Wirtschaft
anders denken.

Portugal soll sparen – nur warum, weiß keiner

07.07.2016
marshi / photocase.deWie es klingt, wenn Sparen zur Ideologie wird, zeigt die Diskussion um Portugal.

Portugal in der Kritik: Mindestlohn zu hoch, nicht genug gespart, klagen IWF und EU-Kommission. Ein Blick auf die Wirtschaftslage des Landes zeigt: mit Fakten hat diese Kritik längst nichts mehr zu tun.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist unzufrieden mit der portugiesischen Regierung. Auch der Internationale Währungsfonds kritisiert sie, und die EU-Kommission droht ihr mit Strafen wegen zu hoher Defizite. Grund: Die neue Mannschaft in Lissabon hat ein paar Sparmaßnahmen zurückgedreht und den Mindestlohn auf ein Niveau gehoben, von dem man gerade so leben kann. Das halten die WeltfinanzaufseherInnen für inakzeptabel. Denn Portugals Konjunktur läuft nicht gut. Daran ist allerdings gar nicht die neue Politik schuld. Im Gegenteil, die Rücknahme der Sparmaßnahmen ist das einzige, was Portugals Konjunktur am Laufen hält.

Auch Portugal geriet 2010 in existenzielle Finanznöte, die privaten Gläubiger wollten der Regierung kein Geld zu akzeptablen Zinsen mehr leihen. 2011 flüchtete das Land unter den europäischen »Rettungsschirm«, erhielt 78 Milliarden Euro Kredite und musste im Gegenzug das übliche Programm absolvieren: Steuern hoch, Staatsausgaben runter, Arbeitsmarkt flexibilisiert, Löhne gesenkt, Gewerkschaften entmachtet, Feiertage gestrichen.

Portugal 2011: im Griff des Sparstrumpfs

2014 konnte Portugal den Rettungsschirm verlassen. Das Wirtschaftswachstum erreichte zwar wegen der drastischen Sparprogramme nur 0,9 Prozent, dennoch waren die Gläubiger voll des Lobes für die konservative Regierung: »Der angekündigte Abschluss des Programms zeigt erneut, dass unser gemeinsam in der Eurozone eingeschlagene Weg der richtige ist«, sagte Schäuble, und IWF-Chefin Christine Lagarde sekundierte: »Portugal ist nun in einer starken Position.«

Nicht ganz so begeistert waren dagegen die PortugiesInnen – schließlich war das Land schon vor den Sparprogrammen das ärmste Land Westeuropas. 2014 lag der Durchschnittslohn laut OECD bei 1.150 Euro und die Arbeitslosenquote bei 14 Prozent.

Gegenmaßnahmen der neuen Regierung

Im vergangenen Jahr wählte die Bevölkerung die konservative Regierung ab. Seit Herbst 2015 ist eine neue dran, und die hat einige der Krisen-Maßnahmen rückgängig gemacht:

  • Wiedereinführung von vier gestrichenen Feiertage in diesem Jahr und nicht erst 2017.
  • Für BeamtInnen gilt wieder die 35-Stunden-Woche.
  • Zurückgenommen wurde die zehnprozentige Kürzung »hoher Einkommen« – in Portugal sind dies Einkommen über 1.500 Euro je Monat.
  • Extra-Steuern auf »mittlere Einkommen« – also weniger als 1.500 Euro – wurden gesenkt, die auf niedrige Einkommen abgeschafft.
  • Der Mindestlohn wurde von 505 auf 600 Euro erhöht. Da Portugals Preisniveau im Durchschnitt 20 Prozent niedriger ist, entspricht dies etwa 720 Euro in Deutschland.

Die Regierung »gibt schon wieder Geld aus, das es noch gar nicht hat«, schimpft – nein, nicht Wolfgang Schäuble, sondern die Süddeutsche Zeitung. IWF und Finanzinvestoren schlagen Alarm: Portugal läuft Gefahr, sein Defizit-Ziel zu verfehlen. Wenn Lissabon nicht aufpasst, droht Schäuble, braucht das Land ein neues Kreditprogramm, »und das wird hart sein.« Und die EU-Kommission plant wegen des Defizit-Verstoßes 2015 erstmals Sanktionen gegen ein Euro-Land.

