Wirtschaft
anders denken.

Postwachstumtheoretiker – die Ökonomie des Verzichts

16.06.2020
OXI

Die Pandemie-Krise nutzen zurzeit viele Postwachstumstheoretiker und -ideologen für ihre grundsätzliche Kritik am Wirtschaftswachstum. Ein Debattenbeitrag aus der OXI 05/2020.

Die Krise, in der wir uns derzeit aufgrund einer Virus-Pandemie befinden, ist nicht zu vergleichen mit der schweren weitweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007.  Die Pandemie ist ein exogener Schock, während die wirtschaftliche Krise von 2007 eine endogene kapitalistische Systemkrise war und schlimmste wirtschaftliche Verwerfungen, nicht nur in Griechenland, ausgelöst hat. Die jetzt ablaufende und uns bis zur Entwicklung eines Impfstoffs weiter begleitende Pandemie-Krise, die quasi die weltweit produzierende und globalisierte Wirtschaft in Quarantäne genommen hat, nutzen zurzeit viele Postwachstumstheoretiker und -ideologen für ihre grundsätzliche Kritik am Wirtschaftswachstum. Die weltweite Quarantäne gilt hier übrigens nur für die produzierende Wirtschaft und nicht für die Börsen und die Finanzmärkte, wo weiter heftig, selbst mit Leerkäufen, spekuliert wird.

Jedenfalls hat die Virus-Pandemie allerorten für Apokalyptiker und Dystopianer ein Spielfeld für den angeblichen empirischen Nachweis ihrer Antiwachstumsgedanken geschaffen. Doch dabei wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, vieles Unbegriffene verklärt, Irrationalismen werden zu »Schicksalsfügungen« umgedeutet und es wird eine allenfalls nur teilweise zutreffende Oberflächenanalyse praktiziert, ohne dabei das realiter vorliegende kapitalistische System zu berücksichtigen.

Wie wird von Postwachstumstheoretikern argumentiert? Auf jeden Fall nicht systemrelevant kapitalistisch, sondern moralisch-subjektivistisch. Der einzelne Mensch soll gefälligst seinen Konsum (Verbrauch) einschränken, damit der ökologische Klimaschaden nicht noch größer wird. Also müsse es zu einem negativen quantitativen Wachstum kommen und konsequenterweise wird damit ebenso ein qualitatives Wachstum abgelehnt, dass eben auch immer auf Wachstum basiert, und zumeist noch mit Rebound- oder gar mit Backfire-Effekten verbunden ist. Was hier jedoch die wirkliche (holistische) Ursache des ganzen Desasters ist, wird nicht einmal annähernd hinterfragt und verstanden. Man verbleibt vielmehr in allgemeinen individuellen Handlungsvorwürfen gefangen – so wie auch die Friday for Future Bewegung.

Mehr Widerspruch geht nicht

Die Postwachstumstheoretiker und -ideologen nutzen dabei zurzeit die Angst der Menschen. In Krisenzeiten wollen diese zumindest eine ungefähre Gewissheit und Aufklärung erfahren, warum wir uns in einer Krise befinden und was wir tun müssen, damit wir die Krise hinter uns lassen. Die notwendige gesellschaftliche Transparenz wurde hier schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht im Geringsten geleistet. Im Gegenteil: Die herrschende Politikelite setzte vielmehr auf Mystifikation und Obskurantismus, was sie auch konnte, weil das ökonomische Wissen bei der Mehrheit gegen Null tendiert. Dabei wird gerade auch die Corona-Pandemie von den Anhängern eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) genutzt, das angeblich Menschen vom kapitalistischen Arbeitszwang befreien will. Das ist dann ordnungstheoretisch wie »Kommunismus im Kapitalismus« (Christoph Butterwegge). Man produziert das BGE unter kapitalistischen Bedingungen und will diese Bedingungen damit aufheben – mehr desselben um weniger desselben zu erreichen? Mehr Widerspruch geht auch hier nicht! Die Anhängerschaft des BGE, die politisch von rechts bis links reicht, vergisst dabei allerdings, ökonomisch zu erklären, wer denn für die Empfänger des BGE arbeiten und das notwendige Einkommen produzieren soll. Eigentlich reichen hier die Kapitalisten, die systemimmanent andere Menschen für sich arbeiten lassen und den Mehrwert einstreichen.

