Wirtschaft
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Politik der Ermöglichung, Kurs der Zurückhaltung: Der OXI-Überblick vor dem DGB-Bundeskongress

09.05.2018
Marek Śliwecki ,Lizenz: CC BY-SA 4.0 DGB-Zentrale in Berlin

Von »gewaltigen Aufgaben« ist in einem der Leitanträge zum DGB-Kongress die Rede: gegen Rechtsruck, Ungleichheit, kapitalistische Zumutungen. Wird die Politik des Dachverbandes in den kommenden Jahren dem gerecht? Ein Überblick zum »Parteitag« der Gewerkschaften.

Am Sonntag startet der Bundeskongress des DGB – eine Art Parteitag des gewerkschaftlichen Dachverbands, auf dem der »Kurs für die nächsten vier Jahre« gesetzt wird, wie es bei den Kollegen heißt, die lieber vom »Parlament der Arbeit« sprechen. Ab 13. Mai werden dann vor den 400 Delegierten aus acht Einzelgewerkschaften viele Reden gehalten und Anträge diskutiert. »Leitidee ist eine solidarische, sozial gerechte und nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung«, so der DGB. Doch mindestens die Frage, wie grün die Gewerkschaften sein wollen, ist umstritten. 

Die »Tageszeitung« hatte über eine drohende »klimapolitische Neupositio­nierung des Dachverbands« berichtet, nachdem aus einem Antrag des Bundesvorstandes zum Themenbereich Energie, Klima und Verkehr das Bekenntnis zum deutschen und europäischen Klimaziel aus dem ursprünglichen Entwurf gestrichen worden war. »Tatsächlich steckt hinter der Änderung wohl vor allem die Bergbau- und Energiegewerkschaft IG BCE. Diese hatte schon bei der Verabschiedung des Klimaschutzplans scharfe Kritik geübt«, so die Zeitung. Gegen diese von den Kritikern als ökologische Rolle rückwärts betrachtete Änderung haben inzwischen über 44.000 Menschen eine Petition unterzeichnet. »Ein derartiger Beschluss wäre ein fatales Signal für die deutsche Klimapolitik: Der Kohleausstieg könnte an den Gewerkschaften scheitern«, heißt es darin.

Man wird sehen, ob das auf dem Kongress noch einmal eine Debatte auslöst. Am Sonntag steht der Geschäftsbericht des Vorstandes auf der Tagesordnung, der DGB kündigt einen »umfassenden Überblick über unsere gewerkschaftspolitischen Erfolge seit dem DGB-Bundeskongress 2014« an und zeichnet darin »unsere kommenden Aufgaben« vor. Der fast 100 Seiten umfassende Bericht findet sich hier, darin auch Zahlen zur Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften, die in der zu Ende gehenden Periode von 6.104.851 auf 5.995.437 gesunken ist. 

Am Montag stehen die DGB-Vorstandsmitglieder zur Wiederwahl, Veränderungen kündigen sich nicht an. »Reiner Hoffmann, der Ende Mai 63 Jahre alt wird, soll kurz vor seinem Geburtstag auf dem DGB-Bundeskongress für eine volle zweite Amtszeit von vier Jahren wiedergewählt werden«, konnte man schon vor Monaten lesen – die Wahl sei »damit nur noch eine Formsache«. Die »Schwäbische Zeitung« machte darauf aufmerksam, dass Hoffmann der zweite Gewerkschaftsvorsitzende im DGB sei, »für den die bislang gültige Regel außer Kraft gesetzt wird, nicht erneut für einen Posten zu kandidieren, wenn man in der Amtszeit 65 Jahre Jahre alt wird«. Kommentar: »Obwohl die Gewerkschaften offiziell noch immer bei der Rente gegen eine höhere Regelaltersgrenze als 65 Jahre sind, werden ihre Vorsitzenden immer älter.« Auch die vier Vizevorsitzenden kandidieren erneut, Annelie Buntenbach, Elke Hannack und Stefan Körzell werden also auch die kommenden vier Jahre an der Spitze des Dachverbandes stehen. Hinzu kommt die Wahl von zwei weiteren Mitgliedern des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands.

Der dritte Kernpunkt des Kongresses: die Antragsberatungen. Das Antragsheft umfasst 287 Seiten, größere Konflikte um die Ziele und das Selbstverständnis des DGB sind bisher – von der Frage der Klimaziele abgesehen – nicht bekannt geworden. Die bisher doch eher sehr zurückhaltende mediale Wiederspiegelung des wichtigsten politischen Wahltreffens des größten gewerkschaftlichen Dachverbandes könnte man auch als Hinweis auf dessen derzeit eher randständige Rolle ansehen. Das hat was mit der traditionellen Dominanz starker Einzelgewerkschaften zu tun, die im Vordergrund stehen, zumal wichtige Tarifrunden gerade erst liefen.

Es hat aber wohl auch damit zu tun, dass der DGB sich zum Fürsprecher einer Großen Koalition gemacht hat, die er zwar nicht als erstrebenswert angesehen hatte, von deren Alternativen, vor allem Jamaika, die Gewerkschafter allerdings nicht weniger hielten. Ohnehin stand das gesellschaftspolitische Mandat des Gewerkschaftsverbandes in den vergangenen Jahren nie ganz vorn im Schaufenster. DGB-Chef Hoffmann ist als gewerkschaftliche Stimme durchaus gefragt, aber dass die Beschäftigtenorganisationen die politische Debatte mitbestimmen, kann man auch nur phasenweise sagen, dann vor allem in Tarifangelegenheiten. 

