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Fehlender Rückenwind und Grundewerte-Fragen: Die Linkspartei und die Bayern-Wahl. Ein OXI-Überblick

15.10.2018
Foto: Punktional, gemeinfreiDie Bundestagswahlen stehen kurz bevor.

Die Linkspartei hat am Sonntag »das bayerische Wunder« verpasst – so hatte das Motto der Berliner Wahlparty gelautet. Gab es dennoch etwas zu feiern? Ein erster Überblick am Morgen danach. 

Die Zahlen

Laut dem vorläufigen amtlichen Ergebnis scheiterte die Linkspartei mit 3,2 Prozent klar an der Sperrklausel. Mit 435.949 Stimmen holte man zwar deutlich mehr als 2013 (251.086) – allerdings auch weniger als 2008 (461.755). Überdurchschnittlich schneidet die Linkspartei in Mittelfranken ab (4,7 Prozent). Höhere Ergebnisse gibt es laut Infratest auch unter Erstwählern sowie denen bis 34 Jahre (5 bis 6 Prozent) und in Großstädten (6 Prozent). Bei der Forschungsgruppe Wahlen sind die diesbezüglichen Zahlen etwas weniger deutlich. Und man wird auch bayerische Besonderheiten wie die schwache Verankerung der Linkspartei auf dem Land einbeziehen müssen.

Dennoch kann man sagen, es setzt sich ein Trend früherer Wahlen fort: Die Linkspartei wird überdurchschnittlich von Jüngeren in Städten angekreuzt. Im »nd« heißt es dazu, »schon 2017 traten fast tausend Menschen der Partei bei, im Januar 2017 hatte die Partei nur 2.500 Mitglieder im Freistaat, nun sind es fast doppelt so viele. Die Neumitglieder sind jung: Zwei Drittel von ihnen sind 16 bis 35 Jahre alt. Damit ist der bayerische Landesverband laut Recherchen von ze.tt der jüngste bundesweit«.

Die Reaktionen

Linkspartei-Chef Bernd Riexinger sagte am Abend im Fernsehen, »die Linke muss nicht in Sack und Asche gehen, sie hat ein Plus von 1,4 Prozent«. »Ihr habt super gekämpft«, hieß es zudem von der Bundespartei nach Bekanntgabe der Ergebnisse, die sogleich die außerparlamentarische Seite betonte: »Klar, alle hätten sich mehr gewünscht – aber ihr habt das Ergebnis deutlich verbessert. Ihr seid ein starker Akteur außerhalb des Parlaments. Ohne euch wäre das Pflegevolksbegehren nicht so erfolgreich gewesen.« Ähnlich äußerte sich die Thüringer Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, die betonte, »dass wir gewachsen sind, dass wir ein starker Akteur außerhalb des Parlaments sind«. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch twitterte »Kopf hoch« und feuerte den Landesverband an: »Stimmenplus heute bei Kommunalwahl wiederholen & ausbauen! Das Haus wird vom Fundament gebaut.« Der sachsen-anhaltische Jugendkoordinator Robert Fietzke nannte die Entwicklung des bayerischen Landesverbandes »absolut positiv. Das macht Hoffnung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte«.

Die Analysen

Schon am Abend spielte eine Frage eine Rolle: Warum gewinnt die Linkspartei nicht hinzu, wenn die SPD um die Hälfte einbricht? Die frühere Landessprecherin der NRW-Linken, Özlem Alev Demirel, verwies auf die 5-Prozent-Hürde, diese habe »eine wichtige Rolle« gespielt, da sie »viele Menschen zum taktischen Wählen« verleite. »Statt die eigene Stimme zu ›verschenken‹, wird lieber eine andere Partei oder gar das ›kleinere Übel‹ gewählt.« Umfragewerte knapp unter 5 Prozent für die Linkspartei hätten dieses Momentum verstärkt – wohl zu Gunsten der Grünen. Die »Frankfurter Allgemeine« schreibt: »Manch taktisch abstimmende Wähler in Bayern, so vermuten einige Genossen auf der Wahlparty, hätten ihre Stimme lieber den Grünen gegeben, weil sie von denen eine reale Korrektur der CSU-Politik erwarteten.«