Die Quintessenz der Postwachstumstheoretiker und -ideologen ist jedenfalls einfach: Wir produzieren in der Logik der kapitalistischen Ausbeutungsordnung so weiter, nur eben viel weniger – »par odre de mufti«. Wir verhalten uns streng calvinistisch durch einen »Enthaltsamkeitskonsum«, bewegen uns aber weiterhin in der profitheischenden Kapitallogik. Dabei bemerkt man nicht einmal, dass der Brand mit Benzin gelöscht werden soll. Man fragt nicht nach den Grenzen des kapitalistischen Systems, seiner inneren Logik, seiner Widersprüchlichkeit und seiner innewohnenden Tendenz zu Zerstörungen der einzigen »Springquelle«, der menschlichen neuwertschaffenden Arbeit.

Die Verzichtsökonomen sehen die einzige Möglichkeit, den ökologischen Kollaps noch aufzuhalten, in einem geringeren Output der kapitalistischen Ökonomie- und Profitmaschine. Wir sollen uns alle auf ein ganz niedriges Konsumniveau beschränken. Wer diese Beschränkung festlegt, wie sie operational umgesetzt werden soll, ob diese Beschränkung im derzeit herrschenden Kapitalismus so überhaupt ohne dramatische Zusammenbrüche ganzer Gesellschaften funktioniert, wird nicht einmal im Ansatz hinterfragt. Die Kritik bleibt eben nur an der Oberfläche, benennt einige Erscheinungsweisen, die im Einzelfall durchaus zutreffend aber nicht valide sind. Und man vermeidet es tunlichst ans »Eingemachte« zu gehen, sprich die Funktionslogik des Kapitalismus als solches zu analysieren und zu kritisieren – es ist eine »Theorie der Halbbildung« (Theodor W. Adorno), die hier zum Tragen kommt. Man geriert sich als Antimodernisierer, schlägt den Sack, obwohl man den Esel meint, predigt Wasser statt Wein und will alle einer Bestrafungslogik werfen.

Es gibt keine faktische Freiheit

Die Euphorie der Antiwachstumsadepten und Verzichtscalvinisten speist sich aus einer ignorierten Logik des Prozesses der profitorientierten und erweiterten Wertgenerierung des Kapitals. Dabei stellt sich auch die Frage: Sind wir Menschen wirklich freie, autonome Subjekte unseres Handels in der kapitalistischen Ökonomie? Die Antwort ist: Nein, sind wir nicht! Es gibt nur eine formale Freiheit, keine faktische. Oder ist der abhängig Beschäftigte im Kapitalismus ein freier Mensch? Natürlich nicht! Seine gesamten Lebensbedingungen innerhalb eines globalisierten kapitalistischen Systems unterliegen vielmehr dem ständigen Zwang zur Verwertung und Erhöhung des Kapitalwerts, der ein widersprüchliches gesellschaftliches Verhältnis impliziert, sozusagen ein Abstraktum der realen Lebensvollzüge in einer bestimmten Ökonomieform: dem kapitalistischen System.

Um dies zu verstehen, müssen wir uns kurz auf das Gebiet begeben, welches von der herkömmlichen neoklassischen (neoliberalen) Ökonomie mit ihrer subjektiven Wertlehre, im Gegensatz zur noch von der klassischen Ökonomie praktizierten Arbeitswerttheorie, gänzlich ausgeblendet wird. Nämlich, dass sich der Kapitalwert als ein objektiver auf menschlicher Arbeit basierender Wert nur in der Produktion ergibt und nicht als ein subjektiver und marktdeterminierter Wert. Zu so einer Auffassung kann man nur dann kommen, wenn man, erstens den einzig neuwertschaffenden Menschen in der Produktion quasi für nicht wichtig erachtet, und zweitens das in der allgemeinen Produktionsfunktion nur derivative Kapital, das erst aus Arbeit und Natur in einer Vorperiode geschaffen worden ist, trotzdem, völlig unlogisch, für dominant und wertschaffend erklärt. Mehr ökonomische Irrlehre geht dann nicht, wobei allerdings im Denken diese Irrlehre fast unisono Realität geworden ist. Natürlich müssen der in der Produktion entstehende Kapitalwert und das entsprechende Einkommen letztlich immer am Markt über Preise erlöst werden. Steigt hier bei konstantem Angebot die Nachfrage, so legt der Preis zu. Dabei kann der Preis, bei einer zu geringen Nachfrage sogar negativ werden, wie gerade beim Rohöl. Das heißt, der Verkäufer zahlt dem Käufer noch Geld, damit dieser ihm das Produkt überhaupt abnimmt. Hier entsteht im Ergebnis natürlich ein negativer Mehrwert. Dies geht aber nur kurz-, vielleicht noch mittelfristig. Langfristig pendelt sich der Preis jedoch immer auf den Produktionswert durch dann erfolgende Angebotsanpassungen mit entsprechenden Kapital- und Arbeitsplatzvernichtungen ein.