Die verschiedenen Anträge zeigen, dass der DGB durchaus die gesellschaftliche Krisensituation im Blick hat: »Die Lage ist ernst und erfordert langfristig angelegtes Denken und Handeln von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft«, wird der Leitantrag des Vorstandes eingeführt. Von »gewaltigen Aufgaben« ist da die Rede, davon, dass die Gewerkschaften »den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie in Deutschland und Europa« stärken wollen. Die Frage ist, wie das erreicht werden kann. Natürlich steht zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen Rechtsruck, Neonazis und Ausgrenzung recht weit oben auf der DGB-Agenda. Der Schlüssel zur Behebung der sozialen und ökonomischen Ursachen liegt aber woanders, etwa bei der Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums. O-Ton DGB: »Hier liegen auch die Ursachen für die Zukunftssorgen ›bis in die Mitte der Gesellschaft‹, die den sozialen Zusammenhalt bedrohen«. Man wolle deshalb »in den nächsten Jahren darauf hinarbeiten, soziale Unsicherheiten abzubauen, die durch Digitalisierung, Globalisierung, Migration, demografische Entwicklung und Klimawandel entstehen«. 

Die politischen Ansagen, die sich in den verschiedenen Antragsentwürfen niederschlagen, repräsentieren den bekannten Stand der Debatte: Es geht um höher Tarifbindung und einfachere Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, damit Prekarisierung durch starke Regelwirkung zurückgedrängt wird. Auch werden Maßnahmen mit Blick auf neue Beschäftigungsformen etwa in der Plattform-Ökonomie und unstete Erwerbsverläufe angekündigt. Der DGB zielt dabei auf eine »Politik der Ermöglichung«, das heißt, die Stärkung von Absicherung auf der einen und Bildung auf der anderen Seite. Schließlich noch: Arbeitszeitsouveränität – eine Antwort auf Vorstöße der Kapitalseite, das Arbeitszeitgesetzes zu flexibilisieren; Stärkung des Sozialstaates – ein gewerkschaftliches Echo auf die ohnehin schwelende Debatte über solidarische Reformen in der Agenda-Republik; dazu gehört: die Steuerpolitik als Hebel von Umverteilung und der Stärkung des Öffentlichen. 

Insgesamt liegen 78 Anträge vor, es entsteht der Eindruck, die Zaghaftigkeit ist weiter DGB-Programm: Die Forderung des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen, den Mindestlohn auf 13,50 Euro anzuheben,  wird da zu einem Antrag zurechgestutzt, die Lohnuntergrenze »mittelfristig« auf »ein existenzsicherndes Niveau« zu bringen. Warum die Zurückhaltung? Hoffmann hat es unlängst in einem Interview so formuliert: »Die Mindestlohnkommission wird im Laufe des Sommers über die Anpassung beraten. Dem kann ich nicht vorweggreifen.« 

Ein wichtiger Antrag für das gewerkschaftliche Politikverständnis trägt die Nummer C001 und die Überschrift »Wirtschaft im Wandel und der handlungsfähige Staat«. Darin »skizzieren die Gewerkschaften, wie der Staat die großen Megatrends Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel gestalten soll. Unter anderem gilt es, langfristige ökonomische und gesellschaftliche Ziele wieder in den Blick zu nehmen«. 

Der Begriff »Kapitalismus« taucht im ganzen Antragsheft nur fünf Mal auf, das Wort »Klasse« lediglich im Zusammenhang mit Schule und Problemen, durch die Beschäftigte in solche »erster und zweiter Klasse« geschieden werden. Vielleicht hätte sich der Dachverband einen Rat des IG-Metall-Vorstands Hans-Jürgen Urban zu Herzen (oder zu Kopfe) nehmen sollen: »Die Interessen von Kapital und Arbeit materialisieren sich in der kapitalistischen Eigentums- und Aneignungsordnung. Diese Struktur stellt eine Dynamik auf Dauer, die den Reproduktionsinteressen der Arbeit (sowie der Gesellschaft und Natur) entgegensteht und erzielte Erfolge stets zum Gegenstand neuer Kämpfe werden lässt. Sollen die Ideen von sozialer Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Solidarität und Humanität nicht an dieser Struktur zerschellen, muss sie selbst früher oder später zum Objekt normativ orientierter Transformationen werden. Und in diesem Transformationsprozess sind nicht zuletzt die Gewerkschaften gefordert.«

Was das heißt? In den Worten von Karl Marx liefe das darauf hinaus, die Gewerkschaften für »gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals« anzusehen und zu unterstützen, aber auch daran zu erinnern, dass sie ihren Zweck »gänzlich« verfehlen, »sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern«. Niemand erwartet einen DGB, der sich in revolutionäre Pose wirft. Aber ein Gewerkschaftsdachverband, der auf der Höhe der gesellschaftlichen Kritik steht – das wäre doch kein Überforderung?

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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