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Populismus von links

14.01.2017
Foto: Blandine Le Cain / flickr CC BY 2.0Wie kein anderer Kandidat bisher nutzt Mélenchon die sozialen Medien.

In Frankreich hat der Wahlkampf um die Präsidentschaft begonnen. Besonders viel macht der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon in diesen Wochen von sich reden: Er setzt auf das Instrument soziale Medien und lässt sich von der Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe beraten.

Mélenchon ist gemeinsamer Kandidat des Parti de Gauche (PG), der französischen Linkspartei, und der kommunistischen Partei KPF. Mélenchon, Europaabgeordneter und ehemaliges Mitglied der sozialistischen Partei, gründete die französische Linkspartei (PG) am Anfang 2009 aus Protest gegen den Kurs der Sozialisten. Mélenchon tritt unter dem Slogan »La France insoumise« (»Das widerständige Frankreich«) an; der erste Wahlgang findet am 23. April, der zweite am 7. Mai statt.

Wie kein anderer Kandidat bisher nutzt Mélenchon die sozialen Medien und das Internet. Auf Youtube hat er 130 000 Anhänger und bei Facebook eine halbe Million Follower. Auf Youtube wendet er sich hauptsächlich an die Altersgruppe der 18 bis 35-Jährigen, die als schwer mobilisierbar gilt und bei der der Anteil der Nicht-Wähler besonders hoch ist. Mélenchon nützt diese Medien auch, um mit ihrer Hilfe sperrige Themen wiederum in die gedruckte Presse zu bringen. Ende Dezember berichtete Le Monde, er habe sich bereits im Oktober mit der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe getroffen. Sie plädiert – wie ihr 2014 verstorbener Mann Ernesto Laclau, ein aus Argentinien stammender Philosoph, der in London lehrte – für einen linken Populismus, um den Populismus von rechts zu bekämpfen. Der sozialdemokratischen Linken in Europa wirft Mouffe vor, sie habe sich unter dem Druck von neoliberaler Politik inhaltlich entleert und sich diese teilweise sogar zu eigen gemacht, wie die Agenda-Politik von Gerhard Schröder und Tony Blair zeige. Vor allem aber hält Mouffe die europäische Sozialdemokratie für unfähig, ihren politischen Gegner genau zu bestimmen. Für sie ist das sehr wichtig: Denn nur wenn der Gegner genau bestimmt ist, kann es eine Auseinandersetzung über klare Alternativen geben. Und: Nach Mouffe ist ein klar artikulierter Antagonismus das Movens, die entscheidende Antriebskraft für die Demokratie, der Konsens dagegen deren Tod. Theoretisch beruht ihr Politikverständnis auf der Definition von Politik als Freund-Feind-Verhältnis. Diese Definition wurde von dem Nazi-Juristen Carl Schmitt entwickelt. Mouffe hat jedoch keine Bedenken, sich an ihn anzulehnen: »Es sind nicht die moralischen Qualitäten eines Denkers, die darüber bestimmen, ob man sich auf seine Arbeiten beziehen kann, sondern seine Qualitäten als Theoretiker«, sagte sie im Interview mit Le monde (29. Dezember 2016). Derlei sagt sich natürlich in Belgien oder Frankreich leichter als in der Bundesrepublik.

Mélenchon lässt sich von Mouffe beraten. Im Kern geht es dem Populismus von links und ihr darum, durch die neoliberale Offensive und die sozialdemokratische Schläfrigkeit in Vergessenheit geratene Potenziale zu reaktivieren: Die Forderungen nach Gleichheit und mehr Teilhabe des Volkes an der Politik sollen in den Mittelpunkt gerückt werden. Die zu neuem Leben erweckte Volkssouveränität soll die Balance zwischen Freiheit und Gleichheit wiederherstellen. Darin bestehe die aussichtsreichste Antwort auf die Demagogie des Rechtspopulismus und seiner »Wir-sind-das-Volk«-Propaganda. Allein ein so verstandener Populismus von links sei in der Lage, so Mouffe, »die Arbeiterklasse mit den sozialen Bewegungen und den verarmenden Mittelschichten« zusammenzubringen.

Ob eine solche Strategie Erfolg hat, weiß niemand. Sie muss praktisch erprobt werden. Aber eine Gefahr des linken Populismus liegt auf der Hand. Die Handlichkeit und oberflächliche Plausibilität von populistischen Parolen – sei es der Kampf gegen die Eliten oder das Reden über die Ausgrenzung von »Abgehängten« – birgt immer das Risiko, dass jede populistische Forderung, die Linke ins Spiel bringen, von rechten Demagogen propagandistisch überboten oder ihres sozialen Kerns beraubt werden kann. Lionel Jospin, der sozialistische Präsidentschaftskandidat von 2002, erlebte das hautnah. Er begann im Wahlkampf, von einer moderat begrenzten Zuwanderung von Ausländern zu sprechen; übrigens eher in einem realpolitisch-pragmatischen denn in einem populistischen Sinne. Über Nacht sah er sich mit dem Plan seines konservativ-rechtspopulistischen Gegenkandidaten Chirac konfrontiert, die Zuwanderung drastisch zu verringern. Chirac sah in Jospins realpolitisch gemeinter Konzession sofort die populistische Chance, eine ausländerfeindliche Kampagne vom Zaun zu brechen und Jospin alt aussehen zu lassen.

Die deutsche Linke wäre also wohl schlecht beraten, sich auf das Hasard-Spiel mit einem linken Populismus einzulassen. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben schon damit geliebäugelt und sind mit ihren im Prinzip nicht unvernünftigen Vorschlägen prompt überfahren beziehungsweise überboten worden: von den Rechtspopulisten in der CSU und in der AfD. Andererseits ist diese Gefahr kein ausreichender Grund, um nicht doch einen Politikwechsel der Linken zu forcieren: die Balance von Freiheit und Gleichheit neu justieren, die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Prozess verstärken – das ist doch möglich, ohne in seichten Populismus abzudriften.

Geschrieben von:

Rudolf Walther

Historiker

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