Uns geht es nicht darum, den ausbeutenden und zerstörerischen Kapitalismus irgendwie zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Im Gegenteil, es geht uns darum, die Logik der Kritik einer Postwachstumsökonomie zu hinterfragen. Kritisiert diese etwa die ausbeutende Kapitalverwertung, das Selbstzwecksystem von Arbeit und Wert, von Ware und Geld, von Geld als Kapital und die Lebensbedingungen der abhängigen Subjekte, die in dieses globalisierte System geworfen sind, ob sie es wollen oder nicht? Hier glauben (Glauben hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun) die Postwachstumsfetischisten dann am Ende offensichtlich, wie die Neoklassiker und Neoliberalen, an die »Kraft des Marktes und seine Selbstheilungskräfte«. Bei genügendem Verzicht würde der Markt die Dinge schon irgendwie wieder zum (kapitalistischen) »Guten« regeln. Die Postwachstumsideologen wollen den Kapitalismus eben am Leben erhalten, und mit diesem gegen ihn kämpfen – ein Widerspruch in sich.

Grausame Elendsökonomie

Notwendig wäre, entgegen der postwachstumsinterpretierten ökologischen »Weltuntergangsdeutungen«, vielmehr eine kritische und objektive System-Diagnose, welche die Geschehnisse im Kontext einer kapitalistischen Ökonomie betrachtet, die einer unendlichen und erweiterten Wert- und Kapitalgenerierung unter einzelwirtschaftlichen (egoistischen) Bedingungen zur Maximierung der entscheidenden Profitrate unterliegt. Hinzu kommen auf Basis einer immer größeren und erweiterten Kapitalkonzentration und -zentralisation verschärfte (internationale) Konkurrenzverhältnisse. Wer bitte schön bestimmt aber in einer solchen wirtschaftlichen Realität, wie die Wirtschaft zu wachsen hat und was noch wachsen darf und was nicht mehr? Wer hier naiv glaubt, das könne der dem Ganzen und Allen in der Gesellschaft verpflichtete bürgerliche Staat entscheiden, der hat nicht verstanden, dass es noch nie einen politisch neutralen Staat gegeben hat, sondern am Ende im Kapitalismus immer nur einen kapitaldienenden Staat. Wie sagte Karl Marx: »Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.« Der Staat ist als gesellschaftlicher Überbau halt immer abhängig von der Entwicklung der Kapitalverwertung in der Wirtschaft als gesellschaftlicher Unterbau. Hier gibt es eine »Nabelschnur«. Und dabei hat sich heute das Abhängigkeitsverhältnis des Staates unter der Dominanz der internationalen Kapitalmärkte und der gestiegenen Konzentration und Zentralisation des Kapitals noch zu Gunsten der geldverleihenden und kapitalaustauschenden Vermögenden kräftig erhöht.

Vor diesem Hintergrund beschließen dann Postwachstumstheoretiker und -ideologen, in einer nur mit Wachstum funktionierenden kapitalistischen Ökonomie, dass man schlicht einfach nicht mehr wachsen will. Das kommt einem kindlichen Verhalten gleich, wo das trotzige Kind seinen Brei nicht essen will. Wir haben gesehen, was passiert, wenn eine Wirtschaft, wie die in Griechenland, über Jahre schrumpft. Es kommt zu einer grausamen Elendsökonomie. Und wir sehen jetzt in der Virus-Pandemie, wenn die gesamte Welt nicht mehr produziert und das Wachstum brutal einbricht, welche katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Folgen dies hat. Nur Zyniker können hier auf die Idee kommen und behaupten, wie gut dieser Wachstumseinbruch der Umwelt tut.

Beim Begriff »Wachstum« müssen wir außerdem vorsichtig sein und genau definieren, was denn überhaupt Wachstum ist. Eine Wirtschaft wächst eben realiter nicht, wie allgemein immer wieder fälschlich behauptet wird, wenn es zu einer Erhöhung der realen (preisbereinigten) Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kommt, sondern nur dann, wenn sich das Netto-Produktionspotenzial (der Nettokapitalstock) einer Volkswirtschaft durch Nettoinvestitionen erhöht, d.h., wenn die getätigten Bruttoinvestitionen größer sind als die Abschreibungen auf den bisher akkumulierten Kapitalstock. Alles andere an produzierten Gütern und bereitgestellten Dienstleistungen existiert nämlich nicht mehr, es wurde schlicht verbraucht (konsumiert) und steht in der Zukunft, wie die Nettoinvestitionen, zur Reproduktion nicht mehr zur Verfügung. Wir müssen also die Begriffe Verbrauch und Wachstum streng unterscheiden und hierbei differenziert denken.

