Wirtschaft
anders denken.

Oxi (Nein) zu privaten Hochschulen

18.02.2024
Universität AthenFoto: Bild von Leonhard Niederwimmer auf Pixabay

Besetzungswelle gegen die Neoliberalisierung der Bildung: In Griechenland kämpfen Studierende seit Wochen gegen ein neues Gesetz gegen das öffentliche und freie Hochschulwesen.

»Athen wird versinken« stand auf dem Transparent, das Studierende vor dem griechischen Parlament am Vorabend einer großen Mobilisierung ausbreiteten. Zehntausende Demonstrant:innen gingen am 8. Februar diesen Jahres in Athen und anderen Großstädten auf die Straße. Die Studierendenbewegung kämpft mit Fakultätsbesetzungen schon seit mehr als fünf Wochen gegen ein neues Multigesetz. Mit diesem Gesetz wird versucht, die Verfassung zu umgehen und das, was vom öffentlichen und freien Charakter des Hochschulwesens übrig geblieben ist, sowie die demokratischen Errungenschaften zu zerstören. Die rechte Regierung von Kyriakos Mitsotakis glaubte in den ersten Wochen nicht an die Dynamik, die sich entwickelt hatte, und schätzte die Protestierenden als »Minderheiten in ihren eigenen Hochschulen« ein.

Das Gesetz, das am 7. Februar in die öffentliche Anhörung des Parlaments ging, soll erstmals die Gründung von Privatuniversitäten in Griechenland möglich machen. Sie sollen strenge Zulassungskriterien haben, wobei die Studierenden die Mindestanforderungen für die Zulassung zu den nationalen Prüfungen erfüllen oder ein International Baccalaureate vorweisen müssen. Es enthält auch zahlreiche Bestimmungen für die öffentlichen Hochschulen, darunter eine Aufstockung der Mittel und die Förderung eines internationalen Profils. Kritiker sehen dies jedoch lediglich als Versuch an, vom wirklichen Kern des Gesetzes abzulenken.

Die Regierung schaffte defacto den Artikel 16 der griechischen Verfassung ab. Darunter fallen Artikel 16 § 5 Abs. 1 »Der Hochschulunterricht wird ausschließlich von Einrichtungen erteilt, die juristische Personen des öffentlichen Rechts mit voller Selbstverwaltung sind«, Artikel 16, § 6, Absatz 1 »Die Hochschullehrer sind öffentliche Bedienstete« und Artikel 16 Absatz 8 Unterabsatz 2 »Die Errichtung von Hochschuleinrichtungen durch Privatpersonen ist verboten«.

Ein Text von Akademiker:innen mit hunderten von Unterschriften kritisiert die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes und warnt Unternehmen, die unter Umgehung der verfassungsrechtlichen Vorschriften Universitätsgesellschaften oder Zweigstellen ausländischer Einrichtungen in Griechenland gründen wollen. Sie erklären, dass sie als öffentliche Funktionär:innen auf allen Ebenen und vor dem Staatsrat Einspruch erheben werden, wenn ein solches Gesetz verabschiedet wird. Der Text schließt mit den Worten: »Leider hat unser Land bereits eine internationale Verurteilung durch die EU wegen Verletzung grundlegender Verfassungsprinzipien erfahren. Die erste seit dem Ende der Militärdiktatur. Wir werden nicht zulassen, dass eine weitere hinzukommt«.

Griechenlands krisenhaftes Bildungssystem

Das griechische Bildungssystem ist ziemlich marode. Obwohl es grundsätzlich noch kostenlos ist, ist es auf allen Ebenen schon lange nicht mehr öffentlich (wenn das überhaupt jemals der Fall war). Von der Kindertagesstätte bis zur weiterführenden Schule schickt eine Familie, die es sich leisten kann, ihre Kinder in eine private Einrichtung. Aber auch diejenigen, die ihr Kind auf eine öffentliche Schule schicken, zahlen letztlich dafür. Zum Beispiel für außerschulische Kurse oder für selbstverständliche Fähigkeiten, wie Englisch lernen. Ab der Sekundarstufe müssen Eltern außerdem für Nachhilfe bzw. Privatunterricht bezahlen, damit sie den Unterricht an der öffentlichen Schule täglich auffrischen und Hilfsmittel zur Ergänzung ihrer Lehrbücher kaufen können. Nur so schafft es ihr Kind in die Universität. Zudem müssen sie für die Kosten aufkommen, die entstehen, wenn ihr Kind eine Fakultät in einer fremden Stadt besucht, da die gewünschten Plätze in der eigenen Stadt oft begrenzt sind. Und dann sind da noch die bezahlten Masterstudiengänge an der öffentlichen Universität.

Diese bittere Realität stellt die Grundlage der neoliberalen Propaganda für die Privatisierung der Bildung dar. Mit der bekannten Technik, die zum Beispiel auch im Gesundheitswesen angewendet wird: »Da etwas verrottet ist, lasst uns die Fäulnis legalisieren.« So werden Dystopien umgesetzt, die sie selbst geschaffen haben. Selbst laut den regierungsnahen Umfragen leisten 35-45 Prozent der Gesellschaft weiterhin Widerstand gegen private Hochschulen.

