Wirtschaft
anders denken.

Pluralisten aller Schulen, vereinigt euch!

04.07.2016
Foto: Netzwerk Plurale ÖkonomikGehören alle an die Uni: Adam Smith, Marx, Joan Robinson, Keynes, Luxemburg.

Ist die Forderung nach Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften ein frommer Wunsch ohne Perspektive, wie Ingo Stützle meint? Im Gegenteil, der Wandel ist längst da. Die Frage ist, wer ihn gestaltet – und wie.

In der Debatte um Pluralismus in der Ökonomik regt sich die entscheidende Frage: Wie lässt sich Pluralismus praktisch umsetzen? Unter der Überschrift »Hätte, müsste, sollte – die Kritik der Neoklassik« hat Ingo Stützle an dieser Stelle auf die Beharrungskräfte der Mainstream-Ökonomik hingewiesen. Er bezieht sich dabei kritisch auf eine neu erschienene Studie, in der Arne Heise die Forderung nach Paradigmen-Vielfalt in der Ökonomik wissenschaftstheoretisch einbettet. Stützle kritisiert, dass die immer wiederkehrenden Appelle für Pluralismus ins Leere gehen, weil sie nicht nach den Bedingungen für eine Transformation der Volkswirtschaftslehre fragen. Die Kritik der Neoklassik bleibe somit im Konjunktiv stecken; echter Wandel würde erst mit einer gesellschaftlichen Intervention in die Wissenschaftswelt realistisch.

Und tatsächlich: in den Vorlesungssälen wird auch nach der Finanzkrise das neoklassische Gleichgewichtsmodell gelehrt. Methoden-Formalismus, Schablonen-Lernen und der berüchtigte »Homo oeconomicus« sind noch immer Markenzeichen des VWL-Studiums. Trotzdem tut sich was in der Wirtschaftswissenschaft, der Wandel ist da. Ihn und die an ihm beteiligten Akteure zu unterschätzen, wäre ein Fehler. Es kommt darauf an, wer diesen Wandel gestaltet.

Die VWL verändert sich

Nach der Finanzkrise geriet die VWL in Bewegung. »Top-Ökonomen« wie Paul Krugman oder Brad DeLong schwenkten auf Kritikkurs, aus dem Mainstream heraus entstand das Institute for New Economic Thinking. Sogar in der Forschungsabteilung des IWF werden einstmalige Dogmen kritisch hinterfragt. Dabei geht es jedoch vielfach nicht darum, bestehendes (heterodoxes) Wissen im Vergleich zum Mainstream aufzuwerten, sondern am Bestehenden anzusetzen und »neues« Wissen zu schaffen – etwa durch ein Update von neukeynesianischen DSGE-Modellen (makroökonomische Gleichgewichtsmodelle) oder den stärkeren Einbezug der Verhaltensökonomik. Eine vor kurzem vom Deutschen Stifterverband und der Bertelsmann Stiftung organisierte Podiumsdiskussion mit dem Titel »Ökonomie neu denken« lässt vermuten, dass auch hierzulande der Mainstream auf Kritik reagiert. Und Kritik kommt nicht zuletzt von Angela Merkel, die sich mit überraschend deutlichen Worten über die Planlosigkeit der Ökonomenzunft nach der Finanzkrise beklagte.

Ein Schritt zu Pluraler Ökonomik? Eher nicht. Mit etwas Fantasie ist durchaus erkennbar, wie sich der Mainstream durch die selektive Integration von Verhaltens-, Komplexitäts- oder keynesianischer Ökonomik restabilisieren könnte (wohingegen kritische und qualitative Herangehensweisen außen vor bleiben). Doch die Forderung nach Pluralismus geht weit über eine partielle Verschiebung von Mainstream-Diskursen hinaus. Auch der von Arne Heise ins Spiel gebrachte Paradigmen-Pluralismus stellt nur eine Teilforderung dar. Plurale Ökonomik meint einen tiefgreifenden Wandel in der ökonomischen Bildung. Die Integration bislang ausgeschlossener Schulen, etwa von Postwachstums- oder Feministischer Ökonomik, muss mit einer anderen Art und Weise einhergehen, wie Ökonomie gelehrt, gedacht und gestaltet wird. Eine Abkehr vom Expertenkult und männlicher Dominanz in der VWL ist dabei genauso wichtig wie ein Ende der Alternativlosigkeit in öffentlichen Debatten. Es geht um echte »Transdisziplinarität« – das Ineinanderfließen verschiedener Disziplinen und die gesellschaftliche Rückbindung akademischer Bildungsprozesse.

Die über 30 Studierenden-Initiativen im deutschsprachigen Raum, die sich im Netzwerk Plurale Ökonomik zusammengeschlossen haben, sind längst nicht mehr bei der bloßen Forderung nach Pluralismus stehen geblieben. Durch Hochschulpolitik und die Organisation von Seminaren und Ringvorlesungen verändern sie bereits das Curriculum. Tendenzen zur Institutionalisierung zeigen sich auch in der Einrichtung eines Masterstudiengangs »Plurale Ökonomik« an der Universität Siegen oder des Nachwuchspreises für Plurale Ökonomik der Universität Witten/Herdecke. Diese Entwicklungen als »Trittbrettfahren« zu bezeichnen, wie Arne Heise im Fall des Nachwuchspreises kritisiert, wäre etwas verfrüht – dafür sind diese Entwicklungen zu jung. Auch ob die Studierendenbewegung erfolgreich sein wird, echten Pluralismus durchzusetzen, wird sich erst im Rückblick zeigen.

