Wirtschaft
anders denken.

Protektionismus und Freihandel – das Messen mit zweierlei Maß

13.05.2016
Foto:Eric / flickr CC Die EU hat Angst, dass auf ihrem Markt nur noch dieses Label erscheint.

»China ist keine Marktwirtschaft.« So beschloss es das Europäische Parlament gestern. So schützt sich die EU vor zu starker Konkurrenz am Markt, schwärmt jedoch gleichzeitig vom Freihandel. Diese Politik hat System.

Vor vier Jahren die Solarmodule, heute der Stahl. Chinas Unternehmen werden immer stärker und drohen, europäische Waren zu verdrängen. Als neue protektionistische Maßnahme hat sich das gegen unterlegene Volkswirtschaften gerne als Vorreiterin des allein selig machenden Freihandels gerierende Europa nun etwas neues ausgedacht: In einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom Donnerstag fordert dieses die EU-Kommission auf, auch weiterhin Anti-Dumpingmaßnahmen zu ergreifen, um die Überflutung der EU-Märkte beispielsweise mit billigem Stahl aus China zu verhindern. Begründung: China sei doch gar keine Marktwirtschaft, weshalb Schutzzölle auf chinesischen Stahl und anderen Produkte okay seien.
An diesem Beispiel lässt sich neben der Ang16st des Westens vor dem aufstrebenden Konkurrenten aus Nahost mustergültig das Messen mit zweierlei Maß Europas ablesen, wenn es um die Themen Freihandel und Protektionismus geht.
Im Allgemeinen wird im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus von der ökonomischen Elite das Hohelied auf den mutmaßlich für Wohlstand und Wachstum sorgenden Freihandel gesungen. Besonders gut konnte man das 2008/09 während der Wirtschaftskrise beobachten. Allenthalben wurde von Staatenlenkern und der veröffentlichten Meinung die Ansicht kundgetan, nun keinesfalls protektionistische Maßnahmen zu ergreifen und alles dafür zu tun, den weltweiten Freihandel zu befördern. Es drohe ansonsten ein wirtschaftlicher Absturz, wie es ihn zuletzt im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 und den darauf folgenden Jahren gegeben habe.
Entgegen dieser Rhetorik pflegen die industrialisierten Staaten jedoch einen pragmatischen Umgang mit freihändlerischen und protektionistischen Praxen. Solange bestimmte Konzerne und Industriezweige nicht reif für den rauen Weltmarkt sind, werden sie geschützt. Sobald sie aber überwiegend den globalen Wettbewerbsbedingungen standhalten können, wird der Freihandel gepredigt, weiterhin jedoch insgeheim die (noch) unterlegenen Branchen geschützt. Das kann beispielhaft an der Politik der EU und der USA beobachten, die ihre Landwirtschaften stark subventionieren und ihre Märkte kaum der Konkurrenz aus den aufstrebenden Schwellenländern öffnen. Die Konsequenz: Afrikanische Märkte werden mit tiefgekühlter europäischer Ausschussware überschwemmt, in deren Folge z. B. die ghanaischen Hühnerzüchter ihre Produktion einstellen und als neue Slumbewohner in den Mega-Cities ihr Dasein fristen müssen. Dabei war es historisch so, dass die führenden kapitalistischen Länder die meiste Zeit eine überwiegend protektionistische Praxis verfolgten. Protektionismus war sogar oftmals die Voraussetzung für Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung, wie der südkoreanische Wirtschaftswissenschaftler Ha-Joon Chang in seinem Buch »Bad Samaritans. The Guilty Secrets of Rich Nations and the Threat to Global Prosperity« aufzeigt. England zum Beispiel habe 150 Jahre lang Protektionismus betrieben. Chang bringt dieses Phänomen treffend mit dem Ausdruck »kicking away the ladder« (Übersetzung: Die Leiter wegtreten) auf den Punkt: Das Mittel Protektionismus, mit dem die sogenannte Erste Welt ihren ökonomischen Aufstieg geschafft hat, wird den anderen vorenthalten. Stattdessen wird ein freier Markt gepredigt und praktiziert, der, so Chang, stets die starke Tendenz habe, den Status quo zu bewahren.
Das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie spricht daher von einer »im real existierenden Freihandel allenthalben waltenden Doppelmoral«, weil der »Norden dem Süden offene Märkte verordnet, aber selbst noch weit davon entfernt ist, seine eigenen Märkte zu öffnen«. Im Grunde geht es mithin um Macht und Herrschaft und um ein Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnis, das den entwickelten kapitalistischen Staaten und ihren global operierenden Konzernen weiterhin Absatzmärkte und Profite sichern soll. Die Frage, ob China eine Marktwirtschaft ist oder nicht, ist dabei eine ideologische Nebelkerze, die das schnöde Interesse an Profitmargen verdecken soll.

Geschrieben von:

Guido Speckmann

Redakteur neues deutschland

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