Wirtschaft
anders denken.

Ökonomische Planung? Paul A. Baran und die Stunde der Politik

22.12.2017
Stanford UniversityPaul A. Baran

Eine vernunftgemäße Verwendung des gesellschaftlich produzierten Reichtums setzt zwingend eine ökonomische Planung voraus, befand der US-Ökonom Paul Alexander Baran. Ihm ging es nicht zuletzt um die Verbindung von Sozialismus und Demokratie. Ein Beitrag aus der OXI-Ausgabe 10/2017.

Es gibt gegenwärtig eine wesentliche Einsicht, die vom Standpunkt der Bedrückten und Entrechteten aus betrachtet, regelrecht essenziell ist. Dabei handelt es sich um die leninistische These, wonach das Schlachtfeld der Auseinandersetzung die Ökonomie bleibt, die Intervention hingegen politisch sein muss. Für die Umsetzung dieser These hat sich der heute nahezu vergessene Wirtschaftswissenschaftler Paul Alexander Baran (1910-1964) in vieler Hinsicht stark gemacht. Es lohnt sich, sein Werk gerade vor dem Hintergrund der uns gestellten Anforderungen wieder zu entdecken.

Das Vergessen von Denkern wie Baran ist natürlich genauso systematisch erzeugt worden, wie die Umdeutung des Faches Politische Ökonomie in die Euphemismen »Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre«. Die Ursache dafür liegt in einer neoliberalen Kampagnen- und Hegemoniepolitik, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Gange ist und seit etwa vierzig Jahren Früchte trägt. Diese reichen soweit, dass vom neoliberalen Mantra abweichende Auffassungen nicht nur nicht mehr wahrgenommen werden, sondern an den Universitäten häufig gar nicht mehr zum Studienstoff gehören.

Grundprämissen der Kritik Politischer Ökonomie

Paul A. Baran prägte in einer kurzen Wirkungsperiode in den 1950er und 1960er Jahren zwei entscheidende Grundprämissen der Kritik Politischer Ökonomie mit: Erstens hat er, vor allem in der empirischen Studie zum US- amerikanischen Kapital, die gemeinsam mit Paul M. Sweezy (1910-2004) unter dem Titel »Monopolkapital« entstand, wesentliche Konsequenzen aus der Theorie des Imperialismus nach Hilferding und Lenin auch ökonomietheoretisch ernst genommen.

Danach schafft die Monopoltendenz durch die Aushebelung der Konkurrenz die effektive Preisbildung aus Angebot und Nachfrage auf einem sowieso immer nur idealtypisch gedachten Markt ab. Sie sorgt für die dauerhafte Existenz künstlicher »politischer« Preise, die sich nur an den Verwertungsoptima der Monopole orientieren. Darüber hinaus wird der Konjunkturzyklus dahingehend modifiziert, dass die allgemeine Krise des Kapitals (tendenzieller Fall der Profitrate, Untergrabung der durch lebendige Arbeitskraft erreichten Wertschöpfung) zum Ausfall eines spürbaren Aufschwungs führt. Dadurch fällt das im Konkurrenzkapitalismus oder in nachholen- der Modernisierung noch mögliche Wachstum des wirtschaftlichen Gesamtprodukts entweder ganz weg oder nur noch minimal aus.

Zweitens entwickelte Baran in seinem Hauptwerk »Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums« die These vom »ökonomischen Surplus«. Dadurch wurde es ihm möglich, auch Kennziffern in die wirtschaftliche Rechnungsführung zu integrieren, die normalerweise in den Bilanzen, Geschäftsberichten und offiziellen Statistiken der Konzerne nicht auftauchen oder als Kosten verschleiert werden.

Der »ökonomische Surplus«

Definiert als der Unterschied zwischen dem Produktionsausstoß einer Gesellschaft und ihren Produktionskosten umfasst der »ökonomische Surplus« also nicht nur Mehrwert, Lohn und Grundrente, sondern alle Kapitalwerte der Akkumulation, die potenziell zur gesamtgesellschaftlichen Wiederverwertung oder Weiterverwendung eingesetzt werden können.

Der monopolkapitalistische Weg des Kapitaleinsatzes unter Aufrechterhaltung privatkapitalistischer Eigentumsverhältnisse lautet daher: Verschwendung von Ressourcen (Luxus, Renommierprojekte, Werbung), Produktion und Einsatz von Zerstörungsmitteln (Militär, Krieg), Irrationalität der Gesellschaft. Eine vernunftgemäße Verwendung des angehäuften Reichtums würde hingegen zwingend eine ökonomische Planung voraussetzen, die allerdings nur dann sinnvoll erscheint, wenn das ökonomische System auch rational arbeitet. Das ist im Kapitalismus aufs Ganze gesehen nicht der Fall.

Trotzdem hatte Baran bereits im Jahre 1952 in seinem Aufsatz »Volkswirtschaftliche Planung« die Möglichkeiten der Planung im fortgeschrittenen Kapitalismus, im Kapitalismus unterentwickelter Länder und im Sozialismus zur Diskussion gestellt. Dabei ging es ihm besonders darum, für den Kapitalismus zu zeigen, dass staatliche Interventionen zur Planung wirtschaftlicher Belange auch in der Praxis keineswegs Fremdkörper sind, sondern vielmehr zum Alltag gehören, und dass der wichtigste Faktor der Planungswirksamkeit für die Gesamtgesellschaft die Formung der Präferenzen aller Verbraucher sämtlicher erwirtschafteter Leistungen ist.