Die Klagen der Portugal-Kritiker

Die Liste der Beschwerden ist lang. Kritisiert wird insbesondere die weitere geplante Erhöhung des Mindestlohns auf 700 Euro bis zum Jahr 2019. Denn dies werde »die gesamte Lohnstruktur nach oben verschieben«, warnt die Commerzbank (Economic Insight, 16.6.2016). Die Erklärung ist beeindruckend: Da im Jahr 2014 rund 42 Prozent der Einkommen unter diesem Niveau lagen, ist also mit einem Anstieg des gesamten Lohnniveaus zu rechnen. Dass in einem Land 42 Prozent der Menschen am oder unter dem Existenzminimum leben, ist für die CommerzbankerInnen also einzig ein Zeichen dafür, dass sie nicht mehr bekommen dürfen. Wegen der »preislichen Wettbewerbsfähigkeit«.

Die portugiesische Regierung beschwichtigt und hofft auf eine stärkere Konjunktur. Doch sieht die derzeit nicht besonders gut aus. Die Investitionen der Unternehmen gehen zurück, mahnt die Commerzbank. Dies tun sie allerdings schon seit dem zweiten Halbjahr 2015, also nicht wegen der neuen Politik. Die Exporte entwickeln sich schwach, aber auch daran trägt die Regierung keine Schuld, vielmehr das »weltwirtschaftliche Umfeld«.

Gläubigerlogik: Die Löhne sind zwar der einzige Treiber des Wachstums. Dennoch soll der Lohn sinken.

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Was das Wachstum allein aufrecht erhält ist: der private Konsum. Er ist derzeit »der einzige Konjunkturmotor«, so die Commerzbank, und das liege an »höheren Mindestlöhnen und wieder höheren Löhnen im Öffentlichen Dienst«.

Laut Banken, IWF und Schäuble hat Portugal nun also einen völlig falschen Weg eingeschlagen. Gläubigerlogik: Die höheren Löhne sind zwar nicht der Grund für den Konjunktureinbruch, sondern der einzige Treiber des Wachstums. Dennoch soll der Lohn sinken. Denn alles muss vermieden werden, was die Kosten der Unternehmen belastet und ihre Gewinnspannen schmälert. Daher rät der IWF der portugiesischen Regierung, sich auf die »Rationalisierung der Löhne im öffentlichen Sektor und der Renten« zu konzentrieren und keinesfalls den ArbeitnehmerInnen mehr Rechte in Tarifverhandlungen zuzugestehen.

Ob der Plan der portugiesischen Regierung aufgeht, ob ihre Politik mehr Wachstum bringt, ist offen. Sicher ist aber schon: Die Finanzwirtschaft, der IWF und der Bundesfinanzminister haben keinen Plan für Portugal.

Und wer leidet wieder am meisten? Die Deutschen!

Unter den portugiesischen Wohltaten leiden übrigens vor allem die Deutschen. Die Deutschen? Ja, meint Alexander Hagelüken von der Süddeutschen Zeitung. Seine Logik: Portugals Regierung gibt mehr Geld aus. Das macht Anleger und Ratingagenturen nervös. Das gefährdet Portugals finanzielle Stabilität. Geschützt wird das Land nur durch die Politik der Europäischen Zentralbank, die die Zinsen in Europa unten hält. »Die EZB schirmt die Krisenstaaten vor den Konsequenzen mangelnder Reformen und unsolider Etats ab.« Folge: »Deutschen Sparern entgehen seit 2010 nach Schätzungen 200 Milliarden Euro Zinsen, die Altersvorsorge leidet gewaltig.«

Dass der deutsche Sparer nichts mehr an seinen Ersparnissen verdient, dass seine Altersvorsorge gefährdet ist, liegt also daran, dass der Portugiese 600 Euro Mindestlohn bekommt. So soll man sich das vorstellen – so werden Menschen verschiedener Länder gegeneinander aufgehetzt. Angesichts solcher Argumentationsvolten kann sich niemand mehr darüber wundern, dass es mit Europa irgendwie nicht so recht voran geht.

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