Unsichtbare Verschmutzung
Gleichzeitig gibt es die andere Seite der Geschichte – oder eine leise und verschämte Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des Kunststoffs. Kunststoffe werden in sehr vielen Produkten eingesetzt, sie können unterschiedlich weich oder hart, flexibel oder fest sein und sind darum enorm vielseitig formbar, unter anderem für Anwendungen in der Medizin. Sie haben eine geringe elektrische und thermische Leitfähigkeit, was sie zum Isolations- und Dämmstoff macht und somit zum gefragten Material in der Bauwirtschaft. Sie sind Korrosionsbeständigkeit und wasserfest und damit auch im Außenbereich einsetzbar – praktisch für den Endkonsumenten, der nicht mehr alle paar Jahre Gartenmöbel oder Fenster aus Holz streichen muss.
Dieses vielseitige Material mit seinen positiven Eigenschaften wird allerdings leider überwiegend sehr kurzlebig eingesetzt. Knapp die Hälfte der weltweiten Jahresproduktion von über 350 Millionen Tonnen Plastik wird für Einwegverpackung eingesetzt. Und da fängt das Problem an, denn diese Verpackungen sind es, die weltweit in Wälder, Flüsse oder sonst wohin gekippt werden.
Aktuellen wissenschaftlichen Berechnungen zufolge gelangen jedes Jahr bis zu acht Millionen Tonnen Plastik ins Meer. Zu den zehn häufigsten Müllsorten, die bei der internationalen Küstenreinigung 2017 eingesammelt wurden, gehörten Lebensmittelverpackungen, Getränkeflaschen, Einkaufstüten, Strohhalme und Behälter zum Mitnehmen, die alle aus Plastik bestehen. Hinzu kommen Hinterlassenschaften der Fischerei, ganze Plastiknetze, die verloren gehen, aber auch Abriebe. Die Anzahl der Plastikfragmente im Meer wird auf aktuell 5 Billionen oder 1.000.000.000.000 geschätzt. Die Zersetzung zu Mikroplastik beginnt bereits in den Flüssen. Der Großteil des in Flusswasserproben gefundenen Plastiks besteht aus Mikroplastik. Diese Verschmutzung ist unsichtbar, was sie umso gefährlicher macht.
Was den Anteil der Verpackungen angeht scheint die Lösung nicht so kompliziert. Denn es sind ja wir selber, die die Verpackungen in die Umwelt eintragen. Zumindest in Deutschland kann man das so sagen. Anders ist die Situation in Ländern, wo es kein so differenziertes Entsorgungssystem gibt. Global gesehen ist darum ein wichtiger Teil der Lösung die Verbesserung der Abfallsammlung, vor allem in abgelegenen Orten und Ländern, in denen es meist an Infrastruktur fehlt, also das Schließen der »Sammellücke«. Untersuchungen zufolge werden derzeit schätzungsweise 25 Prozent der Abfälle direkt in Wasserstraßen gekippt. Um diese Lücke zu schließen, müsste angesichts des Bevölkerungswachstums bis 2040 täglich für 500.000 Menschen ein Anschluss an ein Entsorgungssystem geschaffen werden. Voraussetzung dafür wiederum sind Verkehrswege und eine Abholung, also enorme Investitionen in Infrastruktur.
Einfacher und erfolgversprechender scheint es da, das Aufkommen von Einwegplastik zu reduzieren, bzw. die Herstellung von Einwegverpackungen durch Gesetzgebungen zu reglementieren und durch Verpackungssteuern zu verteuern. Denn der Fehler liegt da, wo Produkte aus Kunststoff für eine einmalige Nutzung hergestellt werden, sie heißen nicht von ungefähr Wegwerfprodukte! Das lässt sich auch nicht durch Recycling von Plastik lösen. Recycling ist immer energieaufwendig und es setzt die Sammlung und Sortierung voraus, geht also von Voraussetzungen aus, die derzeit zu Teilen nicht gegeben sind.
Hinzu kommt, dass nur bestimmte Kunststoffe effektiv rezykliert werden können. Manche Arten von Kunststoff verlieren bei dem Einschmelzen und Umformen ihre Eigenschaften, vor allem Haltbarkeit und Oberflächenbeschaffenheit verschlechtern sich. Also auch da, wo Sammlung durch ein Entsorgungssystem gelingt und Sortierung durch Anlagen möglich ist, bleiben Grenzen des Plasik-Recyclings, die in der Zusammensetzung der Kunststoffe begründet sind – ein Feld, das im globalen Maßstab schwer regulierbar ist.