Demokratisierung der Wirtschaft

Dies leitet sich aus der gesamtwirtschaftlichen Verwendungsrechnung des BIP ab. Hier werden alle Verkäufe von Gütern und Diensten an private Haushalte, die Bruttoinvestitionen der Unternehmen und des Staates, einschließlich der selbsterstellten Anlagen und Änderungen der Lagerbestände, sowie die Verbrauchsausgaben des Staates zur inländischen Verwendung des BIP addiert. Zählt man die Exporte hinzu und zieht die Importe einer Volkswirtschaft ab, so ergibt sich unter Berücksichtigung des Außenbeitrags und einer offenen Volkswirtschaft die gesamtwirtschaftliche Endnachfrage. Hierbei werden jährlich immer genauso viele Güter produziert und Dienstleistungen bereitgestellt, wie Einkommen verdient werden. Ein Teil der Einkommen, wie bereits erwähnt, dient dabei dem Ersatz des Verschleißes (als Abschreibungen) auf den Kapitalstock. So wird im Ergebnis aus dem Brutto- das Nettoinlandsprodukt. Schaut man sich hier die empirischen Befunde für Deutschland seit der Wiedervereinigung (1991) an, so sind viele überrascht. Denn von 1991 bis 2019 stiegt das nominale BIP um 2,8 Prozent und das reale BIP lediglich um jahresdurchschnittlich 1,3 Prozent. Damit konnte übrigens keine Vollbeschäftigung herbeigeführt werden, sondern es lag Massenarbeitslosigkeit vor und es kam in Folge zu einem starken Ausbau des Niedriglohnsektors und einem Prekariat. Und was blieb von dem kumulierten nominalen BIP in Höhe von gut 68 Billionen EUR an wirklichem Wachstum übrig? ES waren in Höhe der kumulierten Nettoinvestitionen mal gerade knapp 2,5 Billionen EUR oder 3,7 Prozent. Der Rest von 96,3 Prozent wurde lediglich verbraucht. Dieser untergehende Verbrauch soll dabei aber nach dem Willen der Postwachstumskritiker stark reduziert werden, ohne dabei, wie ausgeführt, jedoch die Wirkungen in einem kapitalistischen System zu bedenken.

Ganz wichtig ist am Ende der Betrachtung natürlich immer die Frage, wie die nur aus Produktion entstehenden Einkommen zwischen Kapital und Arbeit funktional aber auch innerhalb der Faktoren personell verteilt werden. Hier wissen wir, dass im empirischen Befund die Verteilung eine völlig ungleiche ist und wir wissen auch, käme es zu einer größeren Gleichverteilung des Einkommens hätte dies erhebliche positive Auswirkungen auf den Verbrauch und in Folge wohl auch auf die Nettoinvestitionen, die sich aber eh nur auf die  Kapitaleigentümer verteilen. Abhängig Beschäftigte haben eben kein Eigentum an Produktionsmittel. Sie erhalten nur einen Lohn zum Kauf von Verbrauchsgütern. Also ihr Postwachstumstheoretiker, dann müssen wir halt auf eine Beseitigung der ökonomisch stark ungleichen Verteilung der Einkommen, die nur zu einem größeren Verbrauch (Konsum) führen würde, verzichten und weiter in einer ungerechten Verteilungswelt leben. Wir akzeptieren aber eine solche Denkweise nicht! Verbrauch und Wachstum kann man vom Kapitalismus zwar nicht entkoppeln. Aber man kann den Kapitalismus durch eine Demokratisierung der Wirtschaft abschaffen und dann über einen solidarisch verringerten und verteilten Verbrauch die Wirtschaft ökologisch aussteuern. Gleichzeitig muss es aber zu einer notwendigen Partizipation der abhängig Beschäftigten am Wachstum, an den Nettoinvestitionen, kommen. Nur so lässt sich schließlich das »Investitionsmonopol des Kapitals« (Erich Preiser) aufbrechen und die heute einseitig vorliegende Macht und Ausbeutung des Kapitals beenden.

Eine Antwort von Nico Paech finden Sie hier.

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