Nicht mit der Aufrechterhaltung der Privatwirtschaft vereinbar

Wenn man am Ziel der kapitalintensiven Vollbeschäftigung festhalten möchte, was Grundsubstanz und Wesenszentrum der kapitalistischen Steuerung sein muss, dann bieten sich folgende Maßnahmen an: Arbeitsbeschaffung durch Infrastrukturprojekte, Sozialinvestitionen, Regierungsaktivitäten im Außenhandel, Militärausgaben, staatlich subventionierte oder komplett finanzierte Forschungsprojekte sowie Konsumtionsausgaben.

All diese Funktionsmechanismen wurden und werden immer wieder mit verschiedener Intensität angewandt, bewirken aber nur kurzfristige Linderungen im Krisenmodus, da sie in letzter Konsequenz »entweder (langfristig) nicht mit der Aufrechterhaltung der Privatwirtschaft vereinbar sind oder aber politische Veränderungen voraussetzen, die einer Faschisierung der politischen Ordnung gleichkämen«.

Alle Formen der Nachfragesteigerung durch Nachfragesubventionen (heute dächte man an das Bedingungslose Grundeinkommen) sind für die kapitalistische Ordnung an sich ebenfalls problematisch, so Baran. »Jeder Versuch, das Gesetz, dass für den Lebensunterhalt gearbeitet werden muss, anzutasten, würde die Verteilung eines großen Volumens von freien Gütern und Dienstleistungen und somit die soziale Disziplin der kapitalistischen Gesellschaft erschüttern und die sozialen Prestige- und Kontrollpositionen schwächen, die ihre hierarchische Pyramide krönen.«

Veränderter Verhältnis der Gesellschaft zum Staat

Während im rückständigen bzw. unterentwickelten Kapitalismus, in dem das Produktivitätsniveau für einen angemessenen Lebensunterhalt in der Regel nicht ausreicht und ökonomische Planung nur dann möglich ist, sofern die Staatlichkeit dieser Regionen die Realisierung einer progressiven Fiskalpolitik mit Kapitalabgaben, Preis- und Kapitalverkehrskontrollen auch garantieren kann, bedeutet sozialistische Ökonomie vor allem die Erzeugung und Erhaltung eines völlig anderen Wertesystems als im Kapitalismus.

Das beginnt bei einem veränderten Verhältnis der Gesellschaft zum Staat, die diesem nicht mehr feindlich, sondern als aktive Kooperationsinstanz gegenübertritt, leitet über zu einer Neudefinition staatlicher Kontrollorgane, um die Einhaltung der gesellschaftlich ausgehandelten Planungsziele zu überwachen (neudeutsch: »evaluieren«) und endet bei der rationalen Formung der Präferenzen aller Konsumenten, um die Wirtschaft im Sozialismus an nachhaltigen Zielsetzungen auszurichten.

Widerspruch zwischen kurzfristigen Bedürfnissen und dauerhafter Planung

Die Hauptprobleme sah Baran nach den Erfahrungen der sozialistischen Industrialisierung in der Sowjetunion insbesondere darin, die auftretenden Disproportionen, die durch langfristige Prioritätensetzung entstehen, so gering zu halten, dass die zentrale Verteilung der Ressourcen nicht zu Lasten der Stützen des sozialistischen Systems geht. Der Widerspruch zwischen kurzfristigen Bedürfnissen und dauerhafter Planung müsse so aufgelöst werden, dass sich Sozialismus und Demokratie institutionell verbinden lassen. Ohne Zweifel allerdings war für Baran zu diesem Zeitpunkt, dass »eine radikale Neuorientierung der Gesellschaft ohne Eingriffe in individuelle Freiheiten« ausgeschlossen ist.

Barans Überlegungen zur Planung als notwendiger Möglichkeit erscheinen heute alles andere als antiquiert – oder nur für diejenigen, denen die Vorstellung einer progressiven Entwicklung vollständig abhanden gekommen oder ausgetrieben worden ist.

Hingegen haben sich fast alle Prognosen bewahrheitet, die von der Existenz des Imperialismus in Form eines staatsmonopolistischen Kapitalismus ausgehen: innerökonomisch durch die Verschmelzung der Kapitalformen mit dem Staat als Risikoträger und Preisgaranten; technologiepolitisch durch die immer weiter voranschreitende Automation und die längst vorhandenen Potenzen zur Umlenkung des technischen Fortschritts; und gesellschaftspolitisch durch die entscheidende Forderung, endlich das herrschende Arbeitsethos zu demontieren, um den Individuen freie Zeit einzuräumen und die Räume des Möglichen zu erweitern.

Hier schlägt die Stunde der Politik, denn es dürfte erwiesen sein, dass der Kapitalismus in der Lage ist, seine allgemeine Krise auszusitzen.

Kurzbiografie

Paul A. Baran kam am 8. Dezember 1910 in Nikolajew im damaligen russischen Kaiserreich in einer jüdischen Familie zur Welt. Sein Vater war Arzt mit Verbindungen zu den Menschewiki in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Baran selbst studierte in Moskau Ökonomie, ging dann an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin, später war er am Institut für Sozialforschung in Frankfurt tätig. Nach der Machtübernahme der Nazis emigrierte Baran in die USA, traf dort auf Paul M. Sweezy und absolvierte ein Graduierten-Studium in Harvard. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er für Regierungsstellen, später wurde er Mitarbeiter der Federal Reserve. Ab 1949 war er Professor an der Stanford University. 1960 besuchte Baran Kuba kurz nach der siegreichen Revolution. Er starb 1964 an einem Herzinfarkt.

Geschrieben von:

Detlef Kannapin

Politiktheoretiker

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