Wirtschaft
anders denken.

Panama Papers – eine unsoziale Parallelgesellschaft

04.04.2016

Über einkommensstarke Integrationsverweigerer, das Ausbleiben schärferer Gesetze gegen Steuerkriminelle – und die Notwendigkeit einer Kulturrevolution.

Die »Panama Papers« belegen ein altes Problem: Eine Minderheit ohnehin schon einkommensstarker Integrationsverweigerer versucht zu Lasten des Gemeinwesens und auf Kosten anderer noch reicher zu werden. Nicht zum ersten Mal wird das nun mit zahllosen Dokumenten belegt – und wieder sind jetzt Forderungen aus der Politik zu hören, nun aber wirklich einmal ernsthaft gegen Abgabenbetrug, Geldwäsche, Steuerhinterziehung vorzugehen. Dass dies auch wirksam passiert, wird man nicht hoffen können. Denn hier ist auch in der Vergangenheit Fortschritt allenfalls in Tippelschritten auf dem politischen Millimeterpapier zu verzeichnen. Luxemburg-Leaks, Offshore-Leaks – was ist denn wirksam passiert?

Dabei wäre ein großer Sprung nach vorn so wichtig: Was hierzulande oft als Kavaliersdelikt verniedlicht wird und was Hunderttausende als privaten Bereicherungssport betreiben, unterminiert die Res publica – also: die öffentlichen Angelegenheiten. Einer Studie von Richard Murphy zufolge, und es gibt weitere, sehr viele Studien darüber, könnten in Deutschland mit den hinterzogenen Steuern rund 80 Prozent aller Gesundheitsausgaben bezahlt werden. Der Staat wäre, würde das Geld nicht auf Offshore-Konten und in Briefkastenfirmen zum Zwecke privater Reichtumsmehrung versteckt, in der Lage binnen 13 Jahren seine Schulden zu begleichen und so frei von Zinslasten werden – was wiederum den Spielraum für dringend benötigte öffentliche Investitionen und allerlei Möglichkeiten für die Gestaltung politischer Alternativen erheblich vergrößern würde, die derzeit vor der Betonmauer »Schuldenbremse« zum Halten gebracht werden. Von den jährlich hinterzogenen Steuern könnten in Deutschland die kompletten Ausgaben für Hartz IV beglichen werden. Oder man könnte ein angemesseneres, also deutlich höheres Mindesteinkommen für Hunderttausende finanzieren.

Von den jährlich hinterzogenen Steuern könnten die kompletten Ausgaben für Hartz IV beglichen werden.

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Aber es geht nicht nur um Gegenrechnerei, es geht um eine Unkultur des breit akzeptierten Unsozialen, es geht um eine einflussreiche Minderheit, die sich dem Grundgedanken des demokratischen Gemeinwesens mit krimineller Energie entzieht – dass nämlich Lasten je nach Stärke der Einzelnen geteilt werden. Das ist jetzt abermals belegt, und es darf als klassenpolitische Pointe betrachtet werden, dass hier Namen von »Staatsmännern« auftauchen, die uns in der »politischen Welt« als erbitterte Feinde gegenübertreten, die aber in der Welt der Steuerhinterziehung das gleiche Gebaren an der Tag legen, gewissermaßen als Saboteure ihrer jeweiligen Staaten.

Schluss mit der Verachtung des Öffentlichen

Eine echte Wende bedarf aber nicht nur schärferer Gesetze, sondern auch einer Kulturrevolution: Es muss endlich Schluss sein mit der Verachtung des Öffentlichen, die nur die leichterhand betreiben können, die es sich privat auch leisten können – die aber auch in einer breiteren Öffentlichkeit längst in den Köpfen Spuren hinterlassen hat. Wer sich den Fall des Steuerhinterziehers Ulrich Hoeneß in Erinnerung ruft, der medial gehätschelt mit einer Ministrafe davonkam; wer sich anschaut, wie über ein im wahrsten Sinne des Wortes: Kapitalverbrechen oft geredet wird, nämlich in verniedlichenden Begriffen wie »Steuersünde«, der weiß, dass das Problem tiefer liegt.

Es geht um die Frage, wie viel Solidarität in einem Gemeinwesen nicht nur als lästige Pflicht des Souveräns, sondern als selbstverständlicher Beitrag angesehen wird. Eine öffentliche Debatte, die noch vom neoliberalen Geist durchdrungen ist, der nach weniger Staat, weniger Öffentlichem ruft, weil angeblich der Markt es besser richtet, ist nicht unschuldig an Zuständen, die einer asozialen Parallelgesellschaft erlaubt, auf nicht selten kriminelle Weise reicher zu werden.

Der Beitrag erschien auch auf neues-deutschland.de.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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