Wirtschaft
anders denken.

»Die Grenzen zwischen Staat und Markt sind einfach schwammiger.«

In Ostasien hat sich eine neue Spielart der Makrofinanzen entwickelt, die mit den neoliberalen Prinzipien des Westens bricht.

04.09.2023
Fabian Pape ist Fellow am Department of International Relations der London School of Economics and Political Science (LSE). Er hat an der University of Warwick zur Rolle von Zentralbanker:innen auf Finanzmärkten promoviert. Aus einer Perspektive der kritischen Makrofinanzen beschäftigt er sich mit dem globalen Finanzsystem und der grünen Transformation. Über sein aktuelles Paper sprach mit ihm Philip Blees.

Herr Pape, Sie haben ein Paper mit Ihrem Kollegen Johannes Petry geschrieben, in dem Sie untersuchen, wie das ostasiatische Finanzsystem den neoliberalen Charakter der westlichen Finanzen herausfordert. 

Asien wird insgesamt zunehmend prominent diskutiert. Es geht dann aber eher um Handel, Industrie oder Rohstoffe. Wir stellen uns dagegen die Frage, was es bedeutet, dass Asien im Finanzsystem wichtiger wird. In dieser Debatte geht es häufig nur um die Verflechtungen von staatlichen Akteuren. Die US-Staatschulden, die von China gehalten werden, waren beispielsweise eine der großen Sorgen von amerikanischen Ökonomen vor der Finanzkrise 2008. In den letzten zehn Jahren hat sich die Diskussion etwas Richtung der Relevanz von Privatakteur:innen verschoben: Wall Street klopft an jede Tür in Ostasien und drängt in den Markt, aber auch die Investor:innen aus Asien selbst werden wichtiger im globalen System.

 

Was unterscheidet den ostasiatischen Ansatz vom westlichen Modell?

Die Staaten behalten viel mehr Kontrolle über Kapitalströme als es im Westen üblich ist. Die elektronische Registrierung von ausländischen Investitionen beispielsweise erlaubt eine wesentlich besser Nachverfolgung von Transaktionen. Dadurch kann man auch Kapitalflüsse besser drosseln, wenn man denn möchte. Das passiert nicht nur in China, sondern auch in Korea oder Taiwan. Überall in Ostasien wird die Wirtschaft über das Finanzsystem wesentlich mehr gelenkt. Während im Westen das Ziel ist, private Profite zu ermöglichen, werden in Ostasien Entwicklungsziele angestrebt – durch das Beeinflussen von Kapitalflüssen, durch das Unterdrücken von Volatilität im Finanzsystem. Das geht allerdings auch über das Finanzsystem hinaus in andere wirtschaftspolitische Bereiche.

 

Man könnte sagen die Wirtschafts- und Finanzpolitik hat einen Entwicklungscharakter. Im Englischen sagt man »developmental state«. Können Sie das etwas beschreiben?

Nationale wirtschaftliche Ziele werden über die Interessen von privaten Akteur:innen gestellt. Natürlich werden Private nicht komplett ignoriert. In Ostasien hat sich der Staat seine eigenen industriellen Champions herausgesucht und unterstützt. Konkret: Kredite gezielt und billig an diese Firmen vergeben und international protektionistisch auftreten, um sie vor internationaler Konkurrenz zu schützen, zum Beispiel durch Währungskontrollen.

 

Das klingt nach einer durchweg positiven Alternative zum Marktliberalismus. Gibt es auch Nachteile?

Diese Politik beruht häufig auf Lohnunterdrückung, um Exporte billig zu machen. Es hat sich in diesen Ländern kein wirklicher Sozialstaat entwickelt. Das sieht man beispielsweise momentan in Korea, wo die Altersarmut rasant ansteigt. Lohnunterdrückung, Exportorientierung und aktive Industriepolitik haben Vorteile im rasanten Aufholprozess, aber können langfristig zu Problemen führen, wie zum Beispiel eine abnehmende Rate an produktiven Investitionen.

 

Welche Ebenen sind wichtig, wenn man die Finanzsysteme Ostasiens analysiert?

Wir untersuchen Kapitalflüsse. Dort sind die schon erwähnten Kapitalkontrollen wichtig. Ostasiatische Länder haben einfach einen besseren Überblick, welche Investor:innen wie im Land agieren. Damit lassen sich bestimmte Maßnahmen viel besser durchsetzen. Dafür bedarf es selbstverständlich einer gewissen Stärke. Nicht jedes Land ist in der Lage, drastische Maßnahmen gegenüber internationalen Investor:innen zu ergreifen. Aber vor allem in China, dort wo viele Profite zu machen sind, stehen immer die nächsten Investor:innen vor der Tür. Und die akzeptieren auch, dass es gewisse Einschränkungen gibt.

Die andere Ebene ist die Expansion der ostasiatischen Akteure ins globale System. Seit der Asienkrise 1997 sammeln die ostasiatischen Länder wesentlich mehr internationale Reserven an. Das sind nicht nur Zentralbank oder Sovereign Wealth Fund, die risikobasiert investieren und dadurch Profite machen, sondern zunehmend Privatinvestor:innen, die internationalen expandieren. Das sind Nicht-Banken – also Lebensversicherungen, Pensionsfonds und so weiter –, die gerade aufgrund der Schwäche des Sozialstaats, mangelnder produktiver Investitionsmöglichkeiten und der niedrigen Zinsen seit der Finanzkrise ins globale System investiert haben. Die Hoffnung dieser Akteur:innen war, dass sie dort bessere Rendite machen können als zu Hause. Doch dabei entstehen andere Risiken. Der Staat ist dann nicht unbedingt in der Lage in der gleichen Art und Weise zu helfen wie zuvor. Trotzdem hat er häufig versucht in ihrem Sinne Währungsschwankungen zu minimieren und den Investor:innen einen sicheren Zugriff auf den Dollar zu garantieren.

