Einfluss, reich: Die »Paradise Papers« und warum die Steuerflucht immer weiter geht
Warum Steuerflucht immer noch nicht wirksam blockiert ist? Auch, weil die Wahrscheinlichkeit für politische Maßnahmen gegen den Willen der Top-Einkommensbezieher und für mehr Umverteilung nach unten nahe Null liegt, wie Studien zeigen.
Nach den Enthüllungen über die »Paradise Papers« grüßt aus der Berliner Politik das Murmeltier: Gut, dass das jetzt bekannt werde, Transparenz sei eine Waffe gegen Steueroasen, aber der Kampf gegen legale Steuervermeidung und Steuerflucht sei nun einmal schwierig. »Das ist ein Kampf gegen Hydra«, wird der zuständige Minister zitiert – und diesem Ungeheuer würden nun einmal ständig neue Köpfe wachsen. Man erinnert sich: Nach den Enthüllungen aus den »Panama Papers« klang das eigentlich genauso. Und bei früheren auch. Und bei denen davor ebenso.
Nach den »Panama Papers« legte Wolfgang Schäuble einen »10-Punkte-Aktionsplan gegen Steuerbetrug, trickreiche Steuervermeidung und Geldwäsche« vor. Im April 2017 bilanzierte sein Ministerium den Umsetzungsstand. Aber so richtig vorangekommen ist die Sache ja offenbar nicht. Im Prinzip hat das Regierungssprecher Steffen Seibert jetzt auch so bestätigt. Es habe zwar Fortschritte gegeben, aber die Arbeit müsse intensiv fortgesetzt werden. Dabei setzt die Bundesregierung vor allem auf Informationsaustausch und Transparenz.
SPD nennt Schäuble »Schutzpatron der Steuervermeider«
In der vergangenen Woche hatte sich der französische Steuerexperte Gabriel Zucman in der »Zeit« darüber geäußert. Dass nun ein automatischer Austausch beginne, »sodass Banken in den meisten Oasen beispielsweise den deutschen Steuerbehörden spätestens ab nächstem Jahr Informationen über die Konten von Bundesbürgern schicken sollen«, sei »ein großer Fortschritt«. Aber einer, mit einem großen Aber: Zucman sagt, das sei »nicht im Geringsten ausreichend. Die Banker in den Steueroasen haben keinen echten Anreiz, das Ausland wahrheitsgemäß zu informieren«. Denn es handelt sich ja immerhin um »dieselben Leute, die jahrzehntelang ihre Kundenkonten versteckten und ihnen ihre Steuervermeidungsdienste verkauft haben«. Und wie die »Paradise Papers« zeigen, floriert das Geschäftsmodell weiter.
Die SPD hat deshalb nun auch Schäuble attackiert, der finanzpolitischer Sprecher der Landesgruppe Bayern in der Bundestagsfraktion, Andreas Schwarz, nannte ihn den »Schutzpatron der Steuervermeider«. Für ihn sei das »Erschütternde an den Enthüllungen« nicht »nur das Ausmaß, in dem sich selbst ernannte Eliten in unserem Land vor ihrer Verantwortung drücken«. Sondern dass zu wenig dagegen passiert ist. »Gerade bei den Schritten, die wir national hätten gehen können, haben CDU und CSU in der letzten Legislatur blockiert, wo sie nur konnten.« Auch der Oxfam-Steuerexperte Tobias Hauschild sagt, »die immer wieder auftretenden Skandale zeigen, dass es höchste Zeit ist, diesen Raum gründlich auszuleuchten«.
Je höher auf der Einkommensleiter, desto mehr Einfluss
Auf eine Ursache, warum das so schwierig ist, haben übrigens gerade die Würzburger Ökonomen Norbert Berthold und Klaus Gründler in der »Frankfurter Allgemeinen« hingewiesen: der politische Einfluss der Superreichen. Wo Zucman vorrechnet, dass sich die Steuerfluchthelfer bei den Banken immer mehr »auf die ultrareiche Klientel« konzentrieren, haben Berthold und Gründler daran erinnert, wie groß deren Einfluss auf Steuerpolitik und generell auf umverteilungspolitische Fragen ist.
So haben die beiden US-Politikwissenschaftler Martin Gilens und Benjamin Page 2014 fast 1.800 »Politikentscheidungen untersucht, die zwischen 1981 und 2002 verabschiedet wurden«, und es habe sich gezeigt, »dass die Wahrscheinlichkeit nahe null liegt, dass eine Maßnahme gegen den Willen der Top-Einkommensbezieher durchgeführt wird. Umgekehrt steigt die Wahrscheinlichkeit zur Durchführung einer Maßnahme stark an, sobald diese eine breite Unterstützung unter den Top-Einkommensbeziehern findet.«
Berthold und Gründler selbst haben in mehreren Ländern untersucht, wie groß der »Einfluss der Reichen auf die Generosität des Sozialsystems« ist – auch hier ein ähnliches Ergebnis: Es habe sich »ganz deutlich« gezeigt, dass die Bezieher von Top-Einkommen »einen signifikant negativen Einfluss auf die nationalen Umverteilungsanstrengungen nehmen«. Dieser sei »umso stärker, je weiter wir die Einkommensleiter emporklettern«.
Steuerfluchthelfer konzentrieren sich immer mehr auf Superreiche
Zucman hatte in der »Zeit« an den Fall der »Swiss Leaks« erinnert, durch den sich anhand von Daten der Schweizer Großbank HSBC gezeigt hatte, dass »rund 80 Prozent des Vermögens in Steueroasen … den reichsten 0,1 Prozent der Haushalte« gehören. »60 Prozent, also drei Viertel davon, gehören den 0,01 Prozent ganz oben – Menschen, die mehr als 50 Millionen US-Dollar Nettovermögen besitzen.«
Dies einmal nur theoretisch verbunden mit dem Hinweis von Berthold und Gründler, könnte sich ein Bild ergeben – eines, das die beiden Würzburger auch beim Namen nennen. Für »das Bestreben, den wirtschaftlichen Erfolg durch die Beziehung zur Politik zu verbessern«, gebe es viele Beispiele – eines davon seien Steuerschlupflöcher. Die Folge: Nepotistische Tendenzen führten »zu einer Erhöhung der Anteile der Top-Einkommensbezieher und steigern die ökonomische Ungleichheit«. Genau genommen liegt hier auch der eigentlich springende Punkt: Es ist der Superreichtum selbst. Würde es ihn nicht geben – weil zum Beispiel umverteilungspolitisch radikal dagegengehalten wird -, könnte man keine Geschäfte mit der Steuerflucht machen, die Zucman übrigens »Finanzverbrechen« nennt.
Die, oder jedenfalls eine sehr spannende Frage, die nun abermals durch Enthüllungen über legale Steuervermeidung und Steuerflucht aufgeworfen wird, wäre also die: Was sind die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen es überhaupt möglich sein kann, dass sich soviel – von vielen produzierter – Reichtum in den Händen von wenigen zu fast steuerfreiem Vermögen verwandelt, mit dem man sich dann auch noch politische Entscheidung gefügig machen kann?
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