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Naturschutz light

26.06.2024
Foto: Wikimedia Commons/Samynandpartners; CC-BY-SA-4.0.

Obwohl einige Regierungen und die Konservativen im Europaparlament gemauert haben, hat die EU das Renaturierungsgesetz angenommen – wenn auch in abgespeckter Version.

Dass Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler demnächst vor Gericht erscheinen muss, ist unwahrscheinlich. Juristischer Ärger droht der Grünen-Politikerin aber allemal: Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) hat der Grünen-Ministerin in einer umfangreichen »Klageschrift« vorgeworfen, ihre Kompetenzen bei einer Entscheidung auf europäischer Ebene überschritten zu haben. Gewesslers Vergehen: Sie hatte am Montag vor einer Woche im Rat der EU-Umweltminister:innen dem sogenannten Renaturierungsgesetz zugestimmt – und damit die letzte Hürde bei der Inkraftsetzung der Verordnung aus dem Weg geräumt. Deren Ziel ist es, kaputte Ökosysteme wieder auf Vordermann zu bringen.

Mit der Zustimmung geht ein monatelanger Zwist sowohl im Europäischen Parlament als auch zwischen den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zu Ende. Bereits im Juni 2022 hatte die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag unterbreitet; nach der Einigung im Rat – also dem Gremium der Fachminister:innen aus den EU-Mitgliedsländern – hatten die Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Rat und Europaparlament begonnen. Heraus kam im November 2023 allerdings eine deutlich abgespeckte Variante des ursprünglichen Entwurfs. Unter anderem fehlten in dem Kompromisspapier die Verpflichtung zur Renaturierung landwirtschaftlicher Flächen und die Wiedervernässung von Mooren.

Dabei ist die Notwendigkeit einer Renaturierung unbestritten. Über 80 Prozent der geschützten  Lebensräume Europa befinden sich gegenwärtig in schlechtem Zustand. Die Folgen sind gravierend. So wächst der Verlust an Artenvielfalt weiter dramatisch. Wie der World Wide Fund For Nature (WWF) und andere Umweltschutzorganisationen betonen, wirkt sich diese Entwicklung negativ auf den gesamten natürlichen Kreislauf aus, einschließlich der Nahrungsketten, der Bestäubung von Pflanzen durch Insekten, der Filterung von Wasser durch Feuchtgebiete und der Regulierung des Klimas durch Wälder. Auf letzteren Aspekt hat auch die Grünen-Europapolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg immer wieder verwiesen: »Die Kapazität der natürlichen Ökosysteme, Kohlenstoff zu speichern, ist in den vergangenen Jahren mit besorgniserregender Geschwindigkeit zurückgegangen. Dieser Trend ist vor allem darauf zurückzuführen, dass immer mehr Holz aus dem Wald geholt wird.«

Deparnay-Grunenberg kritisiert, dass das Renaturierungsgesetz auch beim Waldschutz hinter den eigenen Ambitionen der EU zurückbleibe. Noch vor einem Jahr habe sich die Staatengemeinschaft bei der Weltnaturkonferenz in Montreal dafür gefeiert, statt 20 Prozent sogar 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete schützen zu wollen. Die EU-Verordnung setzt nun allerdings rechtsverbindliche Ziele für die Wiederherstellung von 20 Prozent der geschädigten Land- und Meeresökosysteme bis 2030 und aller Ökosysteme bis 2050. Praktisch bedeutet dies, dass die EU-Länder bis 2030 ein knappes Drittel und bis 2050 insgesamt 90 Prozent der unter die Verordnung fallenden Lebensräume – wie Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete, Flüsse und Seen – von einem schlechten »in einen guten Zustand« versetzen müssen. Zudem müssen sie sicherstellen, dass sich der Zustand dieser Gebiete nach der Wiederherstellung nicht verschlechtert. Eine Hintertür haben sich die EU-Staaten jedoch bei den Anforderungen an den Agrarsektor offen gelassen: »Unter außergewöhnlichen Umständen« dürfen die Vorgaben ausgesetzt werden. Ob es bei diesen außergewöhnlichen Umständen nur um Aspekte der Ernährungssicherheit geht, die damit zuallererst gemeint sind, steht in den Sternen.

Aber immerhin: Es gibt erst einmal eine Grundlage, auf der Renaturierungsmaßnahmen aufgebaut werden können. »Die Verabschiedung des EU-Renaturierungsgesetzes durch die europäischen Umweltminister:innen ist ein Riesenerfolg für den Schutz der Natur. Es ist die wichtigste Initiative im europäischen Naturschutz seit 30 Jahren«, kommentierte Olaf Brandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, am Tage der Gesetzesannahme am 17. Juni. Es sei ein »Zeichen der Hoffnung, dass am Ende des mehr als zweijährigen Gesetzesprozesses nun dieser finale Beschluss steht«, so der BUND-Chef.

Tatsächlich war es bis zur letzten Minute offen, ob das Renaturierungsgesetz durchkommt. Das Kompromisspapier von Ende 2023 stand im Februar dieses Jahres im Europaparlament zur Abstimmung – und die konservative Europäische Volkspartei machte gemeinsam mit den Rechtsaußenfraktionen Stimmung gegen das Papier, das auch der Landwirtschaft Aufgaben ins Pflichtenheft schreibt. Denn zeitgleich mit der Endphase der Abstimmungen waren in zahlreichen EU-Ländern die Bauern auf die Straße gegangen; in Brüssel brannten auf dem Place Luxembourg vor dem Europaparlament die Strohfeuer. Die Konservativen im EU-Parlament wollten so kurz vor der Europawahl die Wählergruppe, die über nicht wenig Sympathie in der Bevölkerung verfügt, keinesfalls verprellen. Daher fiel die Abstimmung mit 329 Ja- gegen 275 Nein-Stimmen denkbar knapp für das Gesetz aus.

Aber auch eine Reihe von Mitgliedsstaaten stellte sich die vor diesem Hintergrund trotz des Kompromisses nun auf die Hinterbeine. Auch aus einem anderen Grund: Die Umsetzung des Renaturierungsgesetzes kostet Geld. Wie viel, ist nicht absehbar. Aber Tatsache ist, dass es in die Milliarden geht. Wer das trägt, ist offen, die Mitgliedsstaaten sind dazu kaum in der Lage oder bereit. Zwar wird immer wieder über spezielle Fonds der EU zur Renaturierung spekuliert, aber die Brüsseler Kassen sind leer. Und der mögliche künftige rechtsextreme französische Regierungschef Jordan Bardella droht schon mal mit der Kürzung der Pariser EU-Beiträge, was unter rechten Regierungen Schule machen könnte.

Vor der eigentlich schon für März vorgesehenen Abstimmung im Rat der Umweltminister:innen hatten acht EU-Länder ihre Zustimmung zurückgezogen: Schweden, Italien, die Niederlande und Ungarn waren nun dagegen, Österreich, Belgien, Finnland und Polen kündigten Stimmenthaltung an. Die Abstimmung wurde daraufhin von der Tagesordnung genommen und im Juni 2024 vorgenommen – nachdem Österreich Zustimmung signalisiert hatte.  Damit war das Quorum von 20 Ländern, die 66 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen, erreicht – und die Verordnung tritt nun 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft. Nicht zuletzt dank Österreichs Umweltministerin Gewessler.

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