Vergangene Regierungen versuchten schon mehrmals den Artikel 16 anzutasten. So etwa in den Jahren 2006 und 2007, als es parallel in ganz Europa um die Privatisierung der Universitäten ging. Es waren Tage, an denen die griechische Studierendenbewegung Geschichte schrieb: Zu deren Höhepunkt gab es landesweit 430 Besetzungen in insgesamt 457 Fakultäten. Schätzungsweise 80-100.000 Studierende nahmen an den größten Vollversammlungen der Studierendenvereine teil.

Die meisten linken Kräfte waren gezwungen, zusammenzuarbeiten, um gegen die Studierendenorganisation der Nea Dimokratia eine Mehrheit in den Vollversammlungen zu erhalten. In den Fakultäten ohne linke Fraktionen bildeten sich unabhängige und progressive Gruppen von Studierenden, um die Koordinationsräte zu besetzen und Besetzungen durch Vollversammlungen zu sichern. Jede Woche warteten die Studierenden mit Spannung auf die Ergebnisse der Versammlungen in den benachbarten Fakultäten und im ganzen Land. Im Internet verfolgte die gesamte Bevölkerung den aktuellen Stand der Besetzungskarte.

In den meisten Fällen war die Beteiligung an diesen Besetzungen groß. In den besetzten Fakultäten fanden Diskussionen über Bildungsfragen statt, offene Vorlesungen mit der Anwesenheit von am Kampf beteiligten Professor:innen, kulturelle Veranstaltungen mit bekannten Musiker:innen: Ansätze dieser politischen Kultur sind bis heute erhalten und bei den aktuellen Protesten präsent.

Dieser Prozess spielte damals eine wichtige Rolle bei der Politisierung einer großen neuen Generation von Studierenden, die sich zum ersten Mal an einer Massenbewegung beteiligte. Er ermöglichte es auch dem aktivistischen und kämpferischsten Teil der Bewegung, die nötige Zeit zu haben, um Aktionen zu organisieren, die sich an die breitere Gesellschaft wenden, um deren Unterstützung zu gewinnen.

Diese Studierenden erlebten zudem den Aufstand im Dezember 2008, als der 15-jähriger Schüler Alexis Grigoropoulos in einem linksalternativen Stadtteil Athens von der Polizei erschossen wurde. Dies war der Anfang einer wochenlangen Revolte, die das ganze Land lahmlegte, und sorgte dafür, dass sich die Polizei tagelang in ihren Kasernen zurückziehen musste.  Die Studierenden von damals (und heute) sind Teil der sogenannten »700 Euro Generation«, die am härtesten von der Austerität im Rahmen der Staatsverschuldungskrise getroffen wurde. Bis heute suchen viele junge Leute aufgrund schlechter finanzieller Bedingungen ihr Lebensglück im Ausland.

Die jungen Menschen und die autoritäre Formierung

Mitsotakis und sein Kommunikationsteam sorgten diesmal dafür, dass der Gesetzentwurf kurz vor der Prüfungsphase vorgelegt wurde, so dass alle Mobilisierungen mit ihr zusammenfielen und eine Spaltung zwischen Studierenden und Gesellschaft erzeugt werden soll. Die Regierung Mitsotakis hatte sich schon in der letzten Legislaturperiode mit den Studierenden angelegt, indem sie eine spezielle Polizeieinheit schuf, die auf den Uni-Campus patrouillieren sollte. Davor hatte sie das Uni-Asyl abgeschafft, das seit dem Ende der Militärdiktatur galt und der Polizei verbot, den Campus zu betreten. Mittlerweile wurde diese Einheit, kurz nach ihrer Einführung, wieder aufgelöst. Diese Politik wird von vielen jungen Menschen als Teil einer breit angelegten, autoritären Entwicklung gesehen. Dazu gehören die Polizeirepression gegen Proteste auf der Straße, rechtspopulistische Rhetorik und ein schlechtes Management bei Katastrophen, wie bei den großen Waldbränden oder Überschwemmungen. In Griechenland wird weiterhin mehr Geld für Polizei und Militär als für die Feuerwehr ausgegeben.

Mittlerweile ist die Regierung, aufgrund der großen Mobilisierungen, eindeutig zurückgerudert, das hat ihren Zeitplan erheblich verzögert, denn nach den anfänglichen Erklärungen hätte das Multigesetz bereits in Kraft treten sollen. Gleichzeitig nimmt sie eine defensivere Haltung ein, indem sie das Gesetz als »Stärkung des öffentlichen Bildungswesens« darstellt und versucht, die Umgehung von Artikel 16 und die Einrichtung von Privatuniversitäten zu verschleiern. Auch wenn man im Moment von einem Sieg der Studierendenbewegung sprechen kann, darf man doch die Macht der Regierung, aufgrund ihrer absoluten Mehrheit im Parlament nicht außer Acht lassen.

Die öffentliche Konsultierung endet am 18. Februar, so dass das Gesetz anschließend dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt wird. Die Welt des Bildungswesens bleibt in Aufruhr, die Studierenden haben gezeigt, dass sie nicht zurückweichen. Im Gegenteil: Sie forcieren ihre Aktionen und beweisen, dass die Empörung und der Widerstand nicht enden. Zudem jährt sich am 28. Februar zum ersten Mal der Zugunfall von Tempi, der viele Studierende betroffen hat. Für diesen Tag wurde bereits ein Generalstreik im öffentlichen Dienst angekündigt, und es wird mit großen Demonstrationen gerechnet.

Geschrieben von:

John Malamatinas

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