesetzt werden, sehen die kreditgebenden Banken vor allem ein Klumpenrisiko. Auch die Sparkasse im Schwarzwald sagt dann »Nein« zum Kredit für die Neuinvestition, weil Auto mit erhöhtem Risiko in Verbindung gebracht wird. Ähnlich wie beim Runterfahren des Alten braucht es Fondslösungen zum Aufbau des Neuen.
Autos werden zunehmend zu fahrenden Rechenzentren und Software gewinnt an Bedeutung gegenüber Blech und Motor. Nun steht Kooperation in der Automobilbranche öffentlich immer im Verdacht, zum Nachteil der Verbraucher zu sein, aber bei datengetriebenen Geschäftsmodellen werden die Automobilhersteller für sich alleine immer zu klein sein. Wenn aber aus Automobilherstellern Mobilitätsanbieter werden sollen, dann ist auch aus progressiver Perspektive ein neues Verständnis von Kooperation nötig. Das Kartellrecht muss die internationale Dimension der Plattformökonomie berücksichtigen.
Lange Zeit sind die hiesigen Hersteller arrogant gegenüber der Elektromobilität gewesen. Der Aufstieg Teslas mit einem gewaltigen Börsenwert sowie chinesischer Hersteller deuten eine Zeitenwende an, bei der sich die Überheblichkeit der hiesigen Branche rächen könnte. In den nächsten Jahren muss eine gewaltige Aufholjagd gelingen. Dazu muss eine Fehleinschätzung rund um Batteriezellen überwunden werden. Lange Zeit gingen hiesige Manager davon aus, dass Zellen reine Zukaufteile wären und mit Kernkompetenz so viel zu tun hätten wie Hutablagen.
Tatsächlich nimmt beim Elektroauto das Batteriesystem sehr hohe Wertschöpfungsanteile ein. Die Zelltechnologie und die Kompetenz zur Weiterentwicklung werden vor allem ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im künftigen Wettbewerb sein. Entsprechend setzt sich die IG Metall für eine Batteriezellfertigung ein, um selbst über geschlossene Wertschöpfungsketten zu verfügen und um nicht von asiatischen Zelllieferanten abhängig zu werden. Die Politik erkennt dies zunehmend und Industriepolitik gilt nicht mehr als Schimpfwort. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundeswirtschaftsministerium forcieren eine Zellproduktion.
Sichere Arbeit
Dennoch bleibt die Sorge: Zögerliche Unternehmen hängen zu sehr an einem unter Druck geratenen Geschäftsmodell und gefährden mit Zaudern und Zurückhaltung bei neuen Technologien die Fundamente einer zukünftigen Industrieproduktion in Deutschland. Unternehmen müssen jetzt zu Investitionen gebracht werden, Ausschüttungen an die Shareholder sind nicht das Gebot der Stunde.
Alle Beschäftigten müssen am Ende der Transformation eine sichere Arbeit haben. Diese gewerkschaftliche Forderung muss zum gesellschaftlichen Leitbild des Wandels werden. Neben den Anstrengungen im Betrieb zur Umqualifizierung von Belegschaften ist ein Kurswechsel in Richtung aktiver Arbeitsmarktpolitik erforderlich, damit aus der Transformation kein Strukturbruch wird. Die Idee wäre, nicht erst so lange zu warten, bis Beschäftigte entlassen werden, sondern präventiv breit auf Umschulung und Qualifizierung zu setzen. Die IG Metall hat hierzu das arbeitsmarktpolitische Instrument eines Transformations-Kurzarbeitsgelds entwickelt, das Qualifizierung mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes verbindet. Dabei werden größere Teile der von Transformation betroffenen Beschäftigten im Rahmen eines von beiden Betriebsparteien entwickelten Qualifizierungsplans weitergebildet und das Einkommen wird unter Beteiligung der Arbeitsagentur gesichert.
Zugegeben, der Umstieg auf die Elektromobilität ist für sich genommen noch keine umfassende Mobilitätswende. Um aber substanzielle Beiträge zur Dekarbonisierung zu erreichen, sind Elektroautos der erfolgversprechendste Weg. Entsprechend geht es darum, Elektroautos in den bestehenden Standorten zu produzieren.
Für manche Ohren mag sich die gewerkschaftliche Forderung nach Erneuerung der industriellen Basis nach einem Rettungsprogramm für die Industrie anhören. Schließlich argumentieren Industrielobbyisten immer gerne mit dem Argument Arbeitsplätze, wenn eigentliche die Rendite das zu sichernde Ziel ist. Deshalb muss ein Konfliktfeld stärker in die öffentliche Diskussion gebracht werden. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus steht im Widerspruch zu Ökologie und sicherer Arbeit. Die Finanzmärkte halten zehn Prozent Rendite für angemessen! Das sind sie nicht! Wir brauche eine gesellschaftliche Debatte über akzeptable und unverschämte Renditevorstellungen.
Dieser Konflikt scheint unausweichlich, weil der IG Metall die Aufgabe zufällt, im anstehenden Strukturwandel die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Auch wenn Beschäftigungssicherung jetzt in den Mittelpunkt rückt, muss die Klimafrage immer mitgedacht werden. Dies wird schon deshalb nötig sein, weil Rechtspopulisten in der Klimapolitik zunehmend ein neues Profilierungsfeld entdecken. Insofern ist der gewerkschaftliche Kampf für die faire Transformation auch ein Kampf gegen den Rechtspopulismus in Betrieb und Gesellschaft!
Kai Burmeister ist Gewerkschaftssekretär der IG Metall Baden-Württemberg und arbeitet rund um die Transformation der Automobilindustrie.
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