Wirtschaft
anders denken.

Paul Mason: Wohlfühl-Linker oder neuer Marx?

08.04.2016
Der Autor und Journalist Paul MasonFoto: Global Justice Now / flickr CC BY 2.0 LizenzAus den Trümmern des Neoliberalismus entsteht die neue Gesellschaft - meint Paul Mason.

Was die Zeitungen zu Paul Masons Buch »Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie« schreiben.

Man kann es so formulieren wie die Blätter für deutsche und internationale Politik: Wir wissen nicht erst seit gestern, dass der globale Kapitalismus massiv angeschlagen ist – aber wir wissen nicht, ob das »bloß« ein deutlicher Einbruch im Rahmen seiner systemimmanenten Krisen ist oder der »Anbruch einer postkapitalistischen Ära«. Das ist das Stichwort, mit dem der britische Autor und Journalist Paul Mason derzeit für Schlagzeilen sorgt. In dieser Woche war Mason in Berlin – im Haus der Kulturen der Welt stellte er auf Einladung der Blätter sein neues Buch »Postkapitalismus« vor. Was schreiben die Zeitungen zu seinem Auftritt und dem Buch?

In der taz findet Philipp Rhensius, Mason könne »die Komplexität des Wirtschaftssystems auf verständliche Weise erläutern«. Das Buch sei von einem Optimismus getragen, ja: ein »radikales Werk über die Krise des Kapitalismus«. Mason erkenne »in denselben Bedingungen, die den Neoliberalismus erfolgreich machten, die Chancen für dessen Überwindung« – Stichwort informationelle Technologieschübe, Überfluss an Informationen, kollaboratives Produzieren, Sharing-Ökonomie. Eine Frage, so heißt es zur Berliner Diskussion mit Mason, sei freilich, wie postkapitalistische Idee und real existierendes politisches Herrschaftssystem zusammenfinden sollen. Die Stärke von Masons Postkapitalismus bestehe darin, so die taz, dass dieser »nicht autoritär installiert werden soll, sondern aus der Gesellschaft heraus entsteht, in Form einer wachsenden Sharing-Kultur und subventioniert mit einem Grundeinkommen«.

»Postkapitalismus« – geschichtsphilosophisches Schattenboxen…

Viel skeptischer ist Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung. Natürlich werde der Kapitalismus »eines Tages nicht mehr sein«, schreibt er – auch wenn es uns heute unbekannt sei, »wo es zuerst haken wird: bei den individuellen Eigentumsrechten, bei der Koordinierung über Märkte oder doch bei der Akkumulation des Kapitals, das im Streben nach künftigem Gewinn investiert wird«. Mason aber, so Bisky, verspreche zwar »Gegenwartskritik, ökonomische Analyse und geschichtsphilosophisches Durchblickertum. Doch leider wirkt das Buch, als ob einer auf der Blockflöte die Schicksalssymphonie blasen würde. Immerhin zeigt es deutlich, was fehlt.« Für Bisky existiert diese Lücke vor allem auf der Linken selbst. Er diagnostiziert eine »intellektuelle, eine analytische Schwäche«. Mason opfere »die politische Ökonomie zugunsten von Schlagworten, verwechselt das Kommunikationsmodell von Netzwerken mit tatsächlichen sozialen Verhältnissen«. Am Ende fällt das Urteil: »Postkapitalismus« reihe »ein Wohlfühlschlagwort des Antikapitalismus ans andere und verknüpft alles mit geschichtsphilosophischen Motiven, die keinem wehtun«. Immerhin bleibt auch Bisky dabei: »Der Spätkapitalismus hat nicht mehr nur die guten alten Legitimationsprobleme, vielmehr scheinen seine Eliten von der Aufgabe überfordert, ihn am Laufen zu halten.«

Carolin Haentjes war für den Tagesspiegel bei der Democracy Lecture mit Mason – und hat den »vielleicht bekanntesten englischen Globalisierungskritiker« bei seiner Suche nach einer »humaneren und nachhaltigeren Gesellschaft« beobachtet, die »bereits im Entstehen begriffen« sei. Masons Vision lasse »sich am ehesten als staatlich gestützte Radikalreform beschreiben. Er sei kein Revolutionär, betont er, sondern ein radikaler Sozialdemokrat.« Die Debatte im Haus der Kulturen der Welt hat Haentjes als Schlagabtausch von »potenziell Verbündeten« erlebt: Frank Rieger vom Chaos Computer Club war dabei, IG-Metall Vorstand Hans-Jürgen Urban und die Degrowth-Expertin Friederike Habermann.

… oder materialistische Technologieanalyse à la Marx?

In neues deutschland hat Guido Speckmann die »Grundrisse einer kommenden Ökonomie« gelesen – und sich an an eines der Werke »des Größten der linken Theoriegeschichte« erinnert: an Karl Marx und dessen »Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie« aus den Jahren 1857/58, die zur Vorarbeit für »Das Kapital« wurden. Schon wieder eine Anleihe an Marx? Man denkt an Thomas Piketty, der mit seinem »Das Kapital im 21. Jahrhundert« ebenfalls buchtitelartige Nähe zu Marx demonstrierte. Speckmann zu Masons Werk: »Der deutsche Untertitel macht aber auch deshalb Sinn, weil Mason sich ausführlich auf das sogenannte ›Maschinenfragment‹ in den ›Grundrissen‹ bezieht. In diesem hatte Marx über die Potenziale neuer Techniken in seiner ihm eigenen dialektischen Weise nachgesonnen. Das tut auch Mason.«

»Der gegenwärtige Hauptwiderspruch des Kapitalismus: der zwischen unbegrenzt zur Verfügung stehendem Wissen und Eigentumsrechten, die begrenzt sein müssen.« Ob aber in der modernen Informationstechnologie das Moment einer digitalen Revolution und damit das Potenzial liege, »den Kapitalismus zu überwinden und eine postkapitalistische Gesellschaft ohne Privateigentum zu verwirklichen«, wie Mason meint, wird man sehen – auf einen historischen Automatismus, eine »Gesetzmäßigkeit« setzt die Linke besser nicht noch einmal. Mason glaubt an »die Schaffung eines Peer-to-peer-Sektors neben Markt und Staat als Element einer langfristigen Transformation hin zu einer postkapitalistischen Ökonomie«, wie es Speckmann formuliert.

Übrigens: Paul Mason ist bald wieder in Berlin. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat ihn für Ende Mai zu einer »Luxemburg Lecture« eingeladen. »Während die Welt scheinbar ins Chaos driftet«, heißt es in der Einladung, finde Mason »in den Tendenzen des Bestehenden die Saat eines Postkapitalismus«. Bleiben zwei alte Fragen: »Was genau ist nun zu tun? Und wer zum Teufel tut es?«

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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