Das Blatt erinnert auch daran, dass die Linkspartei bei der Bundestagswahl 2017 in Bayern noch 6,1 Prozent geholt habe. Warum konnte dies nicht wiederholt werden? Die FAZ meint: »Doch im Bund hatte die Linke zuletzt nur durch den Streit zwischen der Parteispitze und Sahra Wagenknecht von sich reden gemacht. Es ging um die Flüchtlingspolitik, bei der Wagenknecht sich gegen ihre Partei positioniert, und um die linke Sammlungsbewegung ›Aufstehen‹, in der viele Linken-Mitglieder eine Konkurrenz Wagenknechts zur eigenen Partei sehen.« Zitiert wird Fraktionschef Bartsch mit den Worten, »leider hat die bayerische Linke von der Bundesebene keinen Rückenwind gehabt«. Auch sei die Linkspartei »bundespolitisch mit inhaltlichen Fragen in den letzten Wochen ›nicht vorgekommen‹. Die Grünen hätten es hingegen geschafft, ein einheitliches Bild abzugeben – so etwas sei erfolgreich«.

Auch das lässt sich als Hinweis auf das Bild verstehen, dass die Linkspartei aufgrund der Debatte um »Aufstehen« abgibt, was noch kurz vor der Landtagswahl in Bayern durch Schlagzeilen verstärkt wurde, die von Wagenknechts distanzierenden Worten zum großen »Unteilbar«-Demonstration handelten. Auch der Berliner Arbeitsstaatssekretär Alexander Fischer wies in diese Richtung: Die Linkspartei »erleidet zudem deutliche Mobilisierungsverluste, weil sie sich an der durch die Migrationsfrage kodierten zentralen kulturellen und politischen Auseinandersetzung und Polarisierungslinie dieser Tage, die auch die klassische Links-Rechts-Aufteilung wenigstens temporär ordnet, unscharf aufstellt und widersprüchliche Signale nach außen sendet«. Fischer nannte es in seinem privaten Blog eine »unfassbare politische und strategische Dummheit, sich in einen öffentlichen Widerspruch zu den ›Unteilbar‹-Demonstrationen zu setzen«. Dies habe »nicht nur das praktische Urteil über ›Aufstehen‹ gefällt«, es zeige auch, dass die Linkspartei »in dieser zentralen Auseinandersetzung mit zwei unterschiedlichen Stimmen spricht und damit ihre Mobilisierungsfähigkeit entscheidend mindert. Sie blieb in Bayern und bleibt im Bund, in einem Satz, unter ihren Möglichkeiten, weil sie sich nicht entscheidet.«

Der Parteienexperte Horst Kahrs, der in der Nacht zum Montag eine erste ausführliche Wahlanalyse vorlegte, stellte die These auf, »dass es für erfolgreiche Wahlkämpfe nicht mehr ausreicht, über gute Konzepte und bekannte Köpfe zu verfügen, wenn nicht zugleich über ein gesellschaftspolitisches Ordnungsmodell und die normativen Grundlagen dieser Konzepte gesprochen werden kann – Zeit für linke Grundwerte?« Zudem warf er die Frage auf, »ob die Linkspartei nicht bei aller Abgrenzungsrhetorik eher das Schicksal der Parteien in der sozialdemokratischen Matrix teilt, denen es kaum gelingt, in Zeiten wachsender Unsicherheit über das, was auf die Menschen zukommt, alltagssprachlich darüber zu reden, wohin die Reise mit ihnen an der Macht gehen, was besser werden würde.«

In gewisser Hinsicht habe die Linkspartei »das sozialdemokratische Dilemma« geteilt, so Kahrs: »In den Themenfeldern Soziale Gerechtigkeit (8 Prozent) sowie Bezahlbarem Wohnraum (7 Prozent) und in der Familienpolitik (5 Prozent) werden ihr von allen Befragten Kompetenzen zugebilligt, die aber nicht ausreichen, um die Sperrklausel zu überwinden. Sie bildeten angesichts der Themen, die im bayerischen Wahlkampf verhandelt wurden, eher ein Nischendasein bzw. wurden der Partei in den Wähler mobilisierenden Fragen keine entscheidenden, die Polarisierung aufgreifenden Kompetenzen zugemessen.«

Die Zusammenfassung

Der Vizechef der Berliner Linkspartei Tobias Schulze brachte eine recht verbreitete linke Sicht auf das Bayernergebnis auf den Punkt: »Ehemalige Volksparteien geben mehr als 20 Punkte ab. Die Hälfte nach rechts, die Hälfte zu den Grünen. Die Linke ist nicht attraktiv genug. Das müssen wir ändern.« 

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