Um den Eintrag von Plastik in die Umwelt zu verringern hat die Europäische Kommission die Richtlinie zur Verringerung der Umweltauswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte, die sogenannte SUP-Richtlinie erlassen. SUP steht für Single Use Plastics, also für Kunststoff, der nur einmal verwendet und dann weggeworfen wird. Die von der EU festgelegten Ziele sollen von den Mitgliedsstaaten in nationale Gesetze umgesetzt werden, was 2021 begonnen wurde. Einige Kunststoffprodukte sind seitdem verboten. Dazu gehören Einwegbesteck, Rührstäbchen, Wattestäbchen und Strohhalme, für die es Alternativen gibt. Manche Plastikprodukte werden mit Etiketten versehen, die auf die Umweltschäden durch Plastik hinweisen. Andere sollen besser gestaltet werden. Hersteller müssen sich an die »detaillierte Herstellerverantwortung« halten, die besagt, dass sie für die Reinigungskosten und Informationen aufkommen.
Allerdings führt dieses Herangehen vielfach lediglich zu Verlagerungen des Problems – das kennen wir schon von Plastiktüten. Häufig werden Einweg-Plastikprodukte durch Papiervarianten oder wie beim Einwegbesteck durch Holzprodukte ersetzt. Dann ist zwar der Plastikeintrag und die damit verbundenen Belastungen der Ökosysteme reduziert – der Einsatz und die Verarbeitung von Ressourcen für eine einmalige Verwendung jedoch lediglich auf Holz verlagert.
Leider ist die Wiederverwendung von Plastikerzeugnissen mit der Diskreditierung des Materials an sich eher in den Hintergrund getreten. Fakt ist, dass das Plastik in der Welt ist – in Form von Flaschen, Rohren, Platten, Schläuchen. Diese lassen sich grundsätzlich, wie andere Materialien auch, wiederverwenden und umnutzen. Gerade im Bau, wo große Materialmengen eingesetzt werden, könnte der Einsatz von Kunststoffbauteilen erprobt werden, um gleich zwei Probleme aufzugreifen: Der Verbleib von Kunststoff-Produkten nach der Primärnutzung und der Einsatz von aus Rezyklat hergestellten Kunststoff-Produkten.
Das Bauen mit verfüllten Plastikflaschen ist bereits erfolgreich erprobt worden, wenn auch nicht systematisch und in Langzeit evaluiert. Sicherlich kann man eine Wand aus mit Sand befüllten und mit Lehm verputzten Plastikflaschen nicht so einfach rückbauen und rezyklieren, wie eine Wand in Stroh-Lehmbauweise. Aber mit welchem Gebäude nach heutigen Bauweisen geht das? Ein anderer Einwand gegen die Wiederverwendung von Plastik ist die mangelnde UV-Stabilität – die natürlich sehr von der chemischen Zusammensetzung des Kunststoffs abhängt. Diesem Problem kann begegnet werden, indem die wiederverwendeten Plastikteile vor Sonneneinstrahlung geschützt, also nicht an der Außenfassade eingesetzt werden.
Plastik ist unsexy geworden, aber es ist nun mal in der Welt – und es kommen jedes Jahr 350.000.000 Tonnen hinzu. Ein Plastik-Moratorium ist selbst für Einwegprodukte nicht umsetzbar – man denke nur Hygieneprodukte und medizinischen Bedarf. Der Aufbau von Sammelstrukturen weltweit ist ein Baustein im Umgang mit Plastik, ein ebenso wichtiger Aspekt ist die Suche nach breiteren Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel im Bau. Die Diskurse um das Bauen der Zukunft jedoch sind in den Sog der Kreislaufwirtschaft geraten. In einer idealen Welt ist das ja auch sinnvoll – in der Welt, in der sich mehrere Billionen Tonnen Plastik angesammelt haben, reicht es aber nicht.
Ein Gebäude ist ein langlebiges Gut und muss nicht primär dafür gemacht sein, abgerissen zu werden. Und selbst wenn dies auch im Bau eine neue Bedingung sein soll, auch Plastikmodule, die im Baukörper ruhen, lassen sich beim Abriss isolieren. Jedenfalls sehr viel besser als auf dem Weg in den Ozean! Ein Lichtblick in Sachen Umgang mit dem vorhandenen Plastik ist die DIN SPEC 91446, die eine Klassifizierung von Kunststoff-Rezyklaten durch Datenqualitätslevels bietet. Das qualifiziert den Vertrieb und auch den Einsatz von Rezyklaten enorm und öffnet neue Möglichkeiten für eine mengenrelevante Verwertung vorhandener Kunststoffe und kann zur Lösung des Plastikproblems ein wirklicher Beitrag sein.
Dr. Corinna Vosse ist freie Mitarbeiterin im Zentrum für Kulturforschung, Mitbegründerin von Kunststoffe – Zentralstelle für wiederverwendbare Materialien e.V. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind u.a. ökologische Ökonomik und nachhaltige Produktion.
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