 

In Ihrem Paper schreiben Sie, dass internationale Akteure mit ihren Investitionen in Ostasien eine Alternative zum Neoliberalismus legitimieren. 

Im neoliberalen Modell geht es darum, privaten Profit zu ermöglichen. Der Staat setzt zwar Leitlinien, greift aber relativ wenig in die Wirtschaft ein. Dass diese Werte eindeutig verletzt werden, aber Investor:innen trotzdem die Bedingungen akzeptieren hat eine legitimierende Funktion. Kleinere Entwicklungsländer können sich das nicht leisten, ostasiatische Länder schon. Das sagt etwas über ihre Stärke aus.

 

Warum wird das in diesen Ländern akzeptiert?

Sie haben clever agiert, zum Beispiel wie sie Kapitalkontrollen eingeführt haben. Südkorea hat sie nach der Finanzkrise neu eingeführt und mit einem klaren Stabilitätsmotiv begründet. Es gab generell einen Wechsel zur makroprudenziellen Regulierung, in dem versucht wurde, systemische Risiken aus der Finanzwelt zu entfernen. Korea hat dies ausgenutzt, um Kapitalkontrollen als Mittel gegen volatile Finanzströme zu legitimieren.

 

Im Ausland agieren ostasiatische Investoren auch mit politischem Hintergedanken. Ist das Teil des Entwicklungscharakters?

Gewisse ausländische Investitionen haben durchaus Entwicklungscharakter. Das ist in dem Kontext aber ein schwieriges Wort. Ich würde es eher geostrategisches Motiv nennen. Japan und Korea zum Beispiel haben ihre heimischen Börsen angewiesen, Marktplätze in Südostasien zu erwerben, obwohl diese Investitionen nicht profitabel waren. Das ist eindeutig geostrategischer Natur und geht um Kontrolle. Es werden aber nicht alle ausländischen Investitionen staatlich gelenkt.

 

Auslandsinvestitionen bringen auch Probleme im Land selbst mit sich.

Vor allem in Korea und Japan! Dort haben Lebensversicherung stark in den USA oder Europa investiert. Wenn dann, wie in den letzten Jahren, der Dollarkurs steigt und sich das internationale Investitionsklima wandelt, bleibt die große Frage, inwiefern diese Akteur:innen ihre Positionen liquidieren werden, da sie nicht mehr profitabel sind. Das ist dann ein Problem für die Weltwirtschaft und ihrer Finanzstabilität. Vor allem ist das aber für das Land selbst nicht gut, wenn Teile des Sozialmodells international so abhängig sind.

 

Welche staatlichen Institutionen sind wichtig für den Entwicklungscharakter im Finanzsystem?

Finanzministerien, Zentralbanken und am wichtigsten das Zusammenspiel der beiden. Diese Institutionen sehen aber anders aus als hier. Die meisten Zentralbanken in Ostasien sind zwar formell unabhängig, es gibt dort aber etablierte Formen der Koordination mit der Fiskalpolitik. Zum Beispiel, wenn es um Währungsschwankungen geht. Gleichzeitig sind Sovereign Wealth Funds, Entwicklungsbanken und quasi-öffentliche Banken sehr stark. Darüber kann der Staat Kapitalflüsse lenken. Investitionen sind also nicht nur Produkt von expliziter Fiskalpolitik, sondern werden auch über diese Institutionen, die irgendwo zwischen privat und öffentlich angesiedelt sind, dirigiert. Die Grenzen zwischen Staat und Markt sind einfach schwammiger.

 

Warum ist die Finanzkrise in diesem Kontext wichtig?

Die Finanzkrise hat das Verständnis des globalen Finanzsystems verändert. Zuvor gab es die Sorge, ob Asien eine Krise auslöst, zum Beispiel durch die Liquidierung ihrer Reserven. Im Endeffekt waren amerikanische und europäische Schattenbanken zentral zur Krise. Das hat die Antwort auf die Krise mitbestimmt: Es ging darum systematisches Risiko zu minimieren. Das hat den Spielraum erweitert für staatliche Interventionen, auch wie in Ostasien üblich.

 

Und der direkte wirtschaftliche Effekt?

Nach der Finanzkrise gab es zehn Jahre lockere Geldpolitik. Das hat sehr stark die Kapitalflüsse beeinflusst und den Aufstieg von Ostasien im globalen Finanzsystem bedingt. Nach der Bankenkrise hat der Anleihenmarkt an Bedeutung gewonnen und Ostasien ist diesen Trend mitgegangen. Aber eben nicht wie in anderen Entwicklungsländern, wo der Staat ein institutionelles Framework bereitstellt, das in irgendeiner Weise Profite garantiert…

 

… sondern die ostasiatischen Länder haben im Gegensatz zu anderen Entwicklungsländern der Finanzialisierung getrotzt? 

Diese Länder haben 1997 in der Asienkrise wichtige Erfahrungen mit dem globalen Finanzsystem gemacht – zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt. Sie haben sich nicht so sehr dem Markt geöffnet haben, sondern den Entwicklungscharakter beibehalten.

 

Fabian Pape & Johannes Petry (2023): East Asia and the politics of global finance: a developmental challenge to the neoliberal consensus?, Review of International Political Economy, Link: 10.1080/09692290.2023.2170445

Das Interview führte:

Philip Blees

OXI-Redakteur

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