Pluralismus ist eine Aufgabe für alle

Anders als von Ingo Stützle moniert, findet ein Wandel in der Wirtschaftswissenschaft jedenfalls längst statt. Doch für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaftswissenschaft reichen die beschriebenen Schritte nicht aus. Um die Macht- und Mehrheitsverhältnisse in der Wirtschaftswissenschaft tatsächlich zu ändern, fehlt ein gemeinsamer wissenschaftspolitischer Akteur, der auch die Sozial- und Geisteswissenschaften umfasst, mitsamt deren kritischen Variationen. In der VWL hat sich die wirtschaftsliberale Hegemonie über Jahrzehnte verfestigt – gerade deshalb spitzt sich die Suche nach Alternativen in dieser Disziplin zu. Die Auseinandersetzung um Pluralismus ist eine Angelegenheit aller Sozialwissenschaften. Sollte die VWL als Keimzelle der Alternativlosigkeit nachhaltig verändert werden, öffnet das auch Spielräume in benachbarten Disziplinen und in der Gesellschaft insgesamt.

Doch den gemeinsamen Akteur gibt es bisher nicht. Bislang findet der Pluralismus-Begriff vor allem im gewerkschaftliche Spektrum um die Hans-Böckler-Stiftung Anklang. Interventionen der kritischen Sozialwissenschaften beschränken sich auf distanzierte Analysen von der Seitenlinie, wie etwa in der Ausgabe der Zeitschrift PROKLA zur »Kritik der Wirtschaftswissenschaften« oder eben dem jüngsten Beitrag von Ingo Stützle.

Es wirkt ein wenig, als hätten diese AutorInnen den Kampf um die VWL schon verloren gegeben. Nur ein »Eingriff von Außen« könne noch helfen. Doch dass Studierende massenhaft »Marx an die Uni« rufen, ist vorerst unwahrscheinlich. Der neoklassischen Monotonie eine einzige andere Doktrin entgegenzusetzen, wird den komplexen und intersektionalen Fragestellungen im Zeitalter multipler Krisen ohnehin nicht gerecht.

Auch das Lagerdenken in Heterodoxie und Neoklassik hilft nur noch bedingt weiter. Selbst wenn ein Großteil des Mainstream-Denkens auf neoklassischen Prämissen beruht: »Heterodoxie vs. Neoklassik« ist nicht die diskursive Sollbruchstelle, entlang derer sich ein wissenschaftliches Gegenprojekt formieren könnte.

Wie geht es gemeinsam in die Offensive?

Wenige Tage vor der Veröffentlichung der Studie von Arne Heise, auf die Ingo Stützle seine Kritik am hypothetischen Charakter der Mainstream-Kritik stützt, erschien ein anderes Papier. Dabei handelte es sich – mal wieder – um ein Aufruf für einen Wandel in der Wirtschaftswissenschaft. Die gut 30 UnterzeichnerInnen fordern darin eine »Transformative Wirtschaftswissenschaft«. Dass der Begriff der Transformativen Wissenschaft, der sich aus der durchaus radikalen Forderung nach einer »Sozial-Ökologischen Transformation« ableitet, hier auf die ökonomische Disziplin verengt wird, ist bezeichnend. Erneut zeichnet sich die Tendenz zu Wissenschaftsdisziplinen-internen Agendasetting ab. Dabei wäre eine Allianz verschiedener gestaltungsbewusster wissenschaftlicher Strömungen so notwendig.

Dabei hat »Transformative Wissenschaft« durchaus Potential – und ist mit der Pluralismus-Forderung verknüpft. Eine sozial-ökologische Transformation ist auf Debattenvielfalt und die Demokratisierung von Wissen(schaft) angewiesen. Anders jedoch als bei der Pluralismusforderung, die quer zur breiteren gesellschaftlichen Suchbewegung nach Alternativen zum Neoliberalismus verläuft, zeigt die Idee der Transformativen Wissenschaft eine Richtung auf. Im Kontext vielfältiger Krisen fällt auch den Sozialwissenschaften die Aufgabe zu, über Kritik hinauszugehen und konkrete Alternativen und Pfade zum gesellschaftlichen Wandel aufzuzeigen.

Wie können die vielfältigen Strömungen der Sozialwissenschaften, die an echtem Wandel interessiert sind, ihre Kräfte bündeln und so ausreichend Gestaltungsmacht erlangen, um die Forderung nach Pluralismus zu verwirklichen? Dafür braucht es ein gemeinsames, plurales und zeitgemäßes wissenschaftliches Projekt. Eine Diskussion um Transformative Wissenschaft, die den Kreis der üblichen Verdächtigen verlässt und auch die kritischen Sozialwissenschaften einschließt, könnte einen Anfang machen.

 

Das Netzwerk Plurale Ökonomik ist ein Zusammenschluss von Studierenden-Initiativen im deutschsprachigen Raum. Es ist Teil der International Students Initiative for Pluralism in Economics.

Geschrieben von:

Samuel Decker

Ökonom und